Neuer SZ-Blog zum Phänomen Internet-Mem:Bilder, die Sprache ersetzen

Die Mem-Kultur hat eine Art universale Sprache des Web entwickelt: die leicht teilbaren Motive der Netzkultur. In einem neuen Blog erzählen wir jetzt die Geschichten hinter den Bildern, die sich virusartig im Netz verbreiten.

Dirk von Gehlen

gefälltmir.sz.de

Der gebürtige Somalier Mohamed Farah wurde nach seinen Siegen über 5000 und über 10.000 Meter bei den Olympischen Spielen von der britischen Presse als "Magic Mo" und "History Man" gefeiert. Das Netz bejubelt den 29-Jährigen, indem es sein ungläubiges Siegerlächeln in neue Zusammenhänge montiert - zum Beispiel in ein Stierrennen.

(Foto: Tumblr)

Eine kurze Bildsequenz, knapp drei Sekunden lang: ein weiß gekleideter Mensch mit Astronautenhelm lässt sich aus großer Höhe in ein blaues Nichts fallen und verschwindet dann aus dem Sichtfeld. In einer Endlosschleife wird der Sprung des österreichischen Extremsportlers Felix Baumgartner seit Sonntag in einer sogenannten Gif-Datei im Netz wiederholt. Drei Sekunden, die die Essenz dessen bilden, was mehrere Millionen Menschen am Sonntagabend deutscher Zeit beobachteten: wie Felix Baumgartner erst die Schallmauer und damit dann einen Weltrekord gebrochen hat.

Die ersten Sekunden von Baumgartners Sprung im so genannten "Graphics Interchange Format" (.gif) komprimiert und festgehalten bilden das jüngste Beispiel für eine etwas anachronistische Form ein Bild laufen zu lassen. In Zeiten, in denen Motive auf Retina-Displays und in HD-Qualität angezeigt werden, wirkt das animierte gif wie ein Daumenkino im Dolby-Surround-Lichtspielhaus: etwas aus der Zeit gefallen. Weil es aber - anders als die großen hochauflösenden Filmsequenzen - sehr leicht zu verbreiten ist, erfreut sich das Ende der 1980er Jahre erfundene Dateiformat gerade in sozialen Netzwerken einer wachsenden Beliebtheit - wie zum Beispiel das "Moving The Still"-Blog zeigt, das im Rahmen der Miami Art Week im Dezember das animierte Gif feiert:

Denn wenige Sekunden dauernde Endlosschleifen gibt es nicht nur von Sprüngen aus dem All, auch in den amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf bringt das Gif Bewegung: Barack Obama lässt im Netzwerk Tumblr kurze Sequenzen seiner Redengestik posten, Menschen kopieren Gesichtsausdrücke aus ihren Lieblingsserien oder bringen ihr Erstaunen zum Ausdruck, indem sie Prominente zeigen, die die Augen aufreißen.

Staunende Menschen

Tumblr ist das zentrale Angebot um derart staunende Menschen zu beobachten. Das bildlastige soziale Netzwerk wird in diesem Präsidentschaftswahlkampf erstmals von Barack Obama genutzt. Als er den Account http://barackobama.tumblr.com/ im Herbst 2011 anlegte, wollte er damit vor allem weniger formal, menschlicher wirken. Mittlerweile zeigt sich aber auch: Obama macht hier Wahlkampf mit animierten Gif-Dateien und vor allem mit Fotos.

Bilder sind zu einer Art universalen Sprache des Web geworden. Sie überwinden die Sprachgrenzen der Worte und immer mehr Menschen verständigen sich so. Für die britische Psychologin Susan Blackmore ist dies ein unbeabsichtigter aber faszinierender Effekt des Netzes: dass Bilder sich hier quasi selbstständig verbreiten. Sogenannte Internet-Meme nehmen die Form digitaler Viren an, die sich verbreiten - ohne dass der Infizierte das beabsichtigt. Blackmore ist eine der Verfechterinnen der sogenannten Mem-Theorie, die zu beschreiben versucht, warum sich bestimmte Video-Clips oder Bilder so massenhaft im Netz verbreiten.

Dabei handelt es sich zum Beispiel um Videoclips, die einen Wutausbruch Hitlers aus dem Film "Der Untergang" nachvertonen und damit in einen fremden Zusammenhang stellen. Oder um Fotos des italienischen Fußballer Mario Balotelli, der seinen Treffer gegen die deutsche Nationalmannschaft bei der EM 2012 mit freiem Oberkörper feierte - und anschließend in zahlreichen neuen Motiven zu sehen war. Damals konnte sich nicht mal die Bild-Zeitung dem Virus entziehen und druckte ein Balotelli-Mem auf ihrer ersten Seite.

"Wundervollster kreativer Raum"

Auch wenn man nicht alle diese Meme künstlerisch hochwertig finden mag, für die Mem-Expertin Blackmore steht fest: "Wir haben den wundervollsten kreativen Raum eröffnet, den es jemals gab." Vor anderthalb Jahren sang sie bereits im britischen Guardian ein Loblied auf Internet-Meme, die für sie ein Fenster in eine neue sich entwickelnde Welt öffnen. Damit meinte sie sicher nicht das Fenster zum All, das man seit Sonntag im Baumgartner-Mem beobachten kann. Sie meinte die vielen kleinen Bildideen, die durchs Netz getrieben werden und wie Schneebälle wachsen. Ob sie tatsächlich eine neue Welt bilden, sei dahin gestellt. Sicher ist: Sie sind enorm gewachsen und sie sind enorm schnell. Mittlerweile gibt es sogar schon Bilder, die Mario Balotelli in Jubelpose neben dem absprungbereiten Felix Baumgartner zeigen.

Die SZ widmet sich online künftig dem Phänomen "Internet-Mem" in einem eigenen Tumblr-Blog. Unter gefaelltmir.sz.de werden die Geschichten hinter den Bildern erzählt, die sich virusartig im Netz verbreiten.

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