Rentner-Gang in Traunstein:Inkasso brutal

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Es war wohl die Gier, die Täter und Opfer vereinte: Fünf Senioren wollten mit einem Anlageberater viel Geld verdienen. Als dieser nicht lieferte, entführten sie den Mann. Nun klagt die Staatsanwaltschaft.

H. Effern

Fünfmal wickelten sie das silberne Klebeband ihrem früheren Anlageberater um den Kopf, zum Luftholen blieb James A. nur ein Nasenloch. Zur weiteren Einschüchterung schlug der 74 Jahre alte Roland K. mit der Handkante gegen den Hals des gefesselten Opfers. Dann steckten er und Wilhelm D., 60, den Mann in eine Kiste aus vier Umzugskartons. Mit einer Sackkarre schoben sie das 1,90 Meter hohe Paket durch die Fußgängerzone von Speyer zum Auto von Roland K. und warfen ihren Gefangenen in den Kofferraum.

Der Fall sorgte in ganz Deutschland für Aufsehen: Fünf Rentner entführten im Juni ihre Anlageberater. (Foto: Foto: dpa)

So begann nach Recherchen der Staatsanwaltschaft Traunstein eine spektakuläre Entführung, die Ende Juni in ganz Deutschland Aufsehen erregte: Fünf Senioren entführten ihren Anlageberater, weil er die versprochenen Renditen nicht bezahlte und das angelegte Geld nicht mehr herausrückte.

Das Ehepaar Roland und Sieglinde K., 79, aus Hart, ihre Freunde Iris und Gerhard F., 64 und 67 Jahre alt, aus Schliersee und der deutsch-amerikanische Geschäftsmann Wilhelm D. machten als "Rentner-Gang" Furore.

Der Sympathie in der Bevölkerung hält die Staatsanwaltschaft Traunstein nun ihre Anklage entgegen: Alle fünf beschuldigt sie der Geiselnahme und der gefährlichen Körperverletzung. "Darauf steht eine Mindeststrafe von fünf Jahren", sagt Volker Ziegler, Sprecher der Staatsanwaltschaft. Bei einer Verurteilung werden die geständigen Rentner ihren Ruhestand hinter Gittern verbringen.

Auslöser der Entführung war ein Phänomen, das Täter und Opfer offenbar vereinte: die Gier. Die Ehepaare K. und F. besitzen Anwesen in Naples (Florida). Dort lernten sie sich vor etwa zehn Jahren kennen, dort trafen sie später auch ihr Opfer. James A. war groß ins Immobiliengeschäft eingestiegen und versprach Renditen bis zu 18 Prozent. Roland und Sieglinde aus Hart gründeten dafür die Bogie Ltd. und stiegen mit 1,1 Millionen Dollar ein. Iris und Gerhard legten in ihrer Agif Ltd. 300.000 Dollar an. Doch die Immobilienblase platzte, schon bald blieben die Zahlungen aus.

Auf der Suche nach Geldeintreibern

Im Februar 2009 nahm das Quartett Kontakt zu Willi D. auf, der von James A. vergeblich 690.000 Dollar Provision für ein Geschäft mit kuwaitischen Anlegern einklagen wollte. Immer wieder versuchten sie, ihr Geld von James A., der inzwischen mit seiner vierten Frau nach Speyer gezogen war, zurückzubekommen. Der Orthopäde F. surfte gar auf Internetseiten von Geldeintreibern mit Namen wie "Inkasso brutal". Ohne Ergebnis offenbar. Sie wurden nur vertröstet.

"Das war ein klarer Akt der Verzweiflung", sagte K.s Anwalt Udo Krause. Sein Mandant habe gefürchtet, alles zu verlieren, was er sich im Leben aufgebaut hatte. Das habe zu "einem Tunnelblick" geführt, wie er sein Geld zurückbekommen könnte. K. selbst sagte in einer Vernehmung, er habe "alle legalen Mittel ausgeschöpft". Erst später habe er sich nicht mehr anders zu helfen gewusst, "als die mir zur Last gelegte Tat zu begehen".

Der frühere Bauunternehmer hatte - schon lange bevor er mit seiner jetzigen siebten Frau zusammenlebte - Schwierigkeiten mit der Polizei wegen Verkehrsvergehen, Diebstahls und Steuerproblemen. Am 17. Mai dieses Jahres nahm er sich im Flugzeug einen Mitpassagier vor, der seinen Unmut erregt hatte: Er würgte ihn und zerriss ihm das Hemd.

