Niedergang der spanischen Universitäten:Das wilde Kündigen hat begonnen

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Dozenten werden ohne Vorankündigung entlassen; einige erfahren zufällig am Geldautomaten von ihrem Rauswurf - weil ihnen eine Abfindung überwiesen wurde. Spanische Universitäten werden in der Krise kaputtgespart. Immer mehr Studenten und junge Absolventen sehen deshalb nur einen Ausweg: Nichts wie weg ins europäische Ausland.

Sebastian Schoepp

Es war der 15. Juni, gegen elf Uhr vormittags, als die Personalleiterin des Instituts für Weiterbildung der Universität Barcelona Juan Pedro Chuet Missé zu sich bestellte. Er war gerade dabei, den Master-Studiengang für das nächste Semester vorzubereiten, Bewerbungen zu sichten, Praktika für die Teilnehmer zu organisieren - das Übliche eben.

Tausende Schüler und Studenten gehen gegen das Sparprogramm der spanischen Regierung auf die Straße. Dem Bildungssystem droht der Kahlschlag. (Foto: dpa)

Neun Jahre lang hatte Chuet Missé an dem renommierten Studiengang für Journalisten gearbeitet, der von der Universität Barcelona in Kooperation mit der New Yorker Columbia-University angeboten wird und der den akademischen Nachwuchs an die Praxis heranführen soll. Er gab Kurse in Design und Nachrichtenjournalismus, kümmerte sich um Technik, Verwaltung, Internetauftritt, war die rechte Hand des Studienleiters. Nun teilte ihm die Personalchefin in knappen Worten mit: Er muss noch heute seinen Schreibtisch räumen. Er sei entlassen. Grund: Man müsse sparen.

Mitte April hat die spanische Regierung des konservativen Premierministers Mariano Rajoy im Rahmen ihres 100-Milliarden-Sparpakets das Dekret "Sofortmaßnahmen zur Rationalisierung im öffentlichen Bildungswesen" erlassen, das 20 Prozent der gesamten Sparsumme aufbringen soll. Landauf, landab drohen Bürgermeister mittlerweile, sie müssten Schulen ganz schließen. Und an den Universitäten fällt, wenn das Sparpaket ganz umgesetzt wird, ein Drittel der Dozentenstellen weg. Das wilde Kündigen hat begonnen. Dozenten der Universität König Juan Carlos in Madrid erfuhren von ihrem Rauswurf fast zufällig, am Geldautomaten: Man hatte ihnen ohne vorherige Ankündigung 10.000 Euro Abfindung überwiesen.

Das geht so leicht, weil der größte Teil des universitären Personals in Spanien, wie auch sonst in der Wirtschaft, Zeit- und Übergangsverträge hat. Betroffen sei vor allem der akademische Nachwuchs, die Besten und Fleißigsten, die zehn und mehr Jahre Bildung hinter sich hätten und nun mit leeren Händen dastünden, schreibt Pedro José Gómez Serrano, Direktor der Fakultät für angewandte Wirtschaftswissenschaften an der Universidad Complutense von Madrid in einem wütenden Brandbrief an die Tageszeitung El País. "Das Damoklesschwert hängt über der vielversprechendsten Generation Spaniens." Den Umkehrschluss spricht er nicht aus: nämlich, dass diejenigen, die ihre Posten behalten, oft die Bequemen und Arrivierten sind, mit den sicheren Verträgen aus alter Zeit.

Dabei war der konservative Bildungsminister José Ignacio Wert im Januar eigentlich mit dem Versprechen angetreten, in Spanien "die Kultur der Mittelmäßigkeit und Bestrafung der Exzellenz" zu beenden" - er kündigte eine Strukturreform der Universitäten an, die nun allerdings ganz aufs Sparen hinausläuft. Professor Gómez Serrano verweist auf "eine bemerkenswerte Diskrepanz" zwischen der Sparpolitik und dem "offiziellen Diskurs, der mehr Forschung, Qualität, Internationalisierung und individuelle Förderung fordert".

Begonnene Versuche, die Defizite des spanischen Bildungssystems zu korrigieren, würden zunichtegemacht. Das widerspreche "der Herausforderung unserer Zeit - der Konsolidierung unserer Ausbildung, um unser Land fit zu machen für globale Herausforderungen".

Laut der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) haben schon die bisherigen Ausbildungsdefizite stark dazu beigetragen, dass Spaniens Wirtschaft international nicht konkurrenzfähig ist. Die an das Madrider Bildungsministerium angeschlossene Forschungsstelle CSIC meldet, 2012 habe es keine spanische Universität unter die weltweiten Top 100 geschafft, noch die beste sei die Complutense auf Platz 150. Die sozialistische Regierung hatte das Problem erkannt und 2008 eine "Exzellenzinitiative" gestartet. 2011 - kurz vor dem Regierungswechsel - war eine Reihe von Unis ausgesucht worden, welche fortan die Internationalisierung und die Zusammenarbeit mit der Wirtschaft stärken sollten. 700 Millionen Euro Kredite standen dafür bereit. Doch dann kam die Sparwelle.

