Zeugnisse:"Das Verhältnis zur Lehrkraft war störungsfrei"

In Bayern gibt es Zeugnisse. SZ-Mitarbeiter präsentieren die Belege ihrer Schullaufbahn - und erzählen die Geschichten dahinter.

Aus der Redaktion

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Ich war während der Mittelstufe genau die Art von Schüler, die jede Lehrerkonferenz die Augen verdrehen lässt: hochpubertär, geistig und/oder körperlich abwesend. Das ging dank vieler wohlwollender Lehrer in den Klassen acht und neun gerade so gut - am Ende standen jeweils eine Fünf und mehrere schlechte Vieren im Zeugnis. In der zehnten Klasse dann war es aber hoffnungslos, die angesammelten Wissenslücken riesig.

Im Halbjahreszeugnis folgten diverse Fünfen, was mich mit drei Optionen für die zweite Schuljahreshälfte zurückließ: hart arbeiten, um das Klassenziel noch zu erreichen; freiwillig in die neunte Klasse zurücktreten, was nicht als Durchfallen gewertet worden wäre; resignieren und mich seelisch auf das Wiederholungsjahr vorbereiten. Ich wählte letztere Variante und legte so eine Art schulisches Pseudo-Sabbatical ein - blieb dem Unterricht also häufig fern und versuchte, die anderen nicht vom Lernen abzuhalten, wenn ich doch mal anwesend war.

Das Ergebnis sehen Sie im Bild oben. Immerhin hat mir dieses Zeugnis damals fünf Kugeln Eis umsonst in der örtlichen Eisdiele eingebracht. Im zweiten Anlauf schaffte ich die zehnte Klasse dann mit Müh und Not - auf dem weiteren Weg zum Abitur lief es dann aber, um Paul Breitner zu zitieren, ganz flüssig.

Matthias Kohlmaier, SZ.de, Bildung und Karriere

Schulzeugnisse von SZ-Mitarbeitern

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Mein Leben ist offenbar eine Lüge. Also, nicht das komplette, aber ein bisschen rückwärtsräumen muss ich jetzt schon. Bisher war ich davon ausgegangen, dass ich eine super Schülerin gewesen bin, schließlich hatte ich ja auch ziemlich supere Zeugnisse. Gut, im Gymnasium bescheinigten mir meine Lehrer regelmäßig, ich würde mein Potenzial nicht ausschöpfen. Aber das hieß ja im Grunde: faul, aber klug.

Einen Teil meiner Schülerinnen-Persönlichkeit habe ich aber offenbar sehr erfolgreich verklärt - er manifestiert sich in einem Zeugnis aus der vierten Klasse. "Sie sollte sich auch weiterhin bemühen, in Konfliktsituationen besonnener und zurückhaltender aufzutreten." Für alle, die wie ich erst spät erkannten, dass Schulzeugnisse genauso funktionieren wie Arbeitszeugnisse: Das bedeutet nicht "schön, dass sie sich bemüht".

Was nun noch aufzuarbeiten ist: mein Zeugnis aus der 1. Klasse mit dem Vorwurf: "Anja singt, malt und bastelt gern."

Anja Perkuhn, ehemals SZ.de, Kultur und Medien

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Das Konzept von Leistungskursen bestand darin in zwei selbstgewählten Fächern mehr Schulstunden bei höheren Niveau zu belegen, um mehr Punkte fürs Abitur zu sammeln. Ist man jedoch in allen Fächer gleich schlecht, fällt die Wahl schwer. Dies belegten meine unterdurchschnittlichen Noten in meinen Leistungskursen Mathe und Geschichte, die von Halbjahr zu Halbjahr schlechter wurden.

Die Quittung kam in der schriftlichen Abiturprüfung. An zwei von 15 möglichen Punkten ließ sich nicht viel herumrechnen. Ich verstand nichts von Mathematik. Obwohl ich das Abitur mit 3,4 gerade so bestanden hatte, musste ich in die mündliche Nachprüfung. Ich lernte fleißig und beantwortete alle Fragen an der Tafel korrekt - bis zu dem Punkt, an dem mein mathematisches Wissen schlicht erschöpft war. Mein Lehrer konnte sich für all mein Desinteresse an seinem Fach rächen. Doch genau in diesem Augenblick war die Zeit für Fragen um und ich verließ den Raum mit elf Punkten.

