Pkw-Maut der Bundesregierung:Es war einmal ein Datenschutz-Märchen

Maut-Brücke

Die Pkw-Maut ist ein Datenschutz-Desaster? Völlig übetrieben, meint Hans Peter Bull

(Foto: dpa)

Die Pkw-Maut verträgt sich mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Sicherheitsbehörden neigen zwar manchmal zu Übereifer. Aber es ist Unfug, die Polizeibehörden wie einen Unterdrückungsapparat anzusehen.

Gastbeitrag von Hans Peter Bull

Zur Person

Hans Peter Bull, 78, war Universitätsprofessor für Öffentliches Recht, Bundesbeauftragter für den Datenschutz (1978-1983) und Innenminister des Landes Schleswig-Holstein (1988-1995).

Ob der Plan des Bundesverkehrsministers Alexander Dobrindt klug ist, von Ausländern eine Autobahnmaut zu erheben, kann man mit guten Gründen bezweifeln. Dass aber "der Datenschutz" diesem Plan entgegenstehe - das stimmt nicht.

Man mag über die Zweckmäßigkeit und auch über die Verfassungsmäßigkeit der Maut streiten. Man kann vor allem darüber streiten, ob sie mit dem europarechtlichen Gebot vereinbar ist, In- und Ausländer gleich zu behandeln. Darüber sollen sich diejenigen den Kopf zerbrechen, die das Vorhaben in ein deutsches Gesetz umsetzen wollen, und die Verfechter des europäischen Gemeinschaftsrechts werden ihre Einwände vortragen. Die amtlichen Datenschützer und ihre "followers" in der Öffentlichkeit sind in diesen Fragen nicht kompetenter als die Gesetzgeber.

Zur angemessenen gesetzlichen Regelung gehören selbstverständlich die Bestimmungen über den richtigen Umgang mit den anfallenden Daten. Das sind die Aufzeichnungen über die gefahrenen Kilometer und die zahlungspflichtigen Autofahrer, vor allem über die Löschung der Daten, nachdem die Maut gezahlt ist. Doch wo steht in der Verfassung, dass die Aufzeichnungen nicht mit elektronischen Messgeräten hergestellt und elektronisch ausgewertet werden dürfen?

Einige Kritiker der Maut behaupten, das folge aus dem Grundrecht auf "informationelle Selbstbestimmung", das bekanntlich vom Bundesverfassungsgericht aus dem Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit in Verbindung mit dem Schutz der Menschenwürde entwickelt wurde - den höchsten Gütern der Verfassung, die in den Artikeln eins und zwei des Grundgesetzes als wichtigste Aufgaben des Staates beschrien werden.

Solche Behauptungen werden regelmäßig aufgestellt, wenn eine neue Anwendung der Informationstechnik aufkommt. Es wird dann gesagt, die große Menge der erhobenen Daten und die vielen Verarbeitungsmöglichkeiten würden die Besitzer der Daten zum Missbrauch verführen. So begründe zum Beispiel die Möglichkeit, aus den Verkehrsdaten individuelle Bewegungsbilder zu erstellen - und dies sei eine Gefahr für die Selbstbestimmung der Betroffenen.

Die Verfassung gewährleistet die "informationelle Selbstbestimmung" aber keineswegs umfassend und lückenlos. Sie gewährt sie unter dem Vorbehalt gesetzlicher Regelungen. Das Bundesverfassungsgericht hat von dem ersten Urteil an, in dem es 1983 das Recht auf informationelle Selbstbestimmung herausgearbeitet hat, sogleich die Schranken bezeichnet: Der Gesetzgeber kann den Umgang mit persönlichen Daten regeln; er muss diese Regelungen nur "normenklar" und "verhältnismäßig" gestalten. Die Gemeinschaft kann verlangen, dass der Einzelne relevante Informationen über sich preisgibt oder ihre Sammlung und Verwendung duldet, soweit sie zu legitimen Zwecken und in geregelten Bahnen erfolgt. Der Einsatz von Informationstechnik ist somit keineswegs grundsätzlich verboten oder nur ganz ausnahmsweise erlaubt.

