Streit um Mühldorfer Stadtplatz:Klotz des Anstoßes

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Früher Kloster, dann Mädchenschule, nun Kindergarten. Und bald ein C & A? Die Mühldorfer ringen um die Zukunft ihres Stadtplatzes. (Foto: oh)

Wie viele Modegeschäfte braucht Mühldorf? Und dürfen dafür historische Häuser abgerissen werden? Nun streiten Bürger und Politiker mit allen juristischen Finessen über die Zukunft des denkmalgeschützten Stadtplatzes.

Von Heiner Effern

Die Wunde am historischen Mühldorfer Stadtplatz ist noch kaum verheilt, und nun soll schon wieder ein altes Haus fallen. Ein weiterer großer Filialist drängt an den Inn, und zwar auf das Areal, auf dem einst ein Kapuzinerkloster und später die Mädchenschule stand. Heute ist dort ein städtischer Kindergarten. Darf dort C & A bauen, wird die benachbarte Frauenkirche von gleich zwei riesigen Kleidergeschäften mit insgesamt vier Buchstaben flankiert werden: Auf der anderen Seite steht seit gut zwei Jahren ein H & M. Darf man alte Häuser auf einem denkmalgeschützten Stadtplatz für solche Großketten opfern? Muss man das sogar? Darüber streiten die Mühldorfer mit so vielen Haken und Ösen, dass mittlerweile sogar Juristen den Überblick verloren haben.

Judith Straube gehört zu den Menschen, die sich gegen den Abriss des Hauses Nummer 58 wehren. Ihr Kind besuchte den bisher dort untergebrachten städtischen Kindergarten, und sie begann mit Gleichgesinnten Unterschriften zu sammeln. "Wir haben sofort gemerkt, dass das ein Riesenthema ist. Da hat sich der ganze Zorn entladen wegen des H & M. Die Leute wollen einfach nicht, dass das Gleiche noch einmal passiert."

Das "Gleiche" heißt für Judith Straube und knapp 3000 Mühldorfer, die unterschrieben haben, dass ein Investor zu seinen Bedingungen einen Neubau auf ihren historisch wertvollen Stadtplatz setzt. Der dazu auch noch die Front lieblos und mit den hier unüblichen eckigen Schaufenstern gestaltet. Und dessen lange Seitenwand zu einer Gasse hinaus an eine fensterlose Trutzburg erinnert. Auch der neue C & A soll weit in eine solche Seitengasse hineinreichen.

Fragwürdige Fragen des Stadtrats

Für Judith Straube und ihre Mitstreiter stand deshalb im Juli 2013 fest: Das verhindern wir mit einem Bürgerentscheid. Die Fragestellung ließen sie von einem Juristen prüfen, doch der Stadtrat beschloss nach Rücksprache mit seinen Rechtsvertretern, dass die Fragen des Bürgerbegehrens so nicht zulässig sein.

Da so viele Bürger aber ein Abstimmung wünschten, formulierte der Stadtrat gleich selbst ein paar Fragen. In denen kam das Wort Abbruch nicht vor, dafür aber ein neuer Kindergarten und der Erhalt des Marktes am Stadtplatz, der allerdings gar nicht zur Disposition stand. Natürlich ließ der Stadtrat die Fragen von Juristen prüfen, und am 22. September stimmten etwa 60 Prozent der Wähler für den C & A.

Doch dann brachte sich nach langem Zögern das Landratsamt Mühldorf in den Streit ein. Nach Rücksprache mit seinen Rechtsvertretern beschloss es im Dezember, dass die Fragen des Ratsentscheids so nicht zulässig gewesen seien. Folgende beide Klagen stehen derzeit im Raum: Die Bürgerinitiative will am 29. Januar vor dem Verwaltungsgericht München erreichen, dass der Bürgerentscheid ebenfalls noch abgehalten werden muss. Die Stadt hat vorsorglich gegen das Landratsamt geklagt, falls die Bürger Recht bekommen sollten. Damit ihr Ratsentscheid bei Bedarf seine Gültigkeit behält.

Wichtig fürs Mühldorfer Zentrum?

Eine vertrackte Situation also, die die Stadt in einer vertrackten politischen Lage trifft. Bürgermeister Günther Knoblauch, erster Antreiber hinter den Neubau-Plänen, wurde im September für die SPD in den Landtag gewählt. Sein Stellvertreter hörte auch gleich auf. Also wählten die Stadträte Ilse Preisinger-Sontag (CSU) zur provisorischen Zweiten Bürgermeisterin. Sie regiert nun und findet den neuen C & A ebenfalls wichtig fürs Mühldorfer Zentrum.

Schon die Ansiedlung von H & M habe gezeigt, dass "der großflächige Einzelhandel die Attraktivität der Stadt erhöht". Davon würden auch die anderen Geschäfte profitieren. Es sei aber ihr Ansinnen, dass so etwas wie bei der Fassade und vor allem dem hinteren Teil des H & M nicht noch einmal passiere. Aber diesmal habe die Stadt die Hand drauf, schließlich habe die eigene Stadtbau GmbH das Grundstück im Besitz.

Verwirrung durch das Landesdenkmalamt

Ob diese damit wirklich machen kann, was sie will, ist aber noch offen. Denn auch das Landesdenkmalamt hat einige Schlenker in dieser Sache hingelegt. Grundsätzlich steht der gesamte Stadtplatz im Inn-Salzach-Stil unter Denkmalschutz, als Ensemble. Das nun umstrittene Haus Nummer 58 war lange Zeit sogar zusätzlich als Einzeldenkmal eingestuft, genauer als "Spätmittelalterliches Bürgerhaus, Rückseite Stadtmauer".

1984 hat aber irgendwer bemerkt, dass das Haus gar nicht an der Stadtmauer liegt. Dadurch verlor es den Status als Einzeldenkmal. Den hat es nun aber wieder, denn bei den jüngsten Untersuchungen für den Abriss wurde festgestellt, dass in dem Gebäude noch so einige Substanz aus dem Jahr 1640 vorhanden ist, als dort ein Kapuzinerkloster stand.

Bei all den ungeklärten Verhältnissen bleibt die Stadt bisher ruhig. Denn sollten alle Entscheide und Gerichtsentscheidungen im Sande verlaufen, bliebe immer noch der Beschluss des Stadtrats für den Bau des neuen Gebäudes. "Es bremst uns derzeit kein rechtliches Hindernis", sagt Bürgermeisterin Preisinger-Sontag.

Die Gegner kündigen aber an, dass sie noch so manche Idee für solche Hemmnisse hätten, zum Beispiel könnten sie vor Gericht ziehen und ihren dann genehmigten Bürgerentscheid gewinnen. Oder der Schutz als Einzeldenkmal reicht schon. Oder es könnte ein Nachbar klagen. So mancher Jurist wird sich also noch einarbeiten müssen, bis am Stadtplatz 58 die Bagger anrücken. Wenn sie es jemals tun.

© SZ vom 21.01.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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