Schule:Schulleiter, die schlecht bezahlten Prügelknaben

An mehr als 1000 Schulen gibt es keinen Chef. Das ist nicht weiter verwunderlich - so lange die Aufgaben so undankbar sind und der Lohn so kümmerlich.

Kommentar von Johann Osel

Wenn der Rektor zum Besen greift, um den Hausmeister zu vertreten, dann Telefondienst schiebt, weil eine Planstelle im Sekretariat fehlt, schließlich eine Klasse unterrichtet und nebenbei noch all das tut, was ein Leiter einer Grundschule eben zu tun hat - dann ist da "mehr Ärgernis als Freude". Der Chef einer Schule im Rheinland, der das sagt, will anonym bleiben, sich keinen Rüffel einhandeln. Seine Entscheidung für den Posten, sagt er, bereue er häufig, und auf die "paar Euro mehr" würde er gerne verzichten.

In anderen Branchen ist Karriere etwas Erstrebenswertes. In den Schulen ist der Aufstieg zum Rektor etwas, das es zu vermeiden gilt. Bundesweit müssen mindestens 1000 Schulen ohne Leitung auskommen. Vor allem sind die Grundschulen betroffen, jede zehnte sucht einen Chef. Verwunderlich ist das nicht.

"Je kleiner die Kinder, desto kleiner der Lohn"

Reflexartig rufen Bildungsgewerkschaften, die Bezahlung für Grundschulleiter sei "völlig unattraktiv" und "Ausbeutung pur". Der ungehaltene Ton ist berechtigt, wenn man als Rektor nur wenige Hundert Euro brutto an Zulage bekommt oder eine mickrige Beamtenstufe höher landet. Man sieht bei Gymnasien, dass Geld offenbar auch Ansporn ist. Dort klettern Direktoren die Besoldungsleiter hoch, Vakanzen sind seltener. Die fatale Devise im Bildungssystem "Je kleiner die Kinder, desto kleiner der Lohn" kennt man bestens in Grundschulen und Kitas. Und dennoch greift es zu kurz, ausschließlich finanziell zu argumentieren. Der Rektorenmangel liegt auch am Job - und an den Pädagogen selbst.

Wer Lehrer wird, der will in der Regel unterrichten und nicht Zirkusdirektor sein oder Manager eines mittelständischen Unternehmens. Beides wird Schulleitern abverlangt. Zum normalen Wahnsinn des Betriebs - Konflikte mit Schülern, Stundenplanung und Organisation, Stinkstiefel im Kollegium - kommt heute hinzu: Ein Direktor muss ein "Schulprofil" aufbauen und pflegen; wie das geht, lässt sich in Fortbildungstexten für Schulleiter nachlesen. Das klingt sehr nach BWL-Studium: Zum "Change-Management" gehören demnach "Leadership" und ein pädagogischer "Masterplan", in den neueste neurobiologische Erkenntnisse einfließen.

Ein Rektor muss, weil immer mehr Schulen ganztags anbieten, mit Caterern, Vereinen und sozialen Trägern Verträge aushandeln, Budgets im Nacken. Weil in der Bildung alles vermessen wird, muss er ständig dokumentieren und polternde Anrufe aus dem Ministerium erdulden, wenn zu viele Kinder sitzenbleiben oder sonst irgendeine Quote abweicht vom Landesschnitt.

Leiten ist auch Leiden

Und da sind die Eltern, das ist der Kampf an einer Doppelfront: Einerseits die Familien, denen egal ist, was ihr Nachwuchs treibt. Hier soll der Schulleiter Konzepte für Elternarbeit entwickeln, etwa Mütter-Cafés. Andererseits muss er die Helikopter-Eltern managen, die verbissen um den Bildungserfolg ihrer Kinder kreisen. Solche Mütter und Väter fordern ständige Sprechstunden, gleich mit dem Chef. Da wird der Rektor abends privat angerufen, wenn Max eine Drei in Deutsch hat. Leiten ist auch Leiden.

Man muss einen solchen Job wollen. Er wird kaum gewollt. Schon Umfragen unter Abiturienten zeigen, dass den Lehrerberuf fast keiner mit "Karriere machen" in Verbindung bringt. Wer den Führungsjob aus der täglichen Außenansicht kennt, wird abgeschreckt: Einer Allensbach-Studie zufolge sinkt das Interesse mit der Zeit, nur noch 14 Prozent der Lehrer mit zwei Jahrzehnten im Beruf reizt der Aufstieg. "Schulleitung ist Leistungssport. Und Rektoren sind oft Prügelknaben wie die Trainer im Fußball, die als erste einen Tritt in den Hintern bekommen." Der Satz stammt vom Fußball-, und neuerdings Bildungsphilosophen Paul Breitner. Der Deutsche Schulleiterkongress hatte den Weltmeister als Redner eingeladen; als Motivator wohl auch.

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