Das Verfassungsgericht klingt wie ein Verschwörungstheoretiker

Vor einigen Jahren ist Verfassungsbeschwerde gegen landesgesetzliche Regelungen erhoben worden, die das automatische Ablesen von Kraftfahrzeug-Kennzeichen und ihre Auswertung zu Zwecken der polizeilichen Fahndung erlaubten. Das Bundesverfassungsgericht ist darauf erstaunlicherweise eingegangen. Sein Urteil aus dem Jahr 2008 beruht im Kern auf der Behauptung, die angewandte Methode werde "Einschüchterungseffekte" verursachen. Die Richter befürchteten, die "Unbefangenheit des Verhaltens" werde gefährdet, "wenn die Streubreite von Ermittlungsmaßnahmen dazu beiträgt, dass Risiken des Missbrauchs und ein Gefühl des Überwachtwerdens entstehen".

Das ist die Art pauschaler Argumentation, die den verbreiteten Verschwörungstheorien entspricht, vorgetragen ausgerechnet vom höchsten Verfassungsgericht. Dabei wird aber übersehen, dass es zahlreiche rechtliche und praktische Hindernisse gibt, die den Missbrauch der gesammelten Daten verhindern - nicht zuletzt die Kontrolle durch die Datenschutzbeauftragten. Und es wird schlicht unterlassen zu fragen, wer denn ein Interesse daran haben könnte, ein umfassendes Überwachungssystem gegen jedermann einzurichten. Es stimmt: Sicherheitsbehörden neigen manchmal zu Übereifer. Aber es ist Unfug, die deutschen Polizeibehörden wie einen potenziellen Unterdrückungsapparat nach Art der Gestapo oder der Stasi anzusehen.

Wer untersuchen will, ob eine Methode der Datensammlung oder Datenverarbeitung verfassungskonform ist, muss zunächst fragen, ob der damit verfolgte Zweck legal und legitim ist und die eingesetzten Mittel keine verbotenen Nebenwirkungen haben. Es gibt Zwecke, die gewichtiger sind als andere; gewichtige Zwecke gehen den weniger wichtigen vor. Gefordert ist also die Bewertung des Informationsvorgangs und die Abwägung seines erwartbaren Nutzens mit den möglichen Nachteilen. Dann erst kann entschieden werden, ob und unter welchen Modalitäten dazu personenbezogene Daten gesammelt werden dürfen.

Der vermeintlich perfekte Datenschutz

Der Gesetzgeber hat bei dieser Abwägung übrigens bisher meist dem Interesse des Fiskus an der Erhebung von Steuern und Gebühren einen besonders hohen Rang eingeräumt. Um ehrliche Angaben zu erhalten, schützen unsere Finanzämter die Betroffenen vor fremder Neugierde. Das Steuergeheimnis wird höher gehalten als viele andere berechtigte Interessen. Ebenso ist man bei den Mautdaten vorgegangen. Sie dürfen überhaupt nur für die Zwecke der Mauterhebung genutzt werden. Staatsanwaltschaften und Polizei haben keinen Zugriff darauf.

Dass solche Daten nicht einmal dazu genutzt werden dürfen, schwerste Straftaten zu verhindern oder aufzuklären, zeigt deutlich, welche Schlagseite ein vermeintlich perfekter Datenschutz verursacht. Die fiskalisch bedeutsamen Daten gegen jegliche Ermittlungsarbeit der Polizei abzuschotten, war ein schwerer Fehler des Gesetzgebers. Angemessener wäre es, den Schutz der Mautdaten nach demselben Prinzip zu modifizieren, nach dem das Steuergeheimnis an neue Notwendigkeiten angepasst wurde. In der Abgabenordnung ist die Offenbarung von Steuerdaten jetzt unter anderem dann ausdrücklich zugelassen, wenn es um die Verfolgung schwerer Straftaten, der Schwarzarbeit und der Geldwäsche geht.

Die Steuerdaten sind sehr viel aussagekräftiger als die Mautdaten. Ein allgemeines Überwachungssystem wird weder aus dem einen noch aus dem anderen Datenverarbeitungssystem entstehen.

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