Störerhaftung:Abmahnanwälte stöhnen - Internetnutzer jubeln

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Unterwegs per Wlan surfen wird einfacher für die Nutzer, und die Betreiber der Zugänge müssen künftig keine teuren Abmahnungen mehr befürchten. (Foto: Robert Schlesinger/dpa)
  • Die Koalition schafft die Wlan-Störerhaftung ab.
  • Das hieß es bereits Anfang Mai, damals war jedoch unklar, wie weitreichend die neue Regelung tatsächlich ausfällt.
  • In der Gesetzesbegründung wird deutlich, dass die Regierung Wlan-Anbieter vor der Übernahme von Abmahn- und Gerichtskosten schützen will.

Von Guido Bohsem, Berlin

Das Misstrauen der Netzgemeinde war groß. Immer wieder wurde angezweifelt, ob Union und SPD ihre Ankündigung umsetzen und der Störerhaftung tatsächlich ein Ende bereiten würde. Die Rede war von "Hintertüren für die Abmahnindustrie" und einem "Täuschungsmanöver". Auch der Piratenpolitiker Tobias McFadden, der durch seine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof die Änderung erzwungen hatte, zeigte sich zunächst skeptisch, wollte vor dem Feiern lieber den genauen Gesetzestext abwarten.

Am Dienstag nun haben sich die Netzpolitiker von Union und SPD auf die genaue Formulierung verständigt - und auf den ersten Blick scheinen die Kritiker Recht zu bekommen. In dem der SZ vorliegenden Gesetzestext selbst werden die Anbieter von öffentlichen drahtlosen Netzen (Wlan) lediglich mit Internetdienstanbietern wie zum Beispiel der Deutschen Telekom oder Vodafone gleichgestellt. Wie diese haften sie somit nicht für strafbare Handlungen, die in ihren Netzen begangen werden.

Wlan-Betreiber werden vor Abmahnungs- und Gerichtskosten geschützt

In der Begründung des Gesetzestextes wird jedoch ausdrücklich darauf hingewiesen, dass damit künftig auch keine Abmahnungs- und Gerichtskosten mehr erhoben werden dürfen. Gesetzesbegründungen haben keine Gesetzeskraft. Jedoch spielen sie bei der Frage, wie der Gesetzgeber die rechtliche Regelung verstanden haben wollte, eine zentrale Rolle. Sie helfen den Juristen also bei der Interpretation und der Auslegung des Gesetzestextes.

"Wir glauben, die Wlan-Störerhaftung mit der Begründung ausgehebelt zu haben", hieß es in der Koalition. Das heißt, künftig muss niemand mehr eine Abmahnung fürchten, wenn Dritte über den Wlan-Anschluss illegale Kopien von Musikstücken, Filmen oder Fernsehserien verbreiten. Dieses Vorgehen war eben durch das Prinzip der Störerhaftung möglich geworden, die eine Verantwortung für den Rechtsbruch im Zweifel dem Netzbetreiber zuweist. In den vergangenen Jahren war eine regelrechte Industrie entstanden, die den betroffenen Wlan-Betreibern mit Abmahnschreiben und überhöhten Gebührenforderungen zu Leibe rückt.

800 bis 1000 Euro werden beispielsweise für einen illegal getauschten Film verlangt. Die Verbraucherzentrale Bundesverband hatte in einer Umfrage 2012 ermittelt, dass damals bereits mehr als vier Millionen Abmahnungen verschickt worden sind. Neuere Erhebungen gibt es nicht. Inzwischen dürfte die Zahl weit höher liegen.

Das Wlan-Gesetz dürfte im Herbst in Kraft treten

Der Gesetzesentwurf war seit Monaten in der Koalition umstritten. Im Entwurf des Bundeswirtschaftsministeriums sollte der Zugang zum öffentlichen Wlan noch durch eine sogenannte Vorschaltseite geregelt werden. Nutzer der Zugänge hätten dann auf einer ersten Seite versichern müssen, keine Rechtsverstöße zu begehen. Dieser als "Lügenseite" verspotteten Zwischenschritt war heftig kritisiert worden.

Unter den Fachpolitikern der Koalition hatte es von Beginn Bedenken gegen die Vorschaltseite gegeben. Doch erst die Einlassung des Generalanwalts des Europäischen Gerichtshofes im Verfahren des Piratenpartei-Mitglieds McFadden hatte zu einem Umdenken auch in der Regierung geführt. Dieser hatte die Meinung vertreten, dass die E-Commerce-Richtlinie der EU auch Hotels und Cafés von Schadenersatz und Abmahnkosten ausnimmt, wenn über ihren Zugang eine Rechtsverletzung geschieht. Der SPD-Netzpolitiker Lars Klingbeil sagte, offenes Wlan ohne Vorschaltseiten oder Passwortpflichten gehöre zu einer modernen digitalen Infrastruktur. "Deshalb war uns dieses Vorhaben besonders wichtig." Das Wlan-Gesetz werde in dieser Woche endgültig beschlossen. Damit wird es wohl im Herbst in Kraft treten.

In der Koalition hieß es, die Ausarbeitung der Begründung sei wegen der kniffligen Rechtslage schwierig gewesen. Entsprechend liest sie sich. So heißt es über die offenen Wlan, dass "die Beschränkung der Haftung horizontal jede Form der Haftung für rechtswidriges Verhalten jeder Art" umfasse. Das Übertragen des Privilegs der Internetdienstanbieter auf die Betreiber eines offenen Wlan wiederum umfasse uneingeschränkt auch die verschuldensunabhängige Haftung im Zivilrecht nach der Störerhaftung. "Sie steht daher nicht nur einer Verurteilung des Vermittlers zur Zahlung von Schadenersatz, sondern auch seiner Verurteilung zur Tragung von Abmahnkosten und der gerichtlichen Kosten im Zusammenhang mit der von einem Dritten durch die Übermittlung von Informationen begangenen Rechtsverletzung entgegen.

© SZ vom 01.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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