Lehrer:Bloß nicht absaufen

Lehrer: Referendarin Katja in ihrer ersten Schulstunde.

Referendarin Katja in ihrer ersten Schulstunde.

(Foto: Weltkino Filmverleih)

"Zwischen den Stühlen" ist ein berührender und witziger Dokumentarfilm über drei Lehrer im Referendariat.

Von Paul Munzinger

Katja hat an ihrem ersten Tag einen Globus mit in die Klasse gebracht. Es soll in der Stunde um die großen Entdeckungsreisen gehen, um Kolumbus, Vasco da Gama, Magellan. Auf dem Globus will sie mit den Schülern, ihren Schülern, die Segelrouten nachverfolgen. Oder genauer, einer der Schüler soll es tun, Mitmachen statt Frontalunterricht. Es will bloß keiner. "Will denn wenigstens einer von euch nach vorne kommen?", fleht Katja irgendwann. "Deine Mutter", antwortet ihr ein Schüler. Den Globus verstaut Katja nach der Stunde auf einem Schrank im Lehrerzimmer, wo er bis zum Ende ihres Referendariats bleiben wird - als Symbol für ihre Pläne, ihre Ambitionen, ihre Motivation. Und für deren jähe Enttäuschung.

Am Donnerstag kommt der Dokumentarfilm "Zwischen den Stühlen" in die deutschen Kinos. Regisseur Jakob Schmidt hat dafür drei angehende Lehrer in Berlin durch ihre Ausbildungszeit begleitet. Katja, Referendarin an einer Gesamtschule, die mit ihrer schwierigen Klasse und dem Sisyphos-Gefühl zu kämpfen hat, täglich von Neuem beginnen zu müssen. Den Gymnasiallehrer Ralf, der selbst erst nach einem zehnjährigen Umweg das Abitur machen konnte und die Strenge, die er einst an sich selbst anlegte, nun an seine Schüler weiterreicht. Und die sensible Anna, die die Arbeiten ihrer Grundschüler in Grün korrigiert, weil ihr der Rotstift so zuwider ist wie jedes autoritäre Gebaren. Die an ihrer Unsicherheit verzweifelt und an einem System, das nach ihrer Ansicht "verwertbares Humankapital erzeugt".

Drei unterschiedliche Typen, die sich nach dem Lehramtsstudium alle in dem selben nervlich wie körperlich aufreibenden Zwischenstadium wiederfinden: halb Lehrer, halb wieder Schüler, bewertend und bewertet, benotend und benotet, prüfend und geprüft.

Dem 27-jährigen Schmidt, der mit "Zwischen den Stühlen" sein Studium an der Filmuniversität Babelsberg abschließt, ist ein berührender und bisweilen hochkomischer Einblick in den Maschinenraum des Systems Schule gelungen, über das viele Bescheid zu wissen glauben und das doch kaum ein Außenstehender wirklich kennt. Schmidt hat Katja, Anna und Ralf nicht nur in die heimische Küche begleitet, sondern auch ins Klassenzimmer, ins Lehrerzimmer, in die Seminarräume.

Bleiben Lehrer immer Nichtschwimmer?

Die Hälfte der Kraft, die ihn die fünfjährige Arbeit an dem Film gekostet hat, habe er in Drehgenehmigungen und die Einverständniserklärungen der Eltern investieren müssen, erzählte Schmidt auf dem Dokumentarfilmfest in München. Dank diesem Einsatz kommt der Zuschauer in den Genuss der speziellen Pädagogik der Seminarlehrer. "Stellen Sie sich vor", sagt einer von ihnen den Lehrerschülern, "Sie hätten nicht schwimmen gelernt, und jemand schmeißt Sie ins kalte Wasser. Was tun Sie? Sie strampeln. Aber nur weil Sie sich über Wasser halten können, können Sie noch lange nicht schwimmen. Sie werden irgendwann drohen abzusaufen."

"Zwischen den Stühlen" ist ein Film über Lehrer, über angehende und bereits fertige. Am Ende, darin besteht seine leise Anklage, hat der Zuschauer nicht das Gefühl, dass die Phase des Strampelns mit dem Referendariat endet. Er hat das Gefühl, dass es im Kosmos Schule für alle Beteiligten so gut wie unmöglich ist, über den Status des Nichtschwimmers hinauszukommen. Und dass es vor allem darum geht, wer das am erfolgreichsten verbergen kann.

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