Handschrift in der Grundschule:Tastatur schlägt Stift - oder umgekehrt?

Handschrift in der Grundschule: Die "Mühen der Handschrift" bleiben deutschen Schülern gewiss noch länger erhalten.

Die "Mühen der Handschrift" bleiben deutschen Schülern gewiss noch länger erhalten.

(Foto: imago stock&people)
  • An finnischen Schulen soll ab Herbst 2016 keine Schreibschrift mehr gelehrt, sondern den Schülern vorrangig das Tippen auf der Tastatur beigebracht werden.
  • Deutsche Bildungsexperten sehen die Pläne kritisch und wollen das Unterrichten von Handschrift in den Grundschulen unbedingt beibehalten.
  • Eine wissenschaftliche Studie stellt die Vorteile handschriftlicher Notizen gegenüber solchen auf der Computertastatur für das Lernen heraus.

Von Matthias Kohlmaier

Lesen, Schreiben und Rechnen sind die drei Kompetenzen, die Erwachsene von ihren frisch eingeschulten Sprösslingen erwarten. Vielleicht nicht sofort, aber doch gern zeitnah - auf dass am Spielplatz stolze Mütter und Väter einander mit "Meiner kann ja schon seinen ganzen Namen schreiben!" und Ähnlichem neidisch machen können.

Die Eltern finnischer Schüler werden sich freilich auch nach dem Herbst 2016 noch mit den Leistungen ihrer Kleinen brüsten können. Nur ein Wort, das werden sie in all ihrer Begeisterung womöglich ändern müssen: "tippen" statt "schreiben". Finnland, regelmäßiger Primus der Pisa-Studie und europaweites Vorbild, was das Schul- und Bildungswesen angeht, tilgt ab Ende 2016 das Lehren der Handschrift teilweise aus dem Lehrplan. Schreibschrift wird dann gar nicht mehr unterrichtet, nur eine einfache Druckschrift soll noch vermittelt werden. Die freiwerdende Unterrichtszeit sollen Schüler nutzen, um ihre Fähigkeiten an der Computertastatur zu verbessern.

Digitaler Alltag der Schüler

Mit der Hand zu schreiben, "und vor allem die Buchstaben miteinander zu verbinden, ist für viele Schüler schwer", erklärt Minna Harmanen vom finnischen Bildungsministerium den Schritt. Dass der einen kulturellen Bruch darstellt, das sei ihr natürlich bewusst, daher solle es den Schulen auch in Zukunft erlaubt bleiben, Schreibschrift zu lehren, wenn sie das unbedingt wollten. Das Tippen auf der Tastatur sei jedoch mit dem Alltag der Schüler viel einfacher in Verbindungen zu bringen als das Handschreiben, sagt Harmanen weiter. Schnelles und fehlerfreies Schreiben auf der Tastatur sei zudem "eine wichtige Kompetenz".

Bei Letzterem wird Harmanen niemand widersprechen können. Auch ist zu erwarten, dass künftige Generationen immer weniger handschriftliche Notizen werden machen müssen - weil es schlichtweg bei all den digitalen Möglichkeiten kaum noch eine Notwendigkeit dafür geben wird. "Es wäre dumm, wenn wir neue technische Hilfsmittel - Gehirnprothesen nenne ich sie - nicht nutzen würden, um uns mehr auf den Inhalt, statt auf die Form zu konzentrieren", sagt auch Caroline Liberg, Professorin an der schwedischen Universität Uppsala, gegenüber der Neuen Osnabrücker Zeitung.

Zumindest das Lehren der Schreibschrift ist auch in Deutschland seit Längerem in der Diskussion. Allerdings weniger der neuen technischen Hilfsmittel wegen, sondern um den Schülern unnötige Pein zu ersparen. So ist in Hamburg beispielsweise das Lehren der Schreibschrift keine Pflicht mehr. In Bayern jedoch erwartet der gültige Lehrplan von den Schülern am Ende der zweiten Jahrgangsstufe als grundlegende Kompetenz:

Sie schreiben eine leserliche, klare Handschrift und verwenden unverbundene oder verbundene Schrift situationsangemessen (z. B. Druckschrift in Überschriften, verbundene Schrift in längeren Textabsätzen).

Die Grundschrift, eine vom Grundschulverband entwickelte Variante der Druckschrift, die in mehreren Bundesländern bereits erprobt wurde, lehnte Kultusminister Ludwig Spaenle (CSU) bei der Vorstellung des seit dem Schuljahr 2014/15 gültigen Lehrplans ab. "Bayern favorisiert die Ausgangsschrift", also eine Form der Schreibschrift.

Sinnvolle "Mühen der Handschrift"

Ob sich ein Bundesland nun für die eine oder andere Variante entscheidet, eines ist landesweit eindeutig: Deutsche Bildungsexperten sehen die finnischen Pläne kritisch. "Die Einübung von Handschrift in der Grundschule darf nicht zur Disposition gestellt werden", warnt Udo Beckmann, Bundesvorsitzender des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE). "Ich halte gar nichts davon, das Schreiben per Hand durch das Tippen auf der Tastatur zu ersetzen." Es dürfe den Kindern in der Schule auf "keinen Fall eine Beschränkung ihrer motorischen Fähigkeiten zugemutet werden". Es sei nicht zuletzt durch die Erkenntnisse der Hirnforschung erwiesen, dass eigene handschriftliche Darlegungen das Lernen der Kinder beförderten.

Recht geben Beckmann die Ergebnisse mehrerer Studien, die die US-Forscher Pam Mueller (Princeton University) und Daniel Oppenheimer (University of California) durchgeführt haben. Für ihre 2014 veröffentlichte Arbeit mit dem bezeichnenden Titel "The pen is mightier than the keyboard" ("Der Stift ist mächtiger als die Tastatur") haben sie unter verschiedenen Bedingungen die Lernleistungen von Studierenden untersucht. Ergebnis: Hatten sich die Probanden zum Inhalt verschiedener Lernvideos handschriftliche Notizen gemacht, konnten sie das Gezeigte später deutlich besser wiedergeben als wenn sie ihre Aufzeichnungen mittels Laptop angefertigt hatte. Die langsamere Schreibgeschwindigkeit könnte die Lernenden dazu gezwungen haben, sich auf die wesentlichen Inhalte und Verknüpfungen zu konzentrieren und diese schon beim Notieren besser zu verinnerlichen.

Deutscher Lehrerverband fordert mehr Ressourcen

Insofern scheint es durchaus sinnvoll, dass sich Schüler auch im Zeitalter der fortschreitenden Digitalisierung den "Mühen der Handschrift" (Beckmann) unterziehen. Dass die Handschrift aber im Alltag zurückgedrängt wird und die Schulen hier vor Problemen stehen, dessen sind sich auch Deutschlands Lehrende bewusst. Der Deutsche Lehrerverband (DL) führt derzeit eine Umfrage unter Pädagogen durch.

"Wir möchten auf die Probleme mit der Handschrift öffentlich aufmerksam machen", sagt DL-Präsident Josef Kraus. Nach einer Bestandsaufnahme wolle man der Politik geeignete Maßnahmen vorschlagen. "Ohne den Ergebnissen vorgreifen zu wollen, so ist doch deutlich: Wir benötigen mehr Ressourcen für die Förderung der Grob- und Feinmotorik schon in den Kindertagesstätten und dann auch in den Grundschulen. Darauf wollen wir hinwirken", so Kraus weiter.

Allzu finnische Zustände wird es hierzulande wohl zeitnah nicht geben. Pisa-Studie hin oder her.

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