Zweckham:Bauernkrieg in einem oberbayerischen Dorf

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Idyllisch wirkt der oberbayerische Ort Zweckham: doch der Konflikt schwelt. (Foto: Matthias Köpf)

In Zweckham sollen neue Bauplätze entstehen. Die 38 Einwohner befürchten nun, ihre Dorfgemeinschaft könnte von Neuankömmlingen zerstört werden.

Von Matthias Köpf

Die "lustigen Zweckhamer" haben zwar eine Tafel mit dieser Aufschrift in ihrer Mitte, aber sonst schauen die zwei Dutzend Menschen in ihren bäuerlichen Festtagstrachten ziemlich ernst und schwarz-weiß in die Kamera, weil das Fotografiertwerden vor hundert Jahren eben eine ernste Sache war. Erst vor ein paar Jahren haben sie hier in Zweckham die alte Aufnahme spaßeshalber noch mal nachgestellt, doch dieses Foto findet Gertrud Brunner auf die Schnelle nicht, nur eine Fotokopie des alten. Und lustig geht es in Zweckham sowieso nicht mehr zu. 38 Menschen leben in dem Weiler im Landkreis Traunstein, die paar Kinder inklusive. Zusammen sind sie kaum mehr als vor hundert Jahren, und doch ist seit ein paar Monaten alles anders. So ein Dorf mache man einfach kaputt mit so was, sagt Lydia Vordermayer. "Das ist doch schon hin", antwortet Josef Parzinger bitter.

Dabei wären sich gerade diese beiden noch einigermaßen einig. Einig, dass es in Zweckham so bleiben soll, wie es ist. Sieben Höfe, vier Häuser, Milchkühe, Melkmaschine, mehr nicht. Eine Kirche, ein Wirtshaus oder einen Kramerladen haben sie sowieso noch gar nie gehabt. Drüben auf der anderen Seite der Kreisstraße, wo die vielleicht sechs oder acht neuen Häuser mal stehen würden, herrscht eine andere Einigkeit. "Die Idylle gibt's ja gar nicht mehr. Nicht als Bauerndorf", sagt Georg Brunner senior. Wie solle das auch gehen, den bäuerlichen Charakter erhalten, so ganz ohne Bauern, schiebt Georg Brunner junior nach. Wenn es um 30 Häuser ginge oder um riesiges Gewerbe, dann würde er das ja verstehen. "Aber die paar Bauplätze?"

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Formell geht es bisher nur um grobe Flächen, nicht um Parzellen. Aber ob es jetzt sechs neue Häuser würden oder acht: Zweckham würde praktisch über Nacht um mehr als die Hälfe wachsen. Und nach München ziehen ja auch nicht eine Dreiviertelmillion Menschen auf einen Schlag. In Zweckham müssten sie über die neuen Nachbarn dann ganz anders reden als übereinander: Die sieben Anwesen haben alte Hofnamen, und die vier Häuser, das letzte wurde vor mehr als 20 Jahren gebaut, gehören alle wo dazu. Da gibt es also den Pöschl, den Nebauer, den Spainz, den Hoanzl, den Anderl und den Oacher. Wenn es statt dieser Hofnamen um die bürgerlichen Nachnamen der anderen geht, dann müssen in Zweckham manche erst überlegen.

Der Hof der Brunners heißt "beim Bauern", ausgerechnet. Der "Bauer" war früher der größte Landwirt hier, aber er war vor 60 Jahren auch der erste, der aufgehört hat - damals, weil der kriegsversehrte alte Bauer nicht mehr konnte. Drei Generationen später fahren Michael und Andreas Brunner mit ihren Traktoren die Rampe von der Tenne herunter, doch sie sind sechs und fünf und ihre Gespanne aus Plastik. Das wirkliche Höfesterben begann Ende des 20. Jahrhunderts. Vergangenes Jahr hat auch der Anderl aufgehört, jetzt gibt es nur noch zwei Höfe, wobei sich auf einem der Stall neulich ziemlich geleert hat und das ganze Anwesen vor lauter "Betreten verboten" und "Achtung Videoüberwachung" auch sonst ziemlich trostlos wirkt.

