Waischenfeld:Ein spätes Wiedersehen

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In Waischenfeld fand 1967 das letzte Zusammentreffen der Intellektuellen-Runde Gruppe 47 statt. Das Städtchen lädt nun - 50 Jahre später - die lebenden Literaten einfach noch einmal ein

Von Olaf Przybilla, Waischenfeld

Im vergangenen Jahr ist Guntram Vesper mit dem Preis der Leipziger Buchmesse geehrt worden, zweifellos eine der bedeutendsten literarischen Trophäen in Deutschland. Und so könnte man sagen, dass am Ende doch immer alles einen Sinn haben muss: auch die Tiefschläge des Lebens und die Momente, in denen man am liebsten im Boden versinken würde. Beim heute 76 Jahre alten Vesper war einer dieser Momente vor 50 Jahren, und wer heute den Referenztext eines zu jener Zeit nicht übermäßig bekannten Literaten liest, der wundert sich, dass Vesper im Oktober 1967 nicht einfach aufgehört hat mit dem Schreiben. Sein Text heißt: "Eingeladen, meiner Hinrichtung beizuwohnen", er ist entstanden nach jenem Treffen der Gruppe 47 in der "Pulvermühle" in Waischenfeld, das in die Literaturgeschichte eingegangen ist als letzte Zusammenkunft dieser immerwährenden Intellektuellen-Runde. Am Wochenende jährt sich das Treffen zum 50. Mal, das Städtchen hat die lebenden Literaten deshalb einfach noch einmal eingeladen. Einige kommen tatsächlich. Vesper wird fernbleiben.

Schlechte Gefühle, weil die "Hinrichtung" damals gar so heftig war? Gar nicht, sagt Vesper. Es ist vielmehr so, dass da einer mit 76 so erfolgreich ist, wie er im Lauf seines Literatenlebens selten war (schon gar nicht als 26-Jähriger). Am Samstag, wenn sich die Kollegen in Waischenfeld austauschen, soll Vesper sein neues Werk auf der Frankfurter Buchmesse vorstellen, eine nicht ganz glückliche Koinzidenz. Aber dass er dort nun so begehrt ist und für den Schöffling-Verlag geradezu unverzichtbar, das liegt eben auch daran, dass Vesper seine eigene intellektuelle Hinrichtung in Franken damals überlebt hat. Zum Glück, sagt er, "waren da ja auch einige Kollegen für mich". Erich Fried fällt ihm spontan ein. Die anderen müsste er im eigenen Text erst nachlesen. Ist eben 50 Jahre her.

Die eigene Exekution großartig in Worte fassen zu können, ist den wenigsten gegeben. Und so dürfte Vespers Text als literarisches Dokument auch diesmal eine Rolle spielen in Waischenfeld. Die Gruppe traf sich von 1947 an unregelmäßig und mit Vorliebe in der Abgeschiedenheit, um ungestört über Literatur streiten zu können. Die "Pulvermühle" war für Hans Werner Richter, den Zampano der Gruppe führender Dichter und Kritiker, offenbar hinreichend abgeschieden. Das tumultartige Treffen in Franken galt bald als spektakulärste Zusammenkunft von Walser, Reich-Ranicki, Grass und Kollegen. Aufgelöst wurde die Gruppe 47 erst zehn Jahre später, das Treffen in der Mühle aber markierte deren Höhepunkt und beginnenden Niedergang.

Vesper war damals zum ersten Mal eingeladen, an einem windigen Donnerstag im Herbst macht er sich in einem geliehenen Opel Rekord, Baujahr '63, auf den Weg nach Franken in die Mühle. Als er dort eintrifft, ist in der Stube schon allerlei geboten, Günter Grass isst Abendbrot, Martin Walser gestikuliert, Peter Härtling trinkt Bier. Am nächsten Tag muss Vesper seine Gedichte vorlesen, fünf trägt er vor, die Reaktion ist zunächst gesammeltes Schweigen. Im Gedächtnis bleibt ihm, womöglich aus nachvollziehbaren Gründen, in erster Linie das: "Grass findet schlecht, Reich-Ranicki entsetzlich, ganz schrecklich."

Der Vorsitzende der Gruppe 47, Hans Werner Richter, steht am 5. Oktober 1967 vor der "Pulvermühle" in Waischenfeld. (Foto: Karl Schnörrer/dpa)

Hans Magnus Enzensberger wird ebenso wieder in Waischenfeld erwartet wie Friedrich Christian Delius und Jürgen Becker. Der hat vor 50 Jahren den letzten Preis der Gruppe 47 gewonnen. An mehreren Orten in der Stadt werden auch junge Autoren lesen, darunter Nora Bossong und Katharina Enzensberger, die Tochter von Hans Magnus. Infos: www.gruppe47.de

© SZ vom 11.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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