Digitalwährung:Mit Bitcoins um die Welt

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Eigentlich gibt es Bitcoins nur digital - diese Münzen entstanden nur zur Illustration. (Foto: Bloomberg)

Eine Pizza in New York, ein Henna-Tattoo in Singapur: Ein amerikanisches Ehepaar ist über drei Kontinente gereist - und hat überall nur mit der virtuellen Digital-Währung Bitcoin bezahlt. Dazu war viel Überzeugungsarbeit nötig.

Von Paul Vigna, Wall Street Journal Deutschland

"Mit Bitcoin", sagt Austin Craig. Er steht in der Pizzeria "Lean Crust" im Brooklyner Stadtviertel Fort Greene und lächelt die junge Frau hinter dem Tresen an. "Können wir mit Bitcoin zahlen?" wiederholt er. Verblüfft schaut sie ihn an: "Womit?"

Der 30-jährige Craig muss alle Register ziehen, um die skeptische Pizzaverkäuferin Nadia Alamgir davon zu überzeugen, dass es Bitcoins wirklich gibt. Das virtuelle Zahlungsmittel mysteriösen Ursprungs hat weltweit Boden gut gemacht. Nach Monaten wilder Schwankungen verbuchte die digitale Währung am Sonntag einen Rekordstand von mehr als 500 Dollar zum Bitcoin.

Austin Craig und seine 29-jährige Ehefrau Beccy Bingham-Craig befinden sich auf einer Mission: Sie sollen sich, nur mit Bitcoin ausgestattet, durch die Welt schlagen. Begleitet von einem Kamera-Team, das ihren beschwerlichen Weg dokumentiert, sollen sie drei Kontinente bereisen. Ihre Odyssee begann in Provo im US-Bundesstaat Utah. Als sie in Brooklyn ankommen, haben sie bereits die Hälfte ihrer Weltreise hinter sich.

Manchmal umständlich und frustrierend - aber nie unmöglich

"Bisher war es immer umständlich und manchmal auch frustrierend. Aber unmöglich war es nie", zieht Craig draußen vor der Pizzeria eine vorläufige Bilanz über die Akzeptanz seines Kunstgeldes.

Lean Crust hatte sich selbst zwar als Freund der Cyberwährung angepriesen. Aber dass tatsächlich Kunden in das Lokal spazierten, um mit dem virtuellen Geld eine Pizza zu erstehen, war bisher noch nicht vorgekommen. Nach einigem Hin und Her holt sich Nadia Alamgir Rat beim Ladeninhaber. Der eilt schließlich persönlich herbei, wickelt das Geschäft ab und händigt Craig mehrere Teigstücke aus.

Lean Crust gehört zu einer winzigen, aber steigenden Zahl von Geschäften, Reisebüros und Online-Händlern, die dazu übergehen, die einst undurchsichtige elektronische Währung als Zahlungsmittel entgegenzunehmen.

Bitcoins existieren nicht - außer in der virtuellen Welt. Das Geld kann den Besitzer nur auf elektronischem Weg wechseln. Seine Herkunft liegt im Dunkeln. Es wird allgemein angenommen, dass ein Mann oder eine Gruppe von Menschen unter dem Namen Satoshi Nakamoto die Währung Bitcoin im Jahr 2009 ins Leben gerufen hat. Die Nachfrage nach den "Rechnungseinheiten" wurde dadurch angeheizt, dass sie nur dann erhältlich sind, wenn zuvor auf leistungsstarken Computern komplizierte Rechenprobleme gelöst wurden.

Auch Investoren diskutieren über Bitcoin

Doch der Bitcoin-Zeitgeist greift um sich. In den vergangenen zwölf Monaten hat das Kunstgeld ein Eigenleben angenommen. Mittlerweile wird bei Investorentreffen über Vorzüge und Nachteile der virtuellen Münzen diskutiert. Die Winklevoss-Zwillinge, die wohl am besten wegen ihrem Streit mit Facebook-Gründer Mark Zuckerberg bekannt sind, haben einen Bitcoin-Fonds aufgelegt. Und schon sind auch die Aufsichtsbehörden alarmiert. Sie sorgen sich darum, die digitale Währung könnte zur Geldwäsche missbraucht werden.

Den Craigs allerdings boten die innovativen Groschen die Chance auf ein Abenteuer und die Gelegenheit zu den Hauptdarstellern in einem Undergroundfilm aufzusteigen.

Das Paar trat seine Reise im Oktober an. Die beiden stiegen in Provo in Beccy Bingham-Craigs VW Jetta, Baujahr 2004, und fuhren ostwärts. Nachdem sie am 17. Oktober in New York angekommen waren, flogen sie nach Stockholm, Berlin und Singapur, bevor sie schließlich wieder an ihren Ausgangspunkt zurückkehrten. Insgesamt bestritten sie 101 Tage lang - vom 23. Juli bis zum 1. November - ihr Dasein allein mit Bitcoin.

Dabei gehörten die Craigs noch nicht einmal zum harten Kern der Bitcoin-Gemeinde, als sie das Projekt anpackten. Austin Craig berichtet, er habe zum ersten Mal im Jahr 2011 von der Währung gehört. Und dann sei ihm die Idee gekommen, allein mit Bitcoins bewaffnet zu leben und auf Reisen zu gehen. "Ich bin wirklich ganz begeistert von Bitcoin und ihrer Zukunft", sagt er. "Hier wird Geld neu gedacht."

Die frisch Vermählten waren am 23. Juli aus ihren Flitterwochen zurückgekehrt. Und ab diesem Tag beglichen sie alles, was täglich anfiel, in Bitcoin - von der Miete über das Essen bis hin zur Gasrechnung. Zu dem Zeitpunkt wurde ein Bitcoin an der Tokioter Börse Mt. Gox, an der sich die Anhänger der virtuellen Währung vor allem orientieren, bei rund 98 Dollar gehandelt.

