Zerstörtes Haus in Schliersee:Explosion war Verzweiflungstat

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Die Explosion eines Hauses in Schliersee wirft Fragen auf: Vieles spricht dafür, dass sich die psychisch kranke Tanja W. auf diesem Wege selbst töten wollte - doch die genauen Motive sind noch ungeklärt. Anwohner erheben unterdessen schwere Vorwürfe gegen die Polizei.

Peter Seybold

Trauer und Fassungslosigkeit beherrschten am Tag nach der Familientragödie die Gemeinde Schliersee (Kreis Miesbach). Beamte der Polizei sicherten am Freitag Spuren in der abgebrannten Doppelhaushälfte an der Breitensteinstraße, die Leiche von Tanja W. wurde obduziert.

Nur noch ein Trümmerfeld blieb nach der Gasexplosion von dem Einfamilienhaus in Neuhaus am Schliersee übrig. Einsatzkräfte bargen die Leiche einer 35-jährigen Frau. (Foto: dapd)

Anwohner erhoben derweil schwere Vorwürfe gegen die Polizei. Sie hätte nach der ersten Brandstiftung des Ehepaars falsch reagiert und sei deshalb mitschuld an der Explosion. Der Mann von Tanja W. wurde am Donnerstag Abend aufgespürt, er war nicht an der Sprengung des Hauses beteiligt. Tanja W. hatte am Donnerstag Mittag im Miesbacher Jugendamt sowie bei der Polizei angerufen und die Explosion ihres Hauses angekündigt (wir berichteten).

Nach SZ-Informationen bat sie am Anfang des Gesprächs die Mitarbeitern des Jugendamtes, ihren Kindern auszurichten, "dass ich sie lieb habe". Im weiteren Verlauf kündigte sie dann an, dass sie jetzt das Haus in die Luft sprenge.

Zeitgleich verschickte sie eine Mail mit der Ankündigung an das Jugendamt, unter dessen Obhut ihre drei Söhne seit Dienstag stehen. Die 35-jährige war da noch in freiwilliger psychiatrischer Behandlung, die Kinder mit dem Vater alleine. Tanja W. befürwortete die Entscheidung des Jugendamtes, heißt es.

W. brachte unmittelbar nach den Telefongesprächen ihr Wohnhaus zur Explosion. Bereits am 28. Dezember hatte das Paar versucht, das Haus in die Luft zu sprengen. Die Polizei geht davon aus, dass W. ähnlich wie beim ersten Versuch die Gasleitung manipulierte und dann das ausströmende Gas zur Explosion brachte. Im Dezember hatte sie dafür Teelichter aufgestellt.

Ob sie Selbstmord begehen wollte oder nur nicht mehr rechtzeitig aus dem Haus kam, ist ungeklärt. Vieles spricht aber dafür, dass sich Tanja W. das Leben nahm. Als die Einsatzkräfte eintrafen, stand das Haus bereits in Flammen. Der Sachschaden wird auf 300.000 Euro geschätzt.

Gegen 18 Uhr fand die Polizei den Ehemann im Landkreis Starnberg bei Angehörigen. Er war seit Mittwoch nicht zu Hause und - im Gegensatz zum ersten Mal - nicht an der Sprengung beteiligt. Er wusste wohl auch nichts von dem Plan seiner Frau, die erst am Donnerstag von der psychiatrischen Behandlung zurück kam.

Ungeklärt blieben am Freitag die Motive von Tanja W. Während bei ihrem ersten Versuch wohl finanzielle Gründe, vermutlich ein Versicherungsbetrug, ausschlaggebend waren, wird diesmal von familiären Hintergründen ausgegangen. Möglich ist auch ein Zusammenhang mit der psychischen Erkrankung W's.

Die beiden älteren Söhne (11 und 15) wurden noch am Donnerstag über den Tod der Mutter informiert. Sie nahmen die Nachricht den Umständen entsprechend gefasst auf. Der jüngste Sohn (10) sollte am Freitag informiert werden. Alle drei Kinder sind vom Jugendamt zur Zeit außerhalb des Landkreises Miesbach untergebracht. Nach der Explosion des Hauses telefonierten die beiden älteren Söhne mit dem Vater.

Nachbarn berichteten der Süddeutschen Zeitung, dass die Familie bereits seit Jahren unangenehm aufgefallen sei. "Man hat den Kontakt gemieden, viele haben über sie geschimpft", so eine Nachbarin. Die Eltern hätten meistens nicht gearbeitet und seien so den ganzen Tag zu Hause gewesen. Das Haus sei vermüllt gewesen. Tanja W. sei wegen Knieproblemen tagsüber vor allem im Rollstuhl unterwegs gewesen, dann aber nachts um 2 Uhr beim Schneeschippen ohne Rollstuhl beobachtet worden.

W. betrieb zeitweise einen Online-Pralinenversand. Nach einem Wasserrohrbruch Ende August in ihrem Lager musste sie aber alle Vorräte entsorgen und konnte die Firma nicht weiterführen. Die Familie hatte finanzielle Probleme. Sie hielt sich mit Hartz IV und Gelegenheitsjobs über Wasser.

Nach der ersten Brandlegung hätten viele Anwohner Angst vor der Familie und einem neuen Versuch gehabt. Angeblich hätten die Miesbacher Vermieter ihnen auch gekündigt. Die Vermieter wollten sich auf Anfrage nicht äußern.

Schwere Vorwürfe erheben Anwohner gegen die Polizei. Aufgrund der psychischen Erkrankungen von Tanja W. sei es klar gewesen, dass sie früher oder später einen zweiten Versuch unternehmen werde.

Wegen des wenige Meter entfernt stehenden Außentanks der Gasanlage sei dies auch für die Nachbarn eine Bedrohung gewesen. Das Paar hätte nicht wieder nach Hause entlassen werden dürfen. "Da durch das Geständnis nach dem ersten Versuch davon auszugehen war, dass keine Versicherung bei einer zweiten Brandlegung gezahlt hätte, fiel das Motiv des Paars weg. Ein weiterer Tatversuch war also nicht vorauszusehen", sagte ein Sprecher der Polizei .

© SZ vom 14.01.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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