Schule:Nordisches Raumschiff

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Nordwärts: Abschlussfeier der A. P. Møller-Skolen in Schleswig im vergangenen Jahr. Die Schülerinnen und Schüler tragen die traditionellen skandinavischen Abiturientenmützen „Studenterhuer“. (Foto: oh)

Friesen, Sorben, Sinti und Roma - und Dänen. Keine der anerkannten nationalen Minderheiten in Deutschland hat sich erfolgreicher etabliert. Der dänischen Schule in Schleswig sieht man das an.

Von Thomas Hahn

Die Schüler der A. P. Møller-Skolen in Schleswig können in den Terminkalender ihres Direktors schauen. Zumindest wissen sie, wen Jørgen Kühl an diesem sonnigen Vormittag zwischen zehn und elf Uhr im Schulgebäude empfängt, denn das steht auf dem Infobildschirm im Eingangsbereich, natürlich auf Dänisch: "Samtale med journalist Süddeutsche", Gespräch mit Journalist. Und da kommt Jørgen Kühl auch schon die Treppe hinunter, ein heller Mensch mit rotblondem Haar und gewinnendem Wesen. Ein kurzer Willkommensgruß - dann beginnt die Führung durch die jüngste und größte dänische Schule Deutschlands. Es ist Jørgen Kühl eine Freude. In geschmeidiger Rede erläutert er die Besonderheiten des Hauses. Dessen Geschichte beginnt für ihn so: "2008 ist ein Raumschiff in Schleswig gelandet. Ein dänisches Raumschiff."

Die dänischen Schulen in Schleswig-Holstein sind die Säulen einer bemerkenswerten Nachbarschaftskultur im Grenzgebiet auf der jütischen Halbinsel. Im Rest der Republik wissen viele gar nicht, dass die Deutschen, die sich dem dänischen Sprachraum zugehörig fühlen, hierzulande als nationale Minderheit anerkannt sind. Aber im Norden des nördlichsten Bundeslandes ist ihr Einfluss nicht mehr wegzudenken. Mit Mut und Beharrlichkeit haben sie ihren Platz in der hiesigen Gesellschaft erstritten. Heute gilt die Minderheitenpolitik in Schleswig-Holstein als vorbildlich. Der Südschleswigsche Wählerverband (SSW), der sich als politische Vertretung der 50 000 Dänen im Land sieht, ist bei Landtagswahlen von der Fünf-Prozent-Hürde befreit, damit er seine Chance auf parlamentarische Teilhabe wahrnehmen kann. Und die 45 dänischen Schulen sind den deutschen staatlichen Schulen gleichgestellt, obwohl sie Privatschulen sind.

Die Schule steht allen Bürgern Schleswigs offen. Sie können die Aula und die Sportanlagen nutzen

Jørgen Kühl zeigt in die mächtige Aula mit ihrem feinen Parkett aus kanadischer Eiche. 15 000 Quadratmeter fasst das Gebäude der A. P. Møller-Skolen, 600 Schüler besuchen die Gemeinschaftsschule mit Oberstufe, 60 Lehrer arbeiten mit ihnen. Die Schule ist ein Geschenk, das die Stiftung des Großreeders Arnold Mærsk Mc-Kinney Møller 2006 der dänischen Minderheit machte. Sie sollte eine Ergänzung sein zur Duborg-Skolen von 1920 in Flensburg, dem bis dahin einzigen dänischen Gymnasium Deutschlands. 60 Millionen Euro kostete die Schule, sie entstand nach Entwürfen von C. F. Møller, einer der renommiertesten Architekturfirmen Dänemarks.

Das Ergebnis ist eine Art Bildungspalast, in dem ein sehr eigenes Lernklima herrscht: hohe Decken, große Fenster, weiter Raum. Statt der verwinkelten Umständlichkeit alter Schulhäuser ist hier viel Licht und viel Platz. Eine breite Treppe führt von der Aula direkt in die Bibliothek. Der Eingang zur Dreifachturnhalle befindet sich gleich gegenüber. Die Klassenzimmer liegen wie ein Ring um die Aula herum. Und die Akustik ist erstklassig. "Man hört nie, dass 600 Schüler hier sind", sagt Kühl. Er schwärmt. Aber er weiß, was so ein Gebäude auch hervorruft. Neid, was sonst.

Es ist mittlerweile riskant, gegen die dänische Minderheit Schulpolitik zu machen. 2010 versuchte das der damalige CDU-Ministerpräsident Peter Harry Carstensen mit seiner schwarz-gelben Koalition. Er wollte die Zuschüsse für die dänischen Schulen kürzen, weil diese ja auch vom dänischen Staat Geld bekommen. Straßenprotest und Ärger in Kopenhagen waren die Folge. Olaf Runz von der Direktion des dänischen Schulvereins fände es vermessen zu sagen, dass CDU und FDP wegen des Aufstands der Dänen die Landtagswahlen 2012 verloren. "Aber mitentschieden haben wir sie bestimmt", sagt er.

Nach der Wahl durfte der SSW fünf Jahre lang mitregieren in der Küstenkoalition mit SPD und Grünen. Seither ist die Gleichstellung der dänischen Schulen gesetzlich festgeschrieben. In konservativen Kreisen grummelt man darüber. Aber den Streit darüber wagt niemand mehr. Schon gar nicht das Bildungsministerium, das seit den Landtagswahlen 2017 wieder in CDU-Hand ist. Pläne, den dänischen Schulen noch mal ans Geld zu gehen? Ein Sprecher von Ressortchefin Karin Prien antwortet darauf mit einem einzigen Wort: "Nein."

