Online-Journalismus:Mitten in der Evolution

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Das Netz macht Enthüllungsgeschichten zur öffentlichen Aufgabe: Wie Wissen und Geld der Internetnutzer dem Journalismus in Krisenzeiten helfen.

Michael Moorstedt

Peter Shankman sagt, er habe ein Herz für Reporter. Er sagt, er weiß um ihre Nöte: ständig vernetzt sein, die ständige Suche nach dem richtigen Ansprechpartner zur richtigen Zeit. Seine Website helpareporterout.com verspricht ein Instant-Netzwerk, vor dem sich das Adressbuch jedes noch so gestandenen Journalisten schämen muss. 100.000 sogenannte Sources haben sich seit dem Start des Projekts im Frühjahr 2009 eingetragen.

Leser zahlten der Reporterin Lindsey Hoshaw 10.000 Dollar für eine Recherchereise (Foto: Screenshot: YouTube)

Wer nun Expertenwissen für seine Geschichten benötigt, trägt in ein Formular Thema und Deadline ein, drückt auf Senden. Und wartet. Mehr als 1000 solcher Anfragen vermittelt der Dienst jede Woche. Das Netz antwortet prompt. Die Reaktionen der Journalisten sind überwiegend positiv. Noch dazu ist der Service gratis.

Es gehe ihm nur um "das gute Karma", schreibt Shankman, der sich auf seiner privaten Website selbstbewusst als "CEO, Unternehmensgründer, Abenteurer" vorstellt, und, wohl aus Erfahrung, gleich auch ein Problem adressiert: "Fragen Sie sich, ob sie dem Journalisten wirklich helfen können. Bitte melden Sie sich nicht auf die Anfragen, wenn Sie nur Ihren Namen in einer Zeitung lesen wollen."

Der Obama-Effekt im Journalismus

Einen ähnlichen Weg der netzgebundenen Kontaktliste schlägt der Dienst Hacktweets ein. Dessen Gründer wollen dem Kurznachrichtendienst Twitter endlich einen praktischen Nutzen verleihen. Journalisten können dort ihre Fragen thematisch bündeln und so auf die Weisheit einer breiten Masse hoffen - auf Antworten aus dem großen Gedankenstrom namens Internet.

Projekte wie diese haben die amerikanische Journalistin Tanja Aitamurto veranlasst, in einem Artikel für die Onlinezeitung Huffington Post vom " Obama-Effekt im Journalismus" zu schreiben.

Aitamurto vergleicht diese Art Journalismus mit der Mobilisierung der Massen über soziale Netzwerke während Barack Obamas Kampagne 2008. Knapp 500 Millionen Dollar sind so über Mikro-Spenden für seinen Präsidentschafts-Wahlkampf zusammengekommen. Aber aus dem Netz kam für den Kandidaten nicht nur Geld, sondern auch eine Welle der tatkräftigen politischen Unterstützung.

Auf solche Effekte hofft jetzt die Medienbranche. Mitte November verkündete ausgerechnet ein Sprecher der glamourösen Vogue, dem Flaggschiff des Condé Nast Verlags, eine Kooperation mit der Firma Blue State Digital. Das Start-up-Unternehmen, das dem amerikanischen Präsidenten half, sein soziales Netzwerk mybarackobama.com aufzubauen, soll Vogue sowohl auf redaktioneller als auch wirtschaftlicher Seite beraten. Ein bemerkenswerter Sinneswandel: Bis vor kurzem weigerte sich die elitebewusste Vogue-Chefredakteurin Anna Wintour, das Wort Blog auch nur auszusprechen.

Doch Medienschaffende wollen nicht nur Netzwerke finden, sondern auch die Geldbeutel der Massen anzapfen. Websites wie spot.us, kickstarter.com oder kachingle.com versprechen Hilfe.

In sogenannten Pitches stellen freie Journalisten oder Dokumentarfilmer ihre Projekte und auch sich selbst vor: Welches Feld ihre Geschichte bearbeiten will, wie viel Geld und Zeit sie benötigen, wer davon profitiert, was sie dafür qualifiziert. Ist ein Nutzer vom Konzept überzeugt, kann er spenden, von 20 Dollar an aufwärts. Die Gabe ist steuerlich absetzbar.

Crowdfunding heißt das Wort dafür im englischen Sprachraum, eine neue Art der Kapitalbeschaffung in einer krisengebeutelten Branche. Vor kurzem verschaffte sich die freie Journalistin Lindsey Hoshaw auf diesem Weg eine Recherchereise in den Nordostpazifik, 10.000 Dollar bezahlten die Nutzer von spot.us für ihre Story.

Hoshaws Text erschien in der New York Times, trotzdem musste sie von dem gesammelten Geld nichts zurückzahlen. Das ist der Ausnahmefall. Normalerweise finanziert die Internetgemeinde eine journalistische Arbeit mit dem Ziel einer Veröffentlichung im Netz.

Unterstützung für Einzelkämpfer

Jedoch können große Nachrichtenorganisationen ein Erstdruckrecht erwerben, zum Preis von mindestens 50 Prozent der öffentlich getragenen Kosten. Kommt ein solcher Deal zustande, werden diese Einkünfte an die Gönner ausgeschüttet.

Idealismus spielt beim Mäzen Masse eine große Rolle: Die meiste Zuwendung erhalten jene Geschichten, die gesellschaftlichen oder ökologischen Missständen nachgehen. Und das, obwohl sich Studien zufolge nur eine Minderheit der Nutzer vorstellen kann, für Nachrichteninhalte im Internet Geld auszugeben.

Offenbar sind die Unterstützer aus dem Netz eher bereit, Produktionsressourcen für Einzelkämpfer zu liefern, als Konzernen Geld für fertige News-Produkte zu bezahlen. Aber auch beim Crowdfunding geht es um Rechercheleistung, Reisekostenzuschüsse oder Themenfindung - Felder, die früher zu den Kernaufgaben der Nachrichtenhäuser gehörten. Und hatten Redaktionen die Hilfe ihrer Leser bislang vor allem als nettes Beiwerk verstanden, so ist sie in Zeiten der Krise scheinbar zur Notwendigkeit geworden.

Manche Pressehäuser, die unter Sparzwängen leiden, erhoffen von der Internetgemeinde auch ganz konkrete Verstärkung. Wenn der britische Guardian seine Online-Leser aufruft, Spesenpapiere der britischen Parlamentsabgeordneten auf korrekte Abrechnung zu prüfen, dann zeichnet sich darin der Wandel, von dem überall die Rede ist, sehr deutlich ab.

Das Mitmach-Modell scheinen viele spannend zu finden: Etwa 20.000 Leser haben sich gemeldet und bereits mehr als 200.000 Dokumente geprüft. Ergibt sich ein Verdachtsmoment, können sie den Journalisten mittels Mausklick den Auftrag geben, vermeintliche Unstimmigkeiten genauer unter die Lupe zu nehmen.

Auch die Huffington Post lässt sich so bei der Kontrolle von Regierungdokumenten helfen. Nachrichten seien "nicht mehr länger etwas, dass wir passiv aufnehmen", sagte die Gründerin Arianna Huffington in einer Rede Anfang Dezember. "Wir sind alle Teil der Evolution einer Story."

© SZ vom 07.12.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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