Computerspiele in der Schule:Jump'n Run durchs Kapillarsystem

  • Kinder und Jugendliche verbringen ihre Freizeit zu großen Teilen mit Computerspielen. In der Schule kommt das Medium allerdings bislang kaum zum Einsatz.
  • Längst gibt es Modellprojekte. In Deutschland geschieht allerdings noch zu wenig.

Von Tim Rittmann

Ein Witz, der unter Lehrern kursiert, geht so: Würde man einen Chirurgen mit einer Zeitmaschine aus dem 19. Jahrhundert in einen modernen Operationssaal teleportieren, wäre er wegen der vielen neuen Geräte heillos überfordert. Ein Lehrer in einer ähnlichen Situation jedoch könnte sofort mit der Arbeit loslegen. Gerrit Neundorf lächelt etwas müde, als er den Witz erzählt. Die Schule von heute ist vielerorts noch die Schule von gestern.

Neundorf ist Medienpädagoge an einem Gymnasium im thüringischen Sömmerda. Zusammen mit Schülern der elften Klasse hat er ein Lernszenario für den Biologieunterricht entworfen - eines, das nicht mit Kreide an die Tafel gemalt wird, sondern mit Hilfe eines Computerspiels entdeckt werden kann.

Digitale 3-D-Klötzchen

Die Schüler steuern darin eine Spielfigur durch ein Ökosystem, gebaut aus digitalen 3-D-Klötzchen. In der Mitte der Spielwelt steht ein großer Baum. Seine Wurzeln wachsen tief in die Erde und Wasseradern verästeln sich in der Krone. Überall sind virtuelle Räume eingerichtet, in denen abgefragt wird, was die Schüler über pflanzliche Versorgungswege wissen: Welche Pflanzenarten benutzen den Kapillareffekt, um Stoffe zu transportieren? Nur wer die Antwort weiß, darf das nächste Level betreten.

"Jugendliche spielen zuhause Computerspiele, das ist ihre Lebenswelt", sagt Neundorf. "Wenn wir sie da abholen wollen, müssen wir gute Lernspiele in Bildungsprozesse integrieren." Das Spiel, mit dem er und seine Schüler andere Schüler abholen wollen, heißt Minecraftedu und ist eine spezielle Version des beliebten Bauklötzchen-Computerspiels Minecraft. Entwickelt wurde es von Gamedesignern und schwedischen Lehrern speziell für den Einsatz in Schulen.

Schüler können damit beispielsweise auf einem eigenen Klassen-Server miteinander kommunizieren. Lehrer wiederum bekommen eine Vielzahl an Lektionen bereitsgestellt und können auch eigene erstellen.

Netzkompetenz ist gefragt

In Schulen ist es üblich, Wissen aus Büchern zu pauken, obwohl privat längst im Netz nachgeschlagen wird. Untersuchungen verweisen jedoch darauf, wie wichtig es vor allem ist, zu wissen, wo Wissen zu finden ist und wie Quellen zu bewerten sind. Eine Kernkompetenz, die nicht erst in der Zukunft gefragt ist, sondern jetzt in der Gegenwart. Aber oft sind Smartphones auf dem Schulgelände tabu, und mit viel Tamtam präsentierte Laptopklassen sind rare Leuchtturmprojekte, die davon ablenken, dass viele Schulen unzureichend ausgerüstet sind.

Selten sind auch Lehrer, die Computerspiele aus einer persönlichen Motivation für ihren Unterricht benutzen. Als SZ.de einen Artikel über einen Lehrer aus Baden-Württemberg veröffentlichte, der seinen Unterricht mit Hilfe von "World of Classcraft" gamifiziert, war die öffentliche Aufmerksamkeit so groß, dass die Schuldirektorin keine Medienanfragen mehr beantwortete, weil sie fürchtete, die Klasse könnte sich dann nicht mehr auf den Unterricht konzentrieren.

Auch Tobias Hübner, Lehrer in Bocholt, ist ein gefragter Mann, einer der wenigen Vorkämpfer für digitale Bildung in Deutschland. Der 34-Jährige programmiert mit seiner Klasse am Mini-Computer Raspberry Pi, erstellte zusammen mit seinen Schülern einen Kanon zur Einbindung von digitalen Lernmitteln - und benutzt Computerspiele im Unterricht.

Gute Beispiele wie "Ludwig"

Hübner nimmt seine Kollegen in Schutz. Noch viel gravierender als der Mangel an Computern oder Tablets sei die unzureichende Lehrerausbildung. "Ich denke, die Motivation der Lehrkräfte ist sehr groß, viele wollen mit digitalen Medien arbeiten, auch mit Computerspielen. Aber es wird einem weder an der Universität noch im Referendariat beigebracht, da fehlt es momentan einfach an Konzepten, was man sinnvoll machen kann."

Dabei gibt es durchaus Beispiele, die zeigen, wie es geht. Das Physik-Lernspiel "Ludwig" ist das Resultat einer Kollaboration zwischen Gamdesigern und Forschern der österreichische Donau-Universität Krems. Es ist im deutschsprachigen Raum ein Vorzeige-Projekt. "Ludwig" hat zwei Besonderheiten: Es orientiert es sich am offiziellen österreichischen Lehrplan - und es sieht es wirklich gut aus. Also wie ein Computerspiel und nicht wie eine Lernsoftware.

Wie genau Schüler "Ludwig" nutzen, wird von der Uni derzeit erforscht. Bislang gibt es kaum wissenschaftliche Erkenntnisse, ob Lernspiele tatsächlich die Zukunft bedeuten, oder bloß oberflächliche Wissens-Daddelei sind, die nur motiviert, weil sie vom drögen Standard-Unterricht ablenkt.

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