Diskussion um Kulturflatrate:Wie Opportunismus die Urheberrechtsdebatte behindert

Wenn sich Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin plötzlich für eine Kulturflatrate ausspricht, mag er damit gegen die Piraten punkten wollen - die Debatte um das Urheberrecht bringt sein Opportunismus nicht voran. Einfache und schnelle Lösungen für Autoren, Filmemacher und Musiker gibt es nicht.

Andrian Kreye

Es war ein durchsichtiges Manöver, als sich Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin am Wochenende in einem Interview für die Kulturflatrate aussprach. "Jeder zahlt einmal eine Gebühr und kann so viel runterladen, wie er will", gab er dem Magazin Wirtschaftswoche zu Protokoll.

Für einen Wahlkampf gegen die Piratenpartei ist die Kulturflatrate eine schöne Leerformel: So kann man bei digital sozialisierten Jungwählern punkten, ohne die bürgerlichen Stammwähler zu verprellen. Für das eigentliche Problem, wie man nämlich das Urheberrecht reformieren und damit das Auskommen von Autoren, Filmern und Musikern in die Zeiten digitaler Medien retten kann, sind solche politischen Manöver nicht hilfreich. Denn Debatten ums Internet sind längst ideologisch aufgeheizt.

Wer sich für das Urheberrecht ausspricht, gilt dabei schnell als Reaktionär. Der Wutausbruch des Rockmusikers und Schriftstellers Sven Regener, der im Bayerischen Rundfunk die Bedrohung der Urheberrechte als persönliche Beleidigung jedes Künstlers beschrieb, sprach zwar vielen aus der Seele. Genauso wie die hysterischen Reaktionen Zehntausender Demonstranten, die im Handelsabkommen gegen Produktpiraterie Acta ein sinistres Ermächtigungsgesetz vermuteten.

Doch da ist auf beiden Seiten Emotion im Spiel. Das zeigt schon der Kampfbegriff der Raubkopie. Beim illegalen Herunterladen handelt es sich nicht um Raub, denn es wird ja keine Gewalt angewendet. Es geht aber auch nicht um Kopien, sondern um digitale Klone.

Die Zeit der Experimente ist vorbei

Im Kern dreht sich die Debatte um das Internet um eine atemlos rasante technische Entwicklung, hinter der Gesetzgeber, Politik und Kulturindustrie verzweifelt herhecheln. Die alten Regelwerke einfach über Bord zu kippen oder durch halbgare Kompromisse zu ersetzen, nur weil es der euphorische Zeitgeist so will, führt zu keinen Lösungen. Vor allem, weil kaum ein Debattenbeitrag einräumt, dass das Internet im Frühjahr 2012 ein ganz anderes Netz ist als das Internet vor fünf Jahren. Die Zeit der Experimente ist nämlich vorbei.

Momentan kämpfen die vier digitalen Giganten Apple, Amazon, Facebook und Google um eine Vormacht im Netz. Zwischen den Giganten aber bilden sich totalitäre Strukturen heraus, denen Urheberrechte nur im Weg stehen, und für die die selbsternannten digitalen Rebellen letztlich den Weg bereitet haben.

Steve Jobs, Jeff Bezos, Mark Zuckerberg, Larry Page und Sergej Brin sind keine rebellischen Popstars, sondern knallharte Monopolisten. Sie wurden in der aggressiven Investmentkultur des Silicon Valley groß, nicht in der digitalen Subkultur. Für ihre eigenen Urheberrechte und Patente kämpfen sie mit Heerscharen von Anwälten, und wenn es sein muss: mit einem Rollkommando der Polizei.

Wer erhält die Beiträge aus der Flatrate?

Nun reichen die Urheberrechte aus den Zeiten des Buchdrucks und des Grammophons für die technischen Realitäten des 21. Jahrhunderts nicht mehr aus. Doch Kulturflatrates schwächen den Kampf für eine Reformierung des Urheberrechts nur. Sie spiegeln vor, dass es einfache und schnelle Lösungen gibt.

Selbst wenn man den Idealfall eines öffentlich-rechtlichen Modells durchsetzen könnte, wenn also von jedem Haushalt eine Abgabe in der Höhe der Rundfunkgebühren eingetrieben würde - wer oder welche Behörde sollte über die Verteilung der Erlöse bestimmen? Wer bekäme beispielsweise die deutschen Beiträge einer solchen Flatrate? Deichkind oder doch Rihanna? Der Regisseur Christian Petzold oder die Produzenten der "Hunger Games"?

Es geht bei der Debatte um das Urheberrecht im Internet ja keineswegs um Hochkultur. Die wird subventioniert oder finanziert sich über das authentische Einzelwerk. Es geht vor allem um Popmusik und Film. Das sind Produkte für den freien Markt, nicht für bürokratische Systeme oder Subventionsmodelle.

Trittins Hinweis, solche Flatrate-Modelle funktionierten schon im Netz, widerlegt eine Grafik des Datenjournalisten David McCandless. Um den gesetzlichen US-Mindestlohn von monatlich 1160 US-Dollar zu verdienen, muss eine Band entweder 1161 Alben verkaufen, 12.399 Songs auf iTunes absetzen oder rund vier Millionen Mal auf dem Streaming-Dienst Spotify abgerufen werden, mit dem man gegen eine Monatsgebühr so viel Musik auf Computern oder Smartphones abspielen kann, wie man will.

Künstler sind nur selten kaufmännisch begabt

Es gibt nun viele wohlfeile Vorwürfe gegen die Kulturindustrien: Die Plattenfirmen und Filmstudios hätten die technischen Entwicklungen verschlafen. Rockmusiker und Filmer könnten sich im Netz doch selbst vermarkten. Das ist weltfremd. Plattenfirmen und Filmstudios suchen schon lange vergeblich nach Möglichkeiten, Vertriebswege zu finden, die mit der Geschwindigkeit und Gratiskultur der Tauschbörsen konkurrieren können. Wer einen Rocksong oder ein Drehbuch schreiben kann, hat selten auch eine kaufmännische Begabung.

Die digitale Revolution ist buchstäblich eine solche: Revolutionen kippen lediglich bestehende Machtverhältnisse. Wer oder was nach dem Umsturz kommt, ist weder klar noch garantiert. Ideologische Verhärtungen und opportunistische Manöver wie das Trittins helfen niemandem. Höchstens den Monopolen.

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