Bleibt der Pöschl, also Josef Parzinger und seine Familie. Der sagt, er habe investiert, einen Melkroboter angeschafft für die 50 Milchkühe, dazu stünden 50 Stück Jungvieh im Stall. Aber wenn jetzt da drüben irgendwelche Leute aus der Stadt herzögen, würden die ihn dann noch wirtschaften lassen oder würden sie sich dauernd beschweren über Lärm oder über den Gestank, wenn er Gülle fährt, oder gar über Kuhglocken, wie es über Holzkirchen immer in der Zeitung steht? Er habe Existenzangst und darum auch einen Anwalt, sagt Josef Parzinger. Lydia Vordermayer will vor allem ihre Ruhe haben, aber eben eine Ruhe, wie die 54-Jährige sie zeitlebens aus Zweckham gewohnt ist. Ein oder zwei Häuser für die eigene Familie, "da hätt' doch Zweckham nix dagegen", sagt Josef Parzinger. Worum es den Brunners gehe, ist für ihn und auch für Lydia Vordermayer klar: Nur ums Geld, um nichts anderes. Beim Bauern hätten sie halt schon immer diese Wiese versilbern wollen, erst die Alte, dann der Schorsch und jetzt halt der Schorschi.

Der Schorschi, Georg Brunner junior, weist diesen Verdacht zurück und hat einen eigenen, die anderen betreffend: "Neidig" seien sie halt, "um nix anders werd's ned gehen." Den einen Bauplatz brauche er zum Auszahlen für die Schwester, den anderen für sich, vielleicht mal zwei für die Buben, die mit den Plastik-Traktoren. Er selbst habe jedenfalls keinem was getan, keinen gehässigen Leserbrief an die Lokalzeitung geschrieben, niemandem unterstellt, er wolle sich nur bereichern. Das sei der Neid, stimmt ihm Herbert Strohmayer zu. Der 62-Jährige hat seine Landwirtschaft auch schon lange aufgegeben, im Stall stehen ein Auto und die Topfpflanzen für die Terrasse. Er betont, dass er 20 Jahre lang Vorsitzender des Trachtenvereins in Traunwalchen war. Dagegen hätten die da drüben ihr Lebtag nie was für einen anderen getan, und jetzt seien sie "neidig" wegen der Bauplätze. Bei ihm auf dem Grundstück gingen sich gegebenenfalls auch zwei Parzellen aus. Aber das sei ihm eigentlich gleich, sagt er.

Die Zweckhamer wissen alles übereinander, und sie erzählen viel davon, oder vielleicht wissen sie auch nur viel und erzählen alles. Sogar in ihren Stellungnahmen zum Planverfahren legen sie dar, wessen Kinder wohin geheiratet haben und warum die sicher nicht wieder nach Zweckham ziehen und hier bauen werden; oder dass bald die letzten Höfe eingehen werden und Zweckham ausstirbt.

Adressat ist die Stadt Traunreut, eine in der Nachkriegszeit von Vertriebenen aufgebaute Industriestadt, die 1978 die Gemeinde Traunwalchen samt Zweckham geschluckt hat und längst größer ist als die Kreisstadt Traunstein. Sie hat eigentlich andere Probleme, als eine leere Wiese und ein paar Grundstücke in einem Weiler namens Zweckham mit einer Handvoll Häuser für wen auch immer aufzufüllen. Das Verfahren haben die Stadträte bisher stets mit knapper Mehrheit vorangetrieben. Dass ein Stadtrat von einer Zweckhamerin in ihrem überbordenden Zorn von der Besuchertribüne des Sitzungssaals herunter bespuckt wurde, sind sie auch nicht gewohnt. Die Stadt Traunreut muss jedenfalls an ihr Trinkwasser denken und daran, dass die flurbereinigten Wiesen um Zweckham irgendwann Wasserschutzgebiet werden könnten. Dafür und auch für neue Häuser wäre ein Kanalanschluss gut, aber da fehlt ein Kilometer.

Der Kanal ist nur bis Niedling gekommen, weil eine Zweckhamerin sich geweigert hat, dafür Grund herzugeben. Stattdessen habe man die Zweckhamer damals gedrängt, Tausende Euro in Kleinkläranlagen zu stecken, sagt Bürgermeister Klaus Ritter. Auch darüber lässt sich jetzt streiten, über die Notwendigkeit von Gutachten und darüber, wer sie zahlen soll. Ritter bescheinigt den Zweckhamern da "eine kraftvolle Mentalität". Und jeder von ihnen habe ja auch irgendwie recht. Georg Brunner junior sagt, früher sei man halt hinüber gegangen und habe geholfen, wenn es nötig war. "Jetzt hilft man halt keinem mehr." Und Josef Parzinger bringt nach eigenen Worten nur noch ein knappes "Servus" über die Lippen und über die Kreisstraße. Immerhin eines ist ihnen aber allen gewiss: Ihr Dorffest werden sie nicht mehr feiern. Auch ohne Zugezogene nicht.

© SZ vom 14.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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