Schulen in Bayern:Lehrer-Präsident bringt G10 ins Gespräch

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Keine Rückkehr zu G9: In Bayern soll Schluss sein mit Schulreformen. Das zumindest hat der Ministerpräsident verkündet. Doch Seehofers Basta hat die Debatte nicht beendet. Jetzt schlägt der größte Lehrerverband eine ganz neue Variante vor.

Klaus Wenzel, 64, ist seit sechs Jahren Präsident des ältesten Lehrerverbands im Freistaat. Der Bayerische Lehrer- und Lehrerinnenverband wurde vor 152 Jahren gegründet und hat 57.000 Mitglieder. Im Interview mit der Nachrichtenagentur dpa fordert er umfassende Reformen an den Schulen und bringt ein zehnjähriges Gymnasium ins Gespräch.

Die Staatsregierung hat angekündigt, in den nächsten Jahren keine Schulreformen zu beschließen und die Schulen in Ruhe arbeiten zu lassen. Halten Sie das für richtig?

Klaus Wenzel: Nein. Sie werden keine Ruhe in die Schule bekommen, solange einige Grundprobleme nicht gelöst sind. Das Niveau unserer Gymnasien ist zum Beispiel in den vergangenen Jahren gesunken. Daher müssen sich die Experten zusammensetzen und grundlegend fragen: Wie muss ich Schule organisieren, damit sie zu einer echten Bildungseinrichtung wird und wettbewerbsfähig bleibt?

Der Philologenverband fordert eine Rückkehr zum neunjährigen Gymnasium. Schließen Sie sich dem an?

Die Probleme mit G8 sind unübersehbar. Manche Eltern schicken ihre Kinder trotz eines Notenschnitts von 1,3 lieber auf die Realschule, um ihnen die Tortur des achtjährigen Gymnasiums zu ersparen. Das führt auch zu einer Belastung der Realschulen. Im 21. Jahrhundert die Schulzeit zu verkürzen halte ich für sehr bedenklich. Die Frage ist, welche Bildungsziele uns wichtig sind. Vielleicht brauchen wir dann sogar ein zehnjähriges Gymnasium.

Aber beim neuen Pisa-Schultest haben die Schüler in Deutschland doch besser abgeschnitten als je zuvor.

Seit der letzten Pisa-Studie hat sich nichts Wesentliches verändert. Pisa wird überschätzt. Die Rankeritis macht die Schulen kaputt und Lehrer und Eltern nervös. Man kann Wissensstandards definieren, aber nicht Bildungsstandards. Und um Bildung müsste es gehen.

Was meinen Sie damit?

In der bayerischen Verfassung stehen Hilfsbereitschaft, Verantwortungsbereitschaft und Völkerverständigung als Bildungsziele. Doch am Ende der vierten Klasse spielt das leider keine Rolle mehr. Da geht es nur noch um die Noten in Deutsch, Mathematik, Heimat- und Sachkunde. Die Persönlichkeit des Schülers wird auf ein Notenbündel reduziert.

In vielen Bundesländern ist die verbindliche Grundschulempfehlung nach der vierten Klasse abgeschafft worden. Fordern Sie das auch für Bayern?

Ja, die Entscheidung, wie es nach der Grundschulzeit weitergehen soll, fällt mir zu früh. Hirn- und Lernforscher sagen seit langem: Es ist kontraproduktiv, Kinder so früh zu trennen. Aus meiner Sicht wäre es kein Problem, wenn man die Entscheidung erst mit 14 trifft. Die Schule sollte den Eltern und Schülern eine sehr gute Beratung geben, ihnen dann aber die Entscheidung überlassen. Die Eltern sind viel verantwortungsvoller als man denkt. Das zeigen die Erfahrungen aus Ländern wie Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg.

Brauchen die Schüler dann überhaupt noch Noten?

Wir brauchen jedenfalls eine neue Feedbackkultur, nicht nur Noten allein.

In manchen Schulen dürfen ja auch die Schüler die Lehrer bewerten.

Ich kann nur jedem Lehrer empfehlen, sich von den Schülern - anonym oder auch nicht anonym - ein schriftliches Feedback geben zu lassen: Was ihnen gut gefällt, was ihnen nicht gut gefällt und wo sie sich noch etwas erwarten.

Manche Schüler werden dann schreiben, sie erwarten sich noch, dass das Sitzenbleiben abgeschafft wird.

Ich halte Sitzenbleiben für die unkreativste Art der Förderung, weil sie kontraproduktiv ist. Sie kostet den Freistaat fast 200 Millionen Euro im Jahr, denn jedes Jahr müssen etwa 30.000 Schüler eine Klasse wiederholen - und ein Schüler kostet etwa 6000 Euro im Jahr. Dieses Geld sollte besser für mehr Lehrer zur individuellen Förderung von Schülern eingesetzt werden.

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