Assassin's Creed Syndicate im Test:Mörder geben niemals auf

Lesezeit: 3 min

Ein bisschen Batman im London des 19. Jahrhunderts: "Assassins Creed Syndicate" (Foto: Ubisoft)

Sinn ergibt Assassin's Creed schon lange nicht mehr. Spaß macht die Spieleserie trotzdem noch.

Von Jan Bojaryn

Wie hoch der Palace of Westminster wirklich ist, merkt der Spieler, wenn er den Clock Tower emporklettert, am Zifferblatt der gigantischen Uhr vorbei. Auf der Turmspitze kann er hocken, als wollte er ein Ei legen, und den Blick schweifen lassen. Er sieht ein London, wie es - wahrscheinlich - wirklich einmal ausgesehen hat.

Möglich wird diese besondere Form des Tourismus im neuen "Assassin's Creed Syndicate", das ab sofort für Playstation 4 und Xbox One und bald auch für den PC erhältlich ist. Die Blockbuster-Serie zieht mit jeder Fortsetzung in andere Epochen und andere Metropolen. Diesmal geht es in das London des 19. Jahrhunderts, mitten in die industrielle Revolution. Das lohnt sich, denn aktuelle PCs und Konsolen können die Dunst- und Rauchschwaden, die unzähligen Licht- und Dunstschattierungen einer schmutzigen Metropole überzeugend einfangen. Angesichts der lebendigen Stadt voller wuselnder Straßenkinder, klappernder Kutschen und schnaufender Züge möchten viele Spieler erst einmal gar nicht spielen. Sie wollen sich einfach das Treiben anschauen wie ein Tourist.

Den Effekt kennen Fans aus dem sehr ähnlichen Titel des Vorjahres. "Assassin's Creed Unity" spielte in Paris zur Zeit der Aufklärung und tat das auf technisch vergleichbarem Niveau. Diese Version der Französischen Revolution litt allerdings unter zahlreichen technischen Fehlern. Die sind dieses Mal in einem ersten Test nicht zu entdecken.

Ihre Epochensprünge rechtfertigt die Serie mit einer unsinnigen Rahmenhandlung. Sie erzählt vom Jahrtausende währenden Kampf zweier Geheimgesellschaften: der Assassinen und der Templer. Mit einer fiktiven neuen Technologie wird es möglich, genetisch kodierte Erinnerungen zu bereisen und nachzuempfinden - auch von Vorfahren, über viele Generationen. Die Erzählklammer ist inzwischen allerdings weit an den Rand gedrängt. Nur ab und zu wird die detaillierte historische Simulation Londons von Videoübertragungen aus unserer Gegenwart unterbrochen.

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Überhaupt ist "Assassin's Creed" am besten, wenn gerade niemand spricht. Denn auch in London kreisen die Gespräche selten um die eigentlich interessanten Themen des Dampfzeitalters. Die Helden des Spiels, die Geschwister Jacob und Evie, schleichen durch Slums und Fabriken, befreien Kinderarbeiter und töten skrupellose Firmenchefs. Aber sie plaudern dabei lieber über die Vorherrschaft der Templer in der Stadt, und über die Artefakte, nach denen sie gerade suchen. Das ist schon immer ein Problem der Serie. Sie wirkt merkwürdig desinteressiert an den Epochen, die sie bereist. Umso tragischer ist es, wenn historische Persönlichkeiten auftauchen nur um auf bloße Spielfunktionen zusammenzuschrumpfen. Charles Dickens schickt die Helden auf Missionen, Graham Bell entwickelt Gadgets.

Endlich eine Heldin

Dass mit Evie endlich eine starke Frau als Heldin spielbar wird, verdient Respekt. Sie ist auch der glaubwürdigere der beiden Charaktere. Jacob dagegen hört grundsätzlich nicht zu, wenn andere sprechen, träumt von der Vorherrschaft über die Stadt und tötet jeden Widersacher nonchalant. Man müsste ihn als Psychopathen sehen, wäre er nicht so eindeutig als Alter Ego jener Spieler angelegt, die nicht so genau auf die Story achten.

Damit sich niemand auch nur kurz langweilt oder frustriert wird, setzt die Spielefirma Ubisoft auf ein Überangebot an Aktivitäten. Wer zur Halbzeit des Spiels die Stadtkarte aufruft, kann die Themse vor lauter Sammelobjekten, Aussichtspunkten, Haupt- und Nebenmissionen nicht mehr erkennen. London ist in diesem Spiel ein riesiger Vergnügungspark.

Immerhin sind die Attraktionen schnell zu erreichen. Neben Kutschen stehen nun auch Greifhaken zur Verfügung, mit denen Jacob und Evie von Hausdach zu Hausdach hangeln, als wären sie Batman. Aber selbst die letzten Videospiele des Comic-Helden wirken glaubwürdiger als dieses Spiel. Als Krönung der Bequemlichkeit können erfahrene Spieler die Fähigkeit "Chamäleon" erwerben: Die schleichende Evie wird unsichtbar, wenn sie stehenbleibt.

Willkommen in Disneylondon

"Assassin's Creed Syndicate" ist voller mäßig fordernder Aufgaben. Zwar hat eine Historikerin alle Flüche, Redewendungen und Kneipennamen des Spiels abgenickt. Aber nur die Postkartenansicht stimmt. In den historischen Kulissen der Reihe wird seit Jahren immer wieder das selbe, in kleinen Schritten weiter entwickelte Action-Adventure veranstaltet.

Schlimm ist das nicht. "Syndicate" ist ein harmloser Spaß, so wie seine Vorgänger auch. Es kann sich ermüdend anfühlen, wenn man die Serie verfolgt und die jährlich neuen Fortsetzungen spielt. Doch wer jedes Jahr nach Disneyland fährt und sich dann über mangelnde Abwechslung beklagt, der ist selber Schuld.

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