Streaming-Dienste:Warum Musiklabels Spotify und Co. verlassen

Lange schien es, als hätten Streaming-Dienste wie Spotify, Napster, Pandora oder das Geheimrezept für den Erfolg von Musik im Netz gefunden. Doch die ersten Musiklabels verlieren offenbar das Vertrauen in die Flatrate-Angebote - und kehren dem System den Rücken.

Helmut Martin-Jung

Sie haben noch keinen Zugang? Einfach hier klicken! Benutzername, Passwort, ein paar weitere Angaben und die Schleuse ist offen. Die Schleuse zu einem Meer an Musik. 15 Millionen Songs, 20 - was immer das Ohr begehrt, man muss es nicht mehr mühsam auf einem Datenträger kaufen, ihn zu Hause im Regal suchen, einlegen. Es ist ganz einfach da. Auf Abruf und strömt Musik über die Internetleitung ins Haus.

Spotify Screenshot

Streamingdienst Spotify: Alle, was das Ohr begehrt - doch wenig, was die Musiklabels zufrieden macht.

(Foto: online.sdedigital)

Längst haben sich die Hersteller von Musikanlagen darauf eingestellt. Der Netzwerkanschluss oder die Funkverbindung sind oft schon der Hauptweg, auf dem Musik Eingang findet. Auch die Autoindustrie denkt - getrieben von Nutzerwünschen - darüber nach, wie Internet-Musikdienste in die Infotainment-Systeme integriert werden könnten.

Spotify, Napster, Pandora, Simfy, Last.fm und wie sie alle heißen, sie schienen dafür das passende Modell gefunden zu haben. Sie verlangen entweder eine vergleichsweise moderate Monatsgebühr um die zehn Euro, oder sie blenden zwischen den Songs Werbung ein.

An die Künstler oder die Verwertungsgesellschaften führen diese sogenannten Streaming-Dienste Gebühren ab. Die sind zwar pro Song äußerst gering, es ist - so sieht es ihr Geschäftsmodell vor - die Masse, die es machen soll.

Indie-Labels verlassen Spotify

Doch dieses System ist gefährdet: Die Streaming-Dienste werden von der Musikindustrie mit Prozessen überzogen. Und es laufen ihnen die Labels davon. Bereits im August wurde bekannt, dass das Metal-Label Century Media seine Bands aus - dem hierzulande noch nicht nutzbaren Dienst - Spotify zurückgezogen hat.

Nun folgt ein noch größerer Exodus: Der britische Dienstleister ST Holdings, unter dessen Dach 238 kleinere Labels aus Drum & Bass, Dubstep und Techno ihre Musik anbieten, zieht sich gleich aus vier Streaming-Diensten zurück. Für die Bands bleibe schlichtweg zu wenig Geld zum Leben.

Damit setzt sich die Entwicklung fort, die Mitte der neunziger Jahre begonnen hat. Mehrere Dinge waren damals zusammengetroffen: Das Internet wurde mit der Einführung des World Wide Web für alle zugänglich.

Forscher des Fraunhofer-Institutes hatten das MP3-Verfahren entwickelt, mit dem sich digitale Musikdateien nahezu ohne Qualitätsverlust auf einen Bruchteil ihrer ursprünglichen Größe zusammenschrumpfen ließen. Und Computer machten es möglich, Dateien von Compact Discs auszulesen und sie in Windeseile in kleine MP3-Dateien umzuwandeln.

Es schlug die Stunde der sogenannten Tauschbörsen. Immer raffinierter programmierte Systeme erlaubten es Computernutzern, Dateien über das Internet untereinander auszutauschen. Ein jeder, der dabei mitmachte, war gleichzeitig Sender und Empfänger.

Schon wenn ein Lied noch gar nicht komplett heruntergeladen war, wurden Fragmente davon bereits wieder hochgeladen, um andere Nutzer zu bedienen. Mit dieser dezentralen Struktur gelang es nicht bloß einige Zeit lang, die Behörden zu narren, man umschiffte damit auch das notorische Problem, ein riesiges Rechenzentrum einrichten zu müssen, auf dem die Dateien hätten gespeichert werden müssen.

Und das man einfach hätte zusperren können. Mit Änderungen des Urheberrechts und Massenabmahnungen - alles unter dem Lobbyeinfluss der Musikindustrie - gelang es, das Wachstum der Tauschbörsen zu verlangsamen.

Musikbranche sucht nach tragfähigen Konzepten

Mehr für die Musikindustrie geleistet hat Apple. Der Computerkonzern ist mittlerweile auch der größte Musikhändler der Welt. Er überzeugte die Granden der Branche davon, dass sie ein Modell brauchen, mit dem sie in der digitalen Welt überleben können, wo die völlig identische Kopie immer nur einen Klick weit entfernt ist.

99 Cent für ein Lied, 9,99 Dollar für ein ganzes Album, das ist zwar weniger als früher, als die Single CD noch für 4,99 verkauft wurde. Doch es bleibt ein substanzieller Betrag übrig, für Labels und Künstler. An einem Album-Download für 9,99 verdient der Künstler einer britischen Erhebung zufolge immerhin noch knapp zehn Prozent. Würde er die CD selber pressen lassen, wären es zwar achtmal soviel - nur hätte er damit nicht im Ansatz die weltweite Präsenz wie sie ihm Apple oder Amazon bieten können.

Während man jedoch bei Apples iTunes oder anderen Download-Anbietern die Datei herunterlädt, bei sich speichert und sie auch vervielfältigen kann, taucht man bei den Streaming-Diensten in den musikalischen Fluss ein, schöpft aber - zumindest offiziell - nichts ab. Die Dienste haben daher mit den Labels andere Vereinbarungen ausgehandelt.

Wird ein Lied als Datenstrom verschickt, bezahlt beispielsweise Spotify im Durchschnitt etwa 0,0017 Dollar an die Plattenfirma, der Künstler erhält davon 15 Prozent, also 0,000255 Dollar. Damit ein Künstler den Mindestlohn von 1160 Dollar im Monat verdient, müsste sein Song in diesem Zeitraum knapp 4,55 Millionen Mal gestreamt werden.

Die Geschichte wird die Fragen beantworten

Dass Künstler abseits des Mainstreams so nicht reich werden, ist völlig klar. Doch die kleinen Labels beobachten noch eine andere Entwicklung. Da mit dem Aufkommen der Streaming-Dienste gegen eine geringe Gebühr quasi die Popmusik als Ganzes über das Netz zur Verfügung steht, sinkt ihrer Erfahrung nach die Bereitschaft der Kunden, diese Musik als CD oder Download zu kaufen.

Zwar ist es noch keineswegs so, dass man etwa im Auto oder in der Bahn unterbrechungsfrei Musik von Streaming-Diensten nutzen könnte, auch die auf ein bestimmtes Volumen begrenzten mobilen Datentarife lassen das noch nicht zu. Doch die Musik lässt sich eben auch vergleichsweise leicht abgreifen, somit doch wieder speichern und - was mittlerweile sehr gerne gemacht wird - im Freundeskreis mittels externer Festplatten gleich gigabyteweise tauschen.

Während somit die Frage nach einem tragfähigen Konzept für die Musikbranche immer noch offen ist, stellt sich die nach der Wirkung des Internets auf die Musik als solche erneut mit großer Dringlichkeit. Was bedeutet es, wenn die gesamte verfügbare Musik nicht bloß irgendwo gespeichert, sondern auf Klick abrufbar ist? Was folgt daraus, dass es unabhängige Musik, Musik abseits des Mainstreams kommerziell schwer hat? Diese Fragen wird erst die Geschichte beantworten.

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