Selbstdarstellung im Netz:Das Ego geht online

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Den Drang, sich zu präsentieren, gab es schon vor Facebook: Das Internet ist der Katalysator, aber nicht die Ursache für die virtuelle Selbstdarstellung.

Dirk von Gehlen

Es ist über zehn Jahre her, dass Douglas Adams einen Text mit dem programmatischen Titel "Wie man aufhört, übers Internet zu jammern, und lernt, es zu lieben" verfasste.

Wir sind alle gerne Superhelden - nicht nur im Internet. (Foto: iStock)

Darin fragt der Autor von "Per Anhalter durch die Galaxis", warum es beispielsweise in einer Polizeimeldung besonders betont werden müsse, wenn ein Verbrechen übers Internet verabredet wird. Würden die Kriminellen ihren Plan bei einer Tasse Tee oder am Telefon aushecken, würde man es vermutlich nicht extra notieren.

Auch mehr als zehn Jahre nach Adams' Text wird das in Wahrheit gar nicht mehr so junge Medium also nicht als Werkzeug, sondern als Ursache für gesellschaftliche Fehlentwicklungen gesehen. Besonders ausgeprägt scheint diese Entwicklung in Fragen der individuellen Präsentation im Internet zu sein.

Was, wenn das Netz nur ein Werkzeug ist?

Von "virtuellem Exhibitionismus" kann man dann lesen, von einer "Sucht zur Selbstdarstellung". Dass Menschen Informationen teilen und sich online in einem guten Licht präsentieren wollen, hinterlässt hauptberufliche Grübler ratlos. Sie können nur mit einer Mischung aus Arroganz und Mitleid in das für sie undurchsichtige Netz blicken.

Doch vielleicht liegen die Gründe für die virtuelle Darstellung der eigenen Person ja auch außerhalb des Web; im ganz realen Leben. Denn dort stört sich niemand an der Ich-Inszenierung. Selbstdarstellung ist hier nicht Ergebnis von Exhibitionismus, sondern Ausdruck wirtschaftlicher Vernunft und somit - in Zeiten wie diesen - fast schon erste Bürgerpflicht.

"Ich-AG" ist ein deutscher Begriff

Denn nicht erst seit der Banken- und Finanzkrise lehrt eben diese wirtschaftliche Vernunft, dass ein jeder sein eigener Unternehmer sein und sich als Marke dem Wettbewerb mit anderen stellen muss. Anders ausgedrückt: In diesem Offline-Fall ist offenbar durchaus richtig, dafür zu sorgen, dass man sich in einem guten Licht präsentiert.

Die Existenzförderung, aber vor allem der Begriff der "Ich AG" hat unter dem Slogan "Fördern und Fordern" eine Form des Selbstmarketings in Deutschland etabliert, die ihre Wurzeln in einem eigeninitiativen "Streben nach Glück" hat, das genau so aus Nordamerika stammt wie die jetzt kritisierten Web-Börsen der Ich-Inszenierung.

Bevor das sich ausbreitende Facebook diesen Markt zu dominieren begann, war er bestimmt von Partnerschafts- und Job-Netzwerken - und somit von dem Streben nach Glück in den beiden nicht unwesentlichen Lebensbereichen Liebe und Arbeit.

Das Interesse der Menschen für diese Themen haben aber natürlich nicht die Datingsites oder Karrierenetzwerke erfunden, sie bedienen sich dessen lediglich besonders gut - und funktionieren so wie der Katalysator für eine Entwicklung, die ihre Ursache woanders hat.

Gleiches gilt für die dank Facebook auf alle Lebensbereiche ausgedehnte Eigenvermarktung im sozialen Web. Nicht Marc Zuckerberg hat die Sehnsucht der Menschen nach Aufmerksamkeit erfunden. Er und sein Unternehmen bedienen sie eben nur allumfassend - in kleinen, schnell klickbaren Dosen.

Das Überstunden-Konzept stammt nicht aus Kalifornien

Dabei kommt ihnen zugute, dass all die Mechanismen der (Arbeits-)Kontrolle und Disziplinierung, die vor ein paar Jahrzehnten noch extern von einem dauerpräsenten Chef realisiert werden mussten, heute im eigenverantwortlichen Arbeitnehmer selbst verankert sind.

Die sich verflüssigende Grenze zwischen dem, was früher als privat und beruflich unterschieden wurde, das selbstverständliche Arbeiten in Vertrauensarbeitszeit (auch am Abend und am Wochenende) sowie die Verpflichtung zum lebenslangen Lernen und Weiterbilden - all das stammt nicht aus den Start-Up-Garagen des Silicon Valley. Dort weiß man aber sehr gut damit umzugehen.

Man greift zu kurz, wenn man die Kritik an den digitalen Jahrmärkten der Eitelkeiten auf das Eitle und das Digitale beschränkt. Menschen üben in diesen Netzwerken das Spiel mit Identitäten, sie lernen, wie Soziologen es formulieren, die Stärke so genannter schwacher Bindungen.

Konventionen aus der Offline-Welt

Der Wille dazu ist vermutlich ein zutiefst menschlicher. Die Offenheit, sich auf dieses Spiel einzulassen, gründet sich auf gesellschaftliche Konventionen, die in der Offline-Welt zum guten Ton gehören. Warum sollte man also den Kopf schütteln über jene, die in der Online-Welt nach diesen Regeln mitspielen wollen.

Douglas Adams schließt seinen Text von 1999 übrigens mit einem langen Seufzer über all die neuen Modebegriffe, die rund um das Internet entstanden sind. In vielen Fällen würden sie nur Entwicklungen in neue Worte kleiden, die in Wahrheit so neu nicht sind - beziehungsweise mit dem Entstehen des Web nichts zu tun haben.

Von der Selbstdarstellung im Internet schreibt er nicht, mit dem Wissen von heute kann man aber sagen: Der Science-Fiction-Autor hat auch hier erstaunliche prognostische Fähigkeiten bewiesen.

Lesen Sie den Themenschwerpunkt "Das Ich als Ware" in der SZ-Wochenendausgabe vom 5./6. Juni 2010 und weitere Artikel zum Thema in der Süddeutschen Zeitung.

© SZ vom 05.06.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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