Daniel Wüllner, SZ.de, Social Media

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Zu meiner Grundschulzeit war mir nichts so verhasst wie der Schulsport. Während ich in anderen Fächern schon mal einen Heulkrampf bekam, wenn es keine Eins gab, war mir der Sport so egal, dass ich mich beim Vorturnen bisweilen hinter der Gymnastikmatte versteckte. Das Resultat: Lauter Einser, nur eine Drei im Sport - was man in der dritten Klasse erst hinkriegen muss. Ich fand das lustig, meine Patentante aber empörte sich furchtbar über den Lehrer: Er würde mit dem unwichtigen Fach mein ganzes Zeugnis "besudeln". Über die Drei hinausgekommen bin ich im Schulsport übrigens erst wieder in der zwölften Klasse. Da gab es statt Vorturnen nämlich eine Klausur.

Laura Terberl, SZ.de, Entwicklungsredaktion

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Quelle: privat

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Mein Jahreszeugnis der ersten Klasse. Wichtig waren vor allem die Kopfnoten (Betragen, Fleiß, Ordnung, Mitarbeit) und die Gesamtbeurteilung. Ich übersetze mal grob die Worte meiner Klassenlehrerin, die ich im Übrigen wahnsinnig mochte: Voll-Kollektiv-tauglich, ein bisschen strebi ("bewußte Lerneinstellung"!) aber manchmal etwas zu sehr "hier komm ich"-lastig.

Was sonst noch schönste Erinnerungen hervorruft: Der Schulgartenunterricht, bei dem wir stundenlang im Dreck wühlen durften, riesige Möhren ernteten und diese dann selbst und voller Stolz zur Weiterverarbeitung bei der Schulspeisung abgaben.

Wegen der Zwei im Schreiben bin ich heute noch ein bisschen beleidigt. Es ging hier schließlich ums Schönschreiben! Und die Drei in Sport sollte mir später noch öfters begegnen, Leichtathletik-Kader-tauglich wurde ich nie. Ganz im Gegensatz zu meinem Zwillingsbruder, der diesen Wettstreit im Zeugnis immer gewinnen sollte und es nie verpasste, mich deswegen "Mehlsack" zu nennen. Was ich darauf antwortete, behalte ich lieber für mich. Sonst nimmt mir selbst im Nachhinein niemand mehr ab, dass in der Grundschule mein Betragen immer ein "Gut" verdiente.

Dorothea Grass, ehemals SZ.de, Politik

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Es war ein messerscharfer Satz, den mir Frau Mandl, die Klassenlehrerin der 1a, irgendwann im Jahre 1986 entgegenwarf: "Oliver, Du kannst ja nicht mal für fünf Pfennig mitdenken." Ich hatte im Bastelunterricht etwas versemmelt. Ein Bild von einem Kirschbaum sollte verziert werden, zuerst mit weißen Blüten, dann mit roten Früchten. Ich machte Schritt zwei vor Schritt eins und begann mit den Früchten. Im Zeugnis verpackte Frau Mandl meine damalige Minderleistung in folgende hübsche Formulierung: "Gestellte Aufgaben führte er selbständig aus, jedoch ging seine rasche Arbeitsweise des öfteren zu Lasten einer sorgfältigen Darstellung."

Die Kinder vorbereiten auf den "Ernst des Lebens", auf die harte Berufswelt, das war - rückblickend gesehen - das oberste Ziel der strengen Frau Mandl. Vielleicht sind die Zeugnisse der ersten Klassen auch deshalb wie Arbeitszeugnisse formuliert: "Das Verhältnis zur Lehrkraft war störungsfrei", hieß es da zum Beispiel, oder: "Seine Schulsachen hielt Oliver im allgemeinen in Ordnung". Womöglich wirkte sich dabei negativ aus, dass mir im Schulranzen einmal eine ganze Tube Uhu ausgelaufen ist, die Hefte, Bücher, Mäppchen und alles, was sich sonst darin befand, wochenlang verklebte.

"Net gmotzt isch globt gnug" (hochdeutsch: Nicht schimpfen reicht als Lob), dieser alte schwäbische Satz war die Grundmaxime vom Frau Mandl, obwohl sie gebürtig aus München kam. Nur extrem selten wich sie davon ab, etwa, als sie sich im Halbjahreszeugnis der 2. Klasse positiv zu meinen Mathematik-Kenntnissen äußerte: "Geldbeträge kann er miteinander vergleichen, wechseln und ordnen." 30 Jahre später ist noch eine weitere Fähigkeit hinzugekommen: Geldbeträge ausgeben kann Oliver inzwischen auch sehr gut.

Oliver Klasen, SZ.de, Panorama, Gesellschaft und Stil

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Lesen war mein Lieblingsfach. Ich war entsprechend stolz, als meine Mitschüler entschieden, dass ich die Klasse 4a beim Vorlesewettbewerb unserer Grundschule vertreten sollte. Drei Tage vor dem Wettkampf ereignete sich mein persönliches Drama: Die Kieferorthopädin verpasste mir eine feste Zahnspange. Es war mir egal, dass das Ding hässlich aussah. Auch die Schmerzen waren erträglich. Ich heulte, weil ich mit dem ungewohnten Ding im Mund furchtbar lispelte.

