Lückenhafte Kommunikationsnetze:Buddeln für Breitband

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Anschluss verpasst: Politiker schwärmen vom schnellen Internet. Doch mancherorts müssen die Bürger für eine Breitbandverbindung selbst zum Spaten greifen.

Caspar Dohmen

Sie schaufelten einen 1300 Meter langen und etwa 90 Zentimeter tiefen Graben und verlegten die Rohre für die Leitungen selbst. Nur weil sie anpacken, können die tausend Einwohner aus Hegensdorf bei Paderborn durch das schnelle Internet surfen und sich Filme oder Musik herunterladen. Selbsthilfe war notwendig, weil die Deutsche Telekom zuvor bei den Anfragen aus Hegensdorf abgewunken hatte, weil die Verlegung der Leitungen zu teuer sei.

Von der Informationsgesellschaft abgehängt: Fünf Millionen Bürger zwischen Flensburg und Rosenheim warten immer noch auf schnelles Internet. (Foto: Foto: dpa)

Fünf Millionen Bürger zwischen Flensburg und Rosenheim warten immer noch auf schnelles Internet; sie sind mit Anschlussgeschwindigkeiten von weniger als einem Megabit je Sekunde bei gleichzeitig wachsendem Datenhunger neuer Anwendungen praktisch von der Informationsgesellschaft abgehängt.

Möglicher Jobmotor

Dabei geht es nicht nur darum, dass die Bürger Unterhaltungsangebote aus dem Netz nutzen können. Moderne Kommunikationsnetze entscheiden längst über die wirtschaftliche Dynamik in Staaten.

Laut der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit (OECD) steigt in einem Land die Arbeitsproduktivität innerhalb von fünf Jahren um 1,5 Prozentpunkte an, wenn die Rate der schnellen Internetanschlüsse um zehn Prozentpunkte erhöht worden ist. Und schnelles Internet könnte nach Ansicht des Deutschen Städte- und Gemeindebundes ein Jobmotor sein; bei einem flächendeckenden Ausbau könnten hierzulande 250 000 Jobs entstehen, vor allem in ländlichen Gebieten.

Politiker schwärmen schon lange von den Chancen dieser Technologie; schon die rotgrüne Bundesregierung hatte im Jahr 2005 eine Breitbandoffensive gestartet. Und die jetzige Regierungskoalition aus CDU/CSU und SPD setzte sich in diesem Jahr noch ambitioniertere Ziele: Anfang 2010 soll bereits jeder Haushalt über einen Anschluss von wenigstens einem Megabit je Sekunde verfügen.

Anspruch und Wirklichkeit

Drei Viertel aller Haushalte sollen gar bis zum Jahr 2014 einen Breitbandanschluss erhalten, der mindestens eine Übertragungsrate von 50 Megabit je Sekunde ermöglicht - dies wäre 20mal mehr als bei einem herkömmlichen DSL-Anschluss.

Und alle fünf im Bundestag vertretenen Parteien zählen die schnelles Internet ermöglichende Breitbandtechnologie in ihren Wahlprogrammen zur Infrastruktur eines modernen Gemeinwesens, neben Straßen oder Abwasserkanälen.

Anspruch und Wirklichkeit klaffen jedoch auseinander: So ist unklar, wer eigentlich die 40 Milliarden Euro zahlen soll, welche für einen flächendeckenden Ausbau der Technologie in Deutschland veranschlagt werden. Vor wenigen Jahren waren Telekom & Co noch bereit, solche Milliardensummen in den flächendeckenden Aufbau eines UMTS-Netzes für Mobilfunk zu investieren. Nun halten sie sich zurück und schließen fast nur in Ballungsräumen Verbraucher und Firmen direkt das schnelle Glasfasernetz an.

Lesen Sie auf Seite 2, welche dramatischen Folgen Experten aufgrund der Ungleichverteilung von Breitbandanschlüssen für möglich halten.

In den Großstädten können Bürger häufig zwischen mehrere Anbietern wählen. Ganz anders sieht es dagegen auf dem Land aus. Ohne staatliche Unterstützung müsse mit einem teilweisen Marktversagen gerechnet werden, warnte das Bundeswirtschaftsministerium bereits vor Monaten

Tatsächlich sind die Chancen sehr ungleich verteilt: Die meisten Breitbandanschlüsse gibt es mit rund 60 je hundert Einwohnern in Nordrhein-Westfalen, Bayern und Berlin. Weniger als 45 Anschlüsse gibt es in Sachsen-Anhalt, Sachsen, Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg. Wenn dieser Trend anhalte, dann hält der Wirtschaftsprofessor Ulrich van Suntum eine erneute Landflucht für möglich.

Handlungsbedarf für die nächste Bundesregierung

Wie geht es weiter? Das Vorhaben eines gemeinsamen Ausbaus von Städten durch Telekom und Vodafone liegt auf Eis. Beide konnten sich nicht auf die Konditionen einigen. Jetzt soll die Bundesnetzagentur die Bedingungen für die Nutzung des Leitungsnetzes festlegen.

Die Netzagentur steht jedoch selbst in der Kritik. Sie orientiere sich zu stark an dem Wettbewerb in bestehenden Netzen und setze zu wenig Anreize für einen Aufbau der neuen Netze, monieren Experten. Hier könnte sich die nächste Bundesregierung stärker einmischen.

Eine Illusion ist es zu glauben, die Probleme könnten alleine durch die "Digitale Dividende" gelöst werden; als solche bezeichnet man die Nutzung freiwerdender Rundfunkfrequenzen für mobiles Breitband. Im kommenden Jahr soll die Netzagentur die Frequenzen vergeben. Die Vorgaben muss die Politik machen.

In der Wirtschaftskrise hatte die Bundesregierung Geld für den Breitbandausbau bereit gestellt. Aus dem Konjunkturpaket könnten Gemeinden 150 Millionen Euro für Breitbandbau abrufen. Verglichen mit anderen Industrieländern ist dies wenig; selbst kleine europäische Volkswirtschaften wie Portugal oder Griechenland investieren fünfmal mehr öffentliche Fördergelder in den Breitband-Ausbau.

Skandinavische Spitzenreiter

Im weltweiten Vergleich der Pro Kopf-Investitionen der einzelnen Länder liegt Australien mit 1071 Euro auf dem ersten Rang, gefolgt von Neuseeland mit 154 Euro. Hier sind die 1,50 Euro, welche die Bundesregierung je Einwohner investiert, vernachlässigbar. Und selbst diese geringen Fördermittel tröpfeln nur. Grund seien die komplizierten Förderrichtlinien, sagen die Telekommunikationsunternehmen.

Europäische Spitzenreiter bei der Breitbandabdeckung sind Schweden und Norwegen. Jeder zehnte Privathaushalt oder Unternehmer hat hier bereits einen Glasfaseranschluss. Noch aggressiver gehen die Fernoststaaten voran. Mit einer Rate von 44 Prozent ist Südkorea Spitze. Dies funktioniert nur, weil die Regierung kräftig investiert hat.

© SZ vom 8.9.2009/jug/jb - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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