Wieder gefragt:Oldtimer mit Musik

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Andreas Bauer fertigt in seinem Presswerk in Tiefenbach pro Tag bis zu 3000 Platten. (Foto: Birte Mensing)

In einer ehemaligen Druckerei bei Landshut betreibt Andreas Bauer Bayerns einziges Presswerk für Schallplatten. Die Verkaufszahlen der Branche steigen seit Jahren. Die Aufträge kommen auch aus Finnland und Japan

Von Birte Mensing, Tiefenbach

Leise Musik ist zu hören, während der Stichel Kreise auf einer Aluminiumscheibe zieht. Die Nadel überträgt die Musik vom Computer auf die Scheibe. Sie ritzt feine Rillen, deren Ausprägungen man nur unter dem Mikroskop erkennen kann. Die Vorlage, die hier entsteht, ist der Ausgangspunkt einer jeden Schallplatte. In einer ehemaligen Druckerei in Tiefenbach (Landkreis Landshut) betreibt Andreas Bauer Bayerns einziges Schallplattenpresswerk "My 45".

Der gelernte Radio- und Fernsehtechniker legte früher als DJ selbst vor allem Reggae-Platten auf. Mit 27 Jahren kaufte er sich eine Maschine, mit der er einzelne Platten selbst pressen konnte. Größere Auflagen ließ er in Frankfurt herstellen. Als das dortige Presswerk Konkurs anmelden musste, kaufte er mit einem Freund 2007 deren Maschinen. "Das war ein Abenteuer", sagt Bauer. Denn im Jahr davor war der Absatz von Vinyl-Platten auf dem tiefsten Punkt seit deren Erfindung vor 130 Jahren. Bauers Freund hatte einen Reggae-Vertrieb am Bodensee und da passte eine eigene Presse gut ins Konzept. "In Jamaika haben auch viele Labels ein eigenes Presswerk", sagt der 47 Jahre alte Plattenpresser. Aus der Karibik kommt auch der Name "My 45": Im Reggae ist "45" der Kosename für Singles, Platten mit nur einem Song.

Die Aluminiumscheibe wandert als Nächstes von Schüssel zu Schüssel, wird in Seifenlaugen und Zink-Chlorid-Lösung getaucht, damit weder Staubkörnchen oder noch kleinste Abdrücke zurückbleiben. Über der Anlage hängt eine Bob-Marley-Uhr. Stefan Scheugenpflug wird gerade als Galvaniker angelernt. Der 28 Jahre alte Landshuter sprüht eine dünne, elektrisch leitende Silberschicht auf die Alu-Vorlage. Im nächsten Bad steht die Flüssigkeit unter Strom und enthält Nickel. Das setzt sich auf der Silberschicht ab, in der Fachsprache heißt das: Die Nickelschicht wird aufgalvanisiert. Dann wird die Schicht abgezogen. Dieses Negativ der ersten Aluminiumscheibe ist die Form, die Scheugenpflug dann in Pizzakartons verpackt zur Presse bringt. Für jede Schallplatte gibt es zwei Negative: eines für die Vorder- und eines für die Rückseite. Bis zu 1000 Platten pressen Bauer und sein Team aus jedem Negativpaar.

In der Halle läuft laut Hip Hop. In Bauers Büro stehen Star Wars-Figuren, Reggae-Alben und Bierkrüge. Auf seinem T-Shirt ist ein Totenkopf. Eine Breze bildet die Augen, drunter gekreuzte Weißwürste. Das Oberteil müsste er eigentlich am Donnerstag tragen, wenn das Team sein wöchentliches Weißwurstfrühstück macht. Der Spaß an der Platte und an der Arbeit steht hier im Mittelpunkt, sagt der Chef.

Andreas Bauer produziert Musik, die nicht digital verpufft: "Die Platten halten bei guter Pflege ewig." Erst presste Bauer nur Singles, auf jeder Seite ein Lied. Nach seinem Umzug nach Tiefenbach rüstete er 2016 technisch auf, jetzt presst er auch Langspielplatten. Insgesamt spucken seine Maschinen derzeit bis zu 3000 Platten am Tag aus.