Ein "betonter Lesevortrag", den meine Klassenlehrerin in meinem letzten Zeugnis gelobt hatte, erschien mir auf einmal unmöglich. Stundenlang trainierte ich, wie ich meine Zunge an den Metallteilen in meinem Mund vorbeizuschieben musste, um eine halbwegs akzeptable Aussprache hinzubekommen. In der Nacht vor dem Wettbewerb konnte ich kaum schlafen. "Denk bloß an das S!", zischte mir der Junge zu, in den ich damals verliebt war, als ich auf die Bühne musste. Erfreulicherweise sah die Jury über meinen Sprachfehler hinweg und ließ mich gewinnen.

Sonja Salzburger, SZ.de, Entwicklungsredaktion

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Mit Wortlaut-Zeugnissen ist das ja so eine Sache. "... der zu allen möglichen Späßen in der Klasse aufgelegt war" - was ist damit genau gemeint? Entertainer-Qualitäten auf Kabarettniveau, ein neuer Dieter Hildebrand? Oder der Klassenclown, ein angehender Mario Barth? Nur selten war der Schüler zu grammatikalischen Späßen aufgelegt, zum Beispiel zu Relativsätzen, die im Nichts anfangen und im Nichts enden. Solche Späße, siehe Zeugnistext, waren stets dem Klassenleiter vorbehalten, seines Zeichens Mathematiklehrer.

Johann Osel, SZ, Bayern-Redaktion

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Heute klingt mein Zeugnis aus der achten Klasse so, als sei ich einfach ein entsetzlich eingebildeter, besserwisserischer Schüler gewesen. Vielleicht war ich das tatsächlich und habe es nicht gemerkt - aber damals hatten die Konflikte, die in der Beurteilung am Zeugniskopf anklingen, einen für mich sehr ernsten Hintergrund. Es war der Juni 1983, drei Monate vorher hatte Helmut Kohl die Bundestagswahlen gewonnen, und in Deutschland ging die Angst vor Wettrüsten und Atomkrieg um. Ich war 13 und das ganze Schuljahr über in einer "Friedensgruppe" aktiv, wo wir ... was eigentlich taten? So genau weiß ich das auch nicht mehr, aber es ging auf jeden Fall darum, unsere Mitschüler von den Gefahren der Nato-Nachrüstung zu überzeugen und zum Widerstand aufzurufen - selbst wenn dieser lediglich darin bestand, mit dem Edding das "Peace"-Zeichen an die Klowand zu malen.

Gar nicht so selten versuchte ich, das Thema auch im Unterricht anzusprechen. Vergeblich: Den Lehrern war ihr Lehrplan wichtiger als das Verlöschen der Menschheit im nuklearen Inferno. Ich wähnte mich auf der richtigen Seite der Geschichte und steckte zudem in der Pubertät - eine potente psychologische Kombination, die in mir ein nicht gerade kleines Sendungsbewusstsein bescherte und den Wunsch, meine neuen politischen Überzeugungen möglichst oft mit der Welt, also mit meiner Schulklasse, zu teilen. Was passierte, wenn man mir widersprach, hat meine damalige Lehrerin ja erstaunlich unverblümt ins Zeugnis geschrieben. Aber wahrscheinlich war sie noch zusätzlich davon genervt, dass ich in diesem ganzen Schuljahr nicht einen Tag, nicht eine Stunde gefehlt hatte.

Johannes Waechter, SZ-Magazin

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Wer glaubt, dass Kinder erst heute unter ständiger Beobachtung stehen, der irrt. Schon vor 25 Jahren spielte niemand in Bau- oder Puppenecke ohne Konsequenzen. Im zarten Alter von fünf Jahren bekam ich das erste Zeugnis meines Lebens. Die große Frage, vor der meine Eltern 1992 standen, war: Soll unsere Tochter schon mit fünf Jahren eingeschult werden?

Das Dilemma lag in meinem Geburtsdatum: Der 26. Juli ist ein großartiger Termin für Geburtstagspartys, aber der Stichtag für die Einschulung war der 1. August. Zum Glück befand mich meine Erzieherin Frau Brockschmidt für schulfähig, sodass ich den Kindergarten "Mühlendamm" nach zwei Jahren Richtung Grundschule verlassen durfte. Kein Wunder, schließlich befand ich mich in der Lage meine "Wünsche und Bedürfnisse an Kinder und Erwachsene heranzutragen". Und ich wollte unbedingt: in die Schule. Warum auch immer ...

Jana Stegemann, SZ.de, München, Bayern, Region

© SZ.de/mkoh/leja
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