Die Entführung des mittlerweile verhassten Anlageberaters James A. bereitete er nach Erkenntnissen der Polizei akribisch vor: Am 8. Juni fuhr Roland K. nach Speyer und fotografierte die Wohnung von James A. und auch einen möglichen Parkplatz für die Entführung. Er schnitt die Umzugskartons so zu, dass der Gefangene durch ein Fliegengitter atmen konnte. Zweiter Mann bei der Entführung sollte Wilhelm D. sein, der am 12. Juni aus Amerika einflog. Eine SMS stellte den Kontakt her, D. kam zur Besprechung an den Chiemsee und machte sofort mit. "Das zeigt schon, wie hilflos die sich gefühlt haben. Mein Mandant hat damals die Dimension und die rechtlichen Konsequenzen nicht erfasst", sagte D.s Anwalt Harald Baumgärtl.

Die beiden Männer passten James A. am Dienstag, 16. Juni, abends vor seiner Wohnung ab und überwältigten ihn. Die Entführung klappte besser als die anschließende Fahrt. Nach 20 Minuten holten sie A. aus der Kiste. Wilhelm D. lockerte den Knebel. Als sich der Anlageberater bei der Weiterfahrt Knebel und Fessel im Kofferraum abnehmen konnte, schrie er laut um Hilfe.

Bei einem erneuten Stopp sprang er aus dem Kofferraum und ging mit einem Brecheisen auf die Entführer los. Die überwältigten ihn, und Roland K. verpasste A. solche Hiebe, dass zwei Rippen brachen.

Kochen für den Gefangenen

Auch in seinem Haus in Chieming hatte K. alles vorbereitet. Das Kellerfenster war mit Styropor isoliert und von außen vernagelt. Seine Frau kochte für den Gefangenen und wusch das blutige Hemd. Am Vormittag wurde das Ehepaar F. verständigt, dass "die Ware" eingetroffen sei. Am Nachmittag saßen die Entführer in der Garage in Hart im Halbkreis um James A. und stellen ihre Forderungen samt Zinsen: Das Ehepaar K. verlangte 2,4 Millionen Dollar, die F.s 350.000 und D. 690.000 Dollar. Rädelsführer K. soll ihn bei Zahlungsverweigerung mit dem Tod bedroht haben. In der Garage lag eine scharfe Pistole.

James A. sagte die Zahlung zu, gab aber an, dass sieben bis zehn Tage bis zum Eintreffen des Geldes vergehen könnten. Am nächsten Tag wurde A. gezwungen, verschiedene Schreiben und Faxe auszufüllen, die F. schon vorher entworfen hatte. Sein Anwalt Walter Lechner sagt: "Das ist ein Fall mit vielen Facetten. Man muss die Gerichtsverhandlung abwarten."

Als James A.s Treuhänder in der Schweiz nicht zu erreichen waren, machten die fünf nochmals Druck. Das war seine Chance: Als Anweisung notierte er auf ein Fax: "Sell Call Pol.ICE - bitte heute." Als der Treuhänder verständnislos zurückrief, bat A. ihn, das Ganze als ein Wort zu lesen. Das tat der Banker, alarmierte unter dem Pseudonym "Herr Zimmermann" die Polizei.

Da A. bereits in Speyer vermisst wurde und die Schweizer Bank die Faxkennung der Entführer hatte, ging es schnell: Am Samstagmorgen um vier Uhr früh sprengte ein Spezialkommando die Eingangstür des Anwesens, befreite das Opfer und nahm am selben Tag die Entführer fest. Sie sitzen seither in verschiedenen Gefängnissen.

Aber auch für James A. interessiert sich die Staatsanwaltschaft. In Kaiserslautern wird wegen Untreue gegen ihn ermittelt. "Es hat sich eine Vielzahl von vermeintlich Geschädigten gemeldet. Wir sind noch dabei, den Sachverhalt zu klären", sagte Staatsanwältin Beate Borens. Die Verhandlung gegen die Entführer soll am Landgericht Traunstein im Februar 2010 beginnen.

© SZ vom 08.12.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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