Wenn die Pressmaschine Toolex Alpha das speziell gemischte PVC-Granulat auf 180 Grad erhitzt, riecht es in der Produktionshalle nach angesengtem Gummi. Die hell- und dunkelgrün lackierte Anlage schiebt einen Klumpen Vinyl, so groß wie ein Muffin, zwischen die Formen. Zwanzig Sekunden lang presst die Maschine mit einer Kraft von 100 Tonnen die Platte und drückt das Label ins Vinyl. Es zischt, ein Greifarm hebt die Platte aus der Presse. Ein nächster Teil der Maschine schneidet das überschüssige Vinyl vom Rand, dann fällt die Platte auf eine Spindel. Hier bleibt sie erst einmal zum Trocknen liegen. Die meisten Scheiben sind schwarz, manche weiß, grün, blau oder marmoriert.

Die Maschinen stammen noch aus den 1980er-Jahren. Als Bauer sein Unternehmen gründete, wurden keine neuen Maschinen mehr hergestellt. Er zerlegte die Maschinen bis ins kleinste Teil, um sie zu verstehen. Schließlich muss er sie auch selbst reparieren. Heute werden zwar wieder neue Anlagen gebaut. In Österreich entwickelt eine Firma sogar eine neue Technik, bei der die Rillen der Vorlage mit Laserstrahlen erzeugt werden sollen. Bauer hat zwar schon Kontakt nach Österreich aufgenommen, aber er ist skeptisch: "Es gab immer wieder neue Trends, keiner hat sich durchgesetzt", sagt er. Und: "All die mechanischen Limitierungen sorgen für das, was den wohligen Klang der Platte ausmacht."

Alles beginnt mit der Übertragung der Musik vom Computer auf eine Aluminiumscheibe, die in einem späteren Arbeitsgang beschichtet wird. (Foto: Birte Mensing)

Seit 2007 steigen die Verkaufszahlen von Schallplatten in Deutschland wieder, 76 Millionen Euro Umsatz machte die Branche nach Angaben des Bundesverbandes Musikindustrie im Jahr 2017. Andreas Bauer ist, ohne dass er es ahnte, zur richtigen Zeit ins Vinylgeschäft eingestiegen. "Die Leute wollen sich mit dem Produkt beschäftigen, etwas in der Hand haben", sagt Bauer. "Wie bei Oldtimern." Selbst aus Finnland oder Japan bekommt Bauer Aufträge, meist von kleinen Labels. Die schwedische Rockband Mando Diao hat hier schon eine Single produzieren lassen, aber auch bayerische Bands wie die Münchner Hip-Hop-Brassband Moop Mama lassen hier ihre Alben pressen.

Wenn Bauer sich etwas wünschen dürfte, dann würden seine Maschinen eines Tages alte Funk-Platten nachpressen. "James Brown, das wär' was." Die würden dann wohl einen Platz in seiner privaten Sammlung bekommen. "Aber für sowas sind wir wahrscheinlich zu popelig." Vorerst bewahrt Andreas Bauer in Tiefenbach weiter nicht nur das Kulturgut Vinyl, sondern auch ein "riesiges Universum an Musik, das oft exklusiv auf Vinyl erscheint". Man finde eben nicht alles im Internet, zum Beispiel Alben aus dem Musikgenre "Noise". "Das ist schon sehr nischig", findet Bauer. Bei "My 45" gibt es keinen Mindestabsatz, die Auflagen liegen meist zwischen 300 und 500 Stück, das kostet die Labels oder Bands dann zwei bis drei Euro pro Platte. Inklusive der meist kunstvoll gestalteten Hülle, in die Mitarbeiter die Schallplatte am Ende verpacken.

Die ganzen Produktionsschritte musste Andreas Bauer früher selbst machen. Heute leitet er das Unternehmen, koordiniert seine 15 Mitarbeiter und hilft da aus, wo gerade jemand Urlaub hat oder Mittagspause macht. Tagsüber stehen die Maschinen nicht still. Wollte er mehr produzieren, müsste er Nachtschichten einführen. Oder umziehen in ein größeres Gebäude. "Die Halle ist am Limit. Aber ich will gar nicht immer mehr", sagt Bauer. Er und sein Team können schließlich von der Produktion leben und stellen etwas her, das viele Menschen fasziniert. "Eigentlich ist das jetzt schon mehr, als ich je gedacht hätte", sagt Bauer.

Am 23. Juni lädt Andreas Bauer von 10 Uhr an zum Tag der offenen Tür in sein Schallplattenpresswerk in der Hauptstraße 30 in Tiefenbach.

© SZ vom 04.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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