Technik für Menschen mit Behinderung:"Ich will mich frei fühlen"

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Der blinde Musiker Stevie Wonder hofft auf Apps für Menschen mit Behinderung. (Foto: Getty Images)

Die CES in Las Vegas zeigt viel Technologie, die das Leben der Menschen vereinfachen soll. Oft werden aber ausgerechnet jene vergessen, die eingeschränkt sind. Nicht nur Stevie Wonder will das ändern.

Von Jürgen Schmieder, Las Vegas

Stevie Wonder ist bestens gelaunt, mit seinen Armen ahmt er Lenkbewegungen nach. "Hey, ich will irgendwann mal ein Auto fahren können", sagt er: "Ich will mich frei fühlen - und das bedeutet für mich, dass ich nicht durch Krankheit, Behinderung oder Alter eingeschränkt bin."

Der blinde Musiker würde gerne selbst den Wagen vom Messegelände in Las Vegas zu seinem Hotel steuern - dabei kann er auf der International Consumer Electronics Show (CES) noch nicht einmal alleine von einem Raum zum anderen gelangen: Die Software des Veranstalters lotst die Besucher über deren Smartphones mit blauen und roten Punkten zum gewünschten Ziel. Dieser Service ist allerdings nur visuell verfügbar. Wonder kann ihn nicht nutzen. Er ist eingeschränkt, braucht Hilfe.

Auf der CES geht es zu wie auf dem Hamburger Fischmarkt - nur dass den Besuchern keine Lachse oder Obst feilgeboten werden, sondern vor allem Gegenstände, denen das Wort smart vorangestellt wird. Intelligent soll das alles sein, das "Internet der Dinge" soll das Leben der Menschen vereinfachen. Es gibt intelligente Aufsätze für Golfschläger zur Kontrolle des Schwungs oder intelligente Türschlösser mit dem wunderbaren Namen "Okidokeys".

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Auf der Consumer Electronics Show zeigen Unternehmen, was sie so im Sinn haben, wenn sie an das Begriffspaar "Zukunft" und "Verkaufsschlager" denken. Auf der Elektronik-Messe wird vorgestellt, wie Technik sich in den Alltag hineinmanövriert.

Kopfschütteln und Schulterzucken

Nur: Bei der Suche nach Vereinfachung werden oftmals jene vergessen, die sie dringend benötigen. "Technologie hat in den vergangenen Jahren gewaltige Fortschritte gemacht", sagt Stevie Wonder: "Ich hoffe, dass wir nun den Punkt erreichen, an dem es für keinen Menschen mehr einen Nachteil gibt."

Wer die Hersteller auf den Showflächen der CES fragt, ob sich deren Entwicklungen auch von Menschen mit Einschränkungen nutzen lassen, der erntet als Reaktion oftmals nur ein Kopfschütteln oder Schulterzucken. "Es lohnt sich ganz einfach nicht", sagt Mike May. Er fuhr während der Olympischen Spiele 1984 blind die Skipiste hinunter und ist mittlerweile der Chef der Sendero Group, die Navigationssysteme für blinde Menschen herstellt: "Ein Unternehmen verdient mit einer App kein Geld, wenn sie nicht von sehr vielen Menschen genutzt wird."

Speziell entwickelte Angebote für Menschen mit Einschränkungen würden für App-Verhältnisse sehr viel Geld kosten: "Das sind schnell mal zwischen 50 und 60 Dollar. Wir müssen uns die Frage stellen: Wie machen wir daraus ein Geschäft, das sich für beide Seiten lohnen kann?"

Es gehe dabei oftmals gar nicht darum, bahnbrechende Produkte wie etwa die Schuhe des Unternehmens Lechal zu entwickeln, die dem Träger durch Vibration in der Sohle und die Verbindung mit Google Maps anzeigen, wann er beim Spaziergang abbiegen muss und wann er sein Ziel erreicht hat - oder über Kopfhörer durch die Instant-Messaging-App Firechat vermittelt bekommt, dass sich ein Freund in der Nähe befindet. "Ich habe auf Partys derzeit einen professionellen wie sozialen Nachteil, weil ich nicht weiß, wer da ist.

Das ist eines meiner größten Probleme: Menschen zu finden und zu erkennen. Dabei gibt es die Lösungen bereits, sie müssen nur konfiguriert werden", sagt May. Die App "happn" etwa könnte so verändert werden, dass sie einem nicht mögliche Flirtpartner in der Nähe anzeigt, sondern Freunde oder Geschäftspartner.

"Wir müssen bestehende Technologie oftmals nur von einer anderen Seite betrachten", sagt Lama Nachmann, Direktorin des Anticipatory Computing Lab von Intel. Sie hat kürzlich den Kommunikator des Wissenschaftlers Stephen Hawking verbessert: "Wir hatten Tonnen verrückter Ideen, haben nach drei Jahren Entwicklungszeit jedoch bemerkt, dass Hawking gar keine revolutionäre Erfindung haben wollte, sondern eine Verbesserung dessen, womit er vertraut war." Das Team nutzte deshalb die Eingabehilfe, die heutzutage in zahlreichen Mobiltelefonen zu finden ist: "Innerhalb weniger Wochen hatten wir ein Produkt, durch das sich seine Geschwindigkeit verdoppelt hat."

Natürlich geht es bei Erfindungen und Entwicklungen ums Geld, niemand wird eine App in der Gewissheit entwickeln, dass er damit Verlust machen wird. Als brauchbarer Ansatz für Menschen mit Einschränkungen gilt deshalb, bestehende Produkte verfügbar zu machen, neu zu konfigurieren und mit anderen zu kombinieren. Dafür gibt es etwa das Unternehmen Not Impossible von Mick Ebeling. Er wollte dem an der Nervenkrankheit ALS leidenden Künstler Tempt One helfen, weiter malen zu können - mit seinen Augen über die Entwicklung Eyewriter. "Das Besondere an unserem Produkt war der Preis: Anstatt 20 000 Dollar kostete es nur 100 Dollar."

Bezahlbare Produkte

Er fordert Technologie-Firmen deshalb dazu auf, ihre Erfindungen auch für andere Zwecke nutzbar zu machen: "Sie können gerne Milliarden Dollar damit verdienen - aber vielleicht kann ihre Idee auch anderweitig eingesetzt werden, wenn man ein wenig um die Ecke denkt." Personalisierte Werbung etwa würde viele Menschen nerven und paranoid werden lassen, ein Mensch mit Einschränkung dagegen würde sich freuen, wenn etwa sein Fernsehgerät weiß, welche Kanäle er gerne ansteuert. Dazu benötigen die Entwickler aber die Informationen der Unternehmen, um ein neues Produkt erstellen zu können. "Wir können neue Lego-Figuren bauen, aber wir brauchen die Steine", so Ebeling.

Bezahlbare Produkte für Menschen mit Einschränkungen, ein Internet der erreichbaren Dinge, damit kann sich auch Stevie Wonder anfreunden. "Ich habe in meinem Leben ja ein paar Dollar durch Konzerte verdient", sagt er. "Aber es gibt Menschen, die sich einige Sachen nicht leisten können." Es sei höchste Zeit, das zu ändern: "Ihr müsst das dringend schaffen, bevor ich aufhöre, mit Musik Geld zu verdienen."

© SZ vom 09.01.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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