Etwa 5700 Schüler besuchen die 45 dänischen Schulen, außerdem ist der dänische Schulverein Träger von 57 Kitas, die rund 3000 Kinder betreuen. Dass sie unter dem Strich mehr Geld haben als deutsche Schulen und Kitas, findet Olaf Runz natürlich gerecht. Das Minderheiten-Schulwesen sei nun mal teurer. "Viele unserer Schulen haben keine 80 Schüler. Normalerweise könnten sie nicht überleben, aber wir brauchen sie, sonst würde die Minderheit am Ort ihren Rückhalt verlieren", sagt Runz. Seine Lehrer rekrutiert der Schulverein in Dänemark und bezahlt sie nach dänischem Tarif, was den Betrieb zusätzlich verteuert. Und der Schülertransport ist aufwendig, weil es nicht überall dänische Schulen gibt.

Jørgen Kühl weist von der Empore auf die großen Glaskugeln, die von der Decke hängen. "Das sind keine Lampen, das ist Kunst von Weltrang." Die Installation "Tellurium" des isländisch-dänischen Künstlers Olafur Eliasson stellt stilisiert das Sonnensystem dar - und ist ein weiteres Zeichen dafür, dass in der A. P. Møller-Skolen mehr Geld steckt als in normalen Schulen. Als der Historiker Kühl, damals Leiter des Instituts für Grenzregionsforschung in Apenrade, 2006 den Auftrag bekam, die Schule aufzubauen, war ihm bald klar, dass die deutsche Nachbarschaft sie zunächst mit Argwohn betrachten würde: als dänisches Bonzenprojekt. "Die Investition hätte zu Konflikten führen können." Von Anfang an hat er die Schule deshalb zum offenen Raum für die Schleswiger erklärt. Sie können den Fußballplatz benutzen, die Laufbahn, die Skateboardanlage. In der Aula finden Kulturveranstaltungen statt, einmal im Monat spielt das Schleswig-Holsteinische Sinfonieorchester.

150 000 Besucher hatte die Schule in den zehn Jahren seit ihrer Eröffnung. Kühl sagt: "Dieser Dialog ist notwendig, weil sonst ein Mythos entsteht, der negative Folgen hat." Trotzdem, der Neid der Deutschen schwingt oft mit in den Gesprächen. "Die Ressentiments sind da", sagt Olaf Runz. An den Schulen selbst wiederum geht es um die Herausforderung, die dänische Idee von Bildung unter schleswig-holsteinischen Rahmenbedingungen zu bewerkstelligen. "Das Motto ist: So deutsch wie nötig, so dänisch wie möglich", sagt Runz. In Dänemark gibt es eine Einheitsschule bis zur neunten Klasse, danach folgt der Wechsel in verschiedene gymnasiale Ausbildungszweige. Das dreigliedrige deutsche Schulsystem ist ganz anders. Der Kompromiss sieht vor, dass dänische Grundschulen die Orientierungsstufe der Gemeinschaftsschulen und Gymnasien übernehmen, also die fünfte und sechste Klasse. Die A. P. Møller-Skolen beginnt demnach mit der siebten. Ihr Ziel: die Jugendlichen in Deutschland auf die Realitäten eines dänischen Erwachsenenlebens vorzubereiten.

Zwei Drittel der jungen Leute, die an der A. P. Møller-Skolen die Oberstufe abschließen, studieren in Dänemark. Sie machen ein deutsches Abitur auf Dänisch, was Kühl als "Mehrwert" empfindet: "Die Anforderungen, die wir hier stellen, sind höher als die in Dänemark." Aber Deutschland bremst auch. Beispiel Digitalisierung, die hierzulande ein Entwicklungsprojekt ist. Der dänische Verwaltungsalltag läuft dagegen nur noch über Computer, zum Beispiel die Bewerbung auf Studien- oder Ausbildungsplätze. "Das ist eine Welt, die wir nicht einmal simulieren können, weil wir die Zugänge nicht haben", sagt Kühl. "Wir können unsere Schüler nicht effektiv auf das Leben in Dänemark vorbereiten."

Das skandinavische Element im Schulleben wirkt für deutsche Verhältnisse recht lässig

Die Absolventen finden sich dort trotzdem gut zurecht. Das zumindest ist das Feedback, das Jørgen Kühl aus Dänemark bekommt. Das skandinavische Element im Schulleben zeigt Wirkung, auch wenn es für deutsche Verhältnisse manchmal etwas sehr lässig wirkt. Oder gerade deswegen? Smartphones sind den Schülern an der A. P. Møller-Skolen zum Beispiel ausdrücklich erlaubt - als Computer zur Lern-unterstützung. Und Jørgen Kühl sagt in die Weite der Aula hinein: "Der Unterricht findet nicht nur im Klassenraum statt, sondern auch im großen Raum." Er zeigt vergnügt auf zwei Schülerinnen, die in einer Ecke mit Heft und Handy auf einer Liege fläzen. "Die haben gerade Unterricht." Kunstunterricht - ihre Lehrkraft hat sie zur Partnerarbeit hinausgeschickt.

An der dänischen Schule sind die Ferien kürzer, weil das Dänische im Deutschen mehr Zeit erfordert. Trotzdem, es ist eine schöne Chance, mit zwei Sprachen und zwei Kulturen aufzuwachsen. Der Direktor Kühl und seine Schüler wirken ziemlich glücklich damit, dass sie einer Minderheit angehören im deutschen Norden. Auch wenn man hier nicht jeden Aspekt des dänischen Lebens erfassen kann. "Unsere Schüler eignen sich Dänisch als Literatursprache an", sagt Jørgen Kühl. "Auf Deutsch kennen sie die Schimpfwörter - auf Dänisch kennen sie sie nicht."

© SZ vom 12.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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