Auf ihrer Abenteuerfahrt galt es allerdings, erhebliche Hindernisse zu überwinden. Einer ganzen Reihe von Menschen mussten sie erst einmal erklären, was Bitcoin überhaupt ist. Um dann ihre ganze Überredungskunst aufzubieten, damit diese Leute ihr neues Kunstgeld auch akzeptierten. Ihren Vermieter Justin James beknieten sie einige Wochen lang, ihre Miete in Bitcoin entgegenzunehmen. Als sie ihm einen kleinen Aufschlag auf die Monatsrate in Aussicht stellten, willigte er schließlich ein und eröffnete sein eigenes Bitcoin-Konto.

Alles in allem, so gesteht James jetzt ein, "war es gar nicht so umständlich wie ich gedacht hatte." Auch wenn das Experiment keinen Bitcoin-Konvertiten aus ihm gemacht hat, habe der Plan für ihn trotzdem amüsant geklungen. Er sei "froh, mitgemacht zu haben".

Tanken unmöglich

Bei ihren Streifzügen durch Provo stießen sie auf einen Lebensmittelladen - LoLo's Fresh Food Warehouse - und eine Autoversicherung, die Bitcoin zuließen. Als nahezu unmöglich erwies sich allerdings immer wieder, für virtuelles Geld Benzin zu erwerben. Anfangs waren die Craigs gezwungen, auf ihr Auto meist zu verzichten. "Während der ersten beiden Wochen konnten wir nirgends tanken", erzählt Austin Craig.

Aus dieser Notlage rettete sie schließlich ein Bitcoin-Fan. Jeremy Furbish, den sie nur unter dem Namen "Furb" kannten, arbeitet nachts in einer Tankstelle außerhalb von Salt Lake City. Er hatte von ihrem Experiment gehört und rief sie an. "Die einstündige Fahrt dahin, Freitags abends um zehn, gehörte bei uns dann zur Routine", berichtet Beccy Bingham-Craig.

Auch Pfadfinder nahmen Bitcoin

Furbish bemüht sich selbst schon seit langem, das Evangelium der Bitcoins zu verkünden. Manchmal zeichne er seine Ware nicht nur in Dollar, sondern auch in Bitcoin aus, verrät er. Aber das, was die Craigs da durchgezogen hätten, habe seine bescheidenen Versuche bei weitem übertroffen. "Das Beste, was mir bisher gelungen ist, war, ein paar Pfadfinder zu überreden, sich in Bitcoin bezahlen zu lassen, nachdem sie bei meiner Ex-Frau den Rasen gemäht hatten", gesteht er.

Schließlich willigte Austin Craigs Firma ein, ihm seinen Lohn in Bitcoin zu überweisen. Und in Deutschland spürten die beiden Partner Reisebüros auf, die keine Scheu vor dem künstlichen Geld haben. Über sie buchten die Craigs Hotels und Flüge für ihre Weltreise.

Während die beiden Bitcoin-Feldforscher in ihrem eigenen Auto unterwegs waren, folgte ihnen die Film-Crew in einem Mietwagen, den der Verleiher und Co-Sponsor des Films, die Five Star Auto Direct in Orem im Bundesstaat Utah, gegen Kunstgeld herausgab. Von Provo aus fuhren sie zunächst nach Denver. Weitere Zwischenstopps legten sie in Kansas City, Chicago und Pittsburgh ein und gelangten schließlich nach New York.

Den VW hatten die Craigs mit Essensproviant und anderen Vorräten vollgepackt. Vier 19-Liter-Behälter mit Benzin lagerten unter einer Abdeckplane, um die austretenden Dämpfe abzuschirmen. Die Ersatzkanister hatten sie vorsorglich geladen, falls sie keine Tankstelle auftreiben konnten, die Bitcoin akzeptierte. "Wir wollten nicht halb verhungert und mittellos in irgendeinem Graben enden", sagt Austin Craig.

Mit Hilfe der beiden der Online-Website SimplyTravelOnline.com und der deutschen Online-Unterkunftsvermittlung 9flats buchten sie Flüge und Unterkünfte für ihre weiteren Etappen.

Pizza in New York, Henna-Tatto in Singapur

In New York konnten sie eine Pizza ergattern. In Stockholm mussten sie allerdings am ersten Abend hungrig zu Bett gehen. In Singapur legte sich Beccy Binghman-Craig gegen Bitcoin ein Henna-Tattoo zu. Und bei jeder Zwischenstation habe sich immer mindestens ein Bitcoin-Anhänger gefunden, der ihnen weitergeholfen habe, erzählt Austin Craig.

"Wir wussten nicht, wie stark uns die Sache auf die Dauer belasten würde", sagt er. "Ganz normale Dinge wuchsen sich plötzlich zu monumentalen Herausforderungen aus."

Auch wenn ihre Bekannten und Verwandten und selbst die Bitcoin-Gemeinde skeptisch war, schafften die beiden es am Ende, über drei Monate lang nur mit Bitcoin über die Runden zu kommen. "Wir haben wirklich nicht geschummelt", beharrt Austin Craig. "Alle dachten, wir würden mogeln."

Und Nadia Alamgir von der Pizzeria "Lean Crust" in Brooklyn haben die Craigs bekehrt. Sie glaubt jetzt an die virtuelle Währung und kann sich vorstellen, sich das Kunstgeld selbst zuzulegen. "Ich bin jetzt ein Fan von Bitcoin", sagt sie begeistert.

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