Dieser entfliehen mittlerweile mehr und mehr junge Leute ins Ausland. Die Krise hat die an sich nicht sehr wanderungswilligen Spanier zur dynamischsten Jugend Europas gemacht. Das Interesse am Auslandsstudium ist laut Eurostat seit Juni 2011 um 156 Prozent gestiegen. Und Spanien ist ohnehin schon stärkstes Entsende-Land für Studenten, die mit einem Erasmus-Stipendium ins Ausland gehen.

Das ist eine Art historischer Versöhnung mit Erasmus von Rotterdam, dem niederländischen Humanisten und Namenspatron des Austauschprogramms. Er hielt von Spanien nicht sonderlich viel. "Non placet Hispania", lehnte der Gelehrte Anfang des 16. Jahrhunderts Einladungen an die Universität Alcalá de Henares ab. Womöglich hatte er Angst, auf dem Scheiterhaufen zu landen. Spanien reagierte auf seine Art: Non placet Erasmus, hieß es fortan. Liberaler Humanismus galt die folgenden Jahrhunderte hindurch als Teufelszeug, Spanien verlor den Anschluss an die Aufklärung. Während Nord- und Mitteleuropa die Naturwissenschaften entdeckten und beförderten, diskutierten spanische Gelehrte lieber, ob Engel beim Fliegen Seelen transportieren können und ob die Glocken im Himmel aus Metall sind. Die Fortschrittsfeindlichkeit setzte sich im Nationalkatholizismus unter dem Diktator Francisco Franco (1939 bis 1975) fort.

Nach der Demokratisierung versuchten die Sozialisten, den Bildungsrückstand mit einer Akademisierung der Bevölkerung aufzuholen. Mit dem Ergebnis, dass heutzutage 40 Prozent der jungen Spanier eine Universität besuchen, im EU-Durchschnitt sind es dagegen nur 34 Prozent. Berufsausbildungen hingegen verloren an Prestige. Wer bei einem Handwerker lernte, galt als Verlierer. Berufe, die woanders in der Praxis erlernt werden, wie Krankenschwester oder Touristenführer, wurden an die Universitäten verlegt.

Es gibt aber längst nicht ausreichend Stellen für so viele Akademiker, weshalb ein Fünftel der spanischen Hochschulabgänger arbeitslos ist (in Deutschland sind es nur 2,8 Prozent). Und 33 Prozent der Absolventen nehmen nach dem Studium Jobs an, die eines Hochschulabschlusses eigentlich unwürdig sind, Wirtschaftswissenschaftler jobben in Callcentern, Architekten in Bars.

40 Prozent der Absolventen technischer Studiengänge in Spanien wollen sich nun nach einer Stelle im Ausland umsehen. Das geht aus der größten Absolventenbefragung Europas hervor, die das Berliner Trendence-Institut jüngst veröffentlichte. Doch das ist nicht so leicht. "Was in Spanien ein Uni-Abschluss ist, taugt bei uns oft nur für eine Stelle als Facharbeiter", sagt Guido Rebstock vom Arbeitsamt Schwäbisch-Hall, wo wegen des Fachkräftemangels zuletzt eine große Anwerbe-Aktion in Südeuropa gestartet wurde.

Vielen Bewerbern fehlt der Praxisbezug. Nur 20 Prozent der Spanier sammeln praktische Erfahrung im Studium, in Deutschland sind es 60 Prozent. Es sei in ihrer Generation absolut nicht normal gewesen, während des Studium zu arbeiten, sagt zum Beispiel die 34-jährige Philologin Paula Barceló aus Málaga, die es trotzdem anders machte, nebenbei Sprachunterricht für Touristen gab - und deshalb von ihren Kommilitonen sogar schräg angeschaut wurde.

Carlos Knapp-Boetticher vom Madrider Ableger des Vereins Deutscher Ingenieure (VDI) hat dennoch Hoffnung für Spanien. Die nachwachsende Generation sei weniger introvertiert als frühere. Der Wissensstand etwa von Ingenieuren sei zwar sehr theoretisch. Jedoch: "Wenn man sie auf die Praxis loslässt, bringt das oft große Erfolge." Man müsse ihnen nur Gelegenheit dazu geben. Doch die besteht derzeit fast ausschließlich in der Emigration.

© SZ vom 27.08.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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