Polizeigewalt in Bayern:Interne Ermittler bekommen Chefin

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Hartnäckig und robust: Petra Sandles ist Vizechefin des Bayerischen Landeskriminalamtes. Nun ist sie außerdem für die internen Ermittler zuständig - und damit für die Prügelvorwürfe gegen Polizisten in München.

Von Susi Wimmer

Wäre sie keine Polizistin, könnte man mit ihr Pferde stehlen. Oder neben ihr durch die kleine Puszta reiten, Pferde striegeln und die Kätzchen auf dem Hof hinter den Ohren kraulen. So wie sie es immer macht im Urlaub in ihrer zweiten Heimat Ungarn. Petra Sandles lacht gerne, sie redet frei heraus, ohne Schnörkel und Verzierungen, sie ist herzlich und offen. Und doch. Man möchte ihr nicht gegenübersitzen als einer, der etwas ausgefressen hat.

Wenn ihre braunen, schmalen Augen den Täter fixieren, der analytische Verstand den Gegner schachmatt setzt und Sandles die Charaktereigenschaften einsetzt, die sie dorthin gebracht haben, wo sie jetzt sitzt. Durchsetzungsvermögen, Hartnäckigkeit, Robustheit und Entscheidungsfähigkeit - deshalb ist die 53-Jährige seit 2004 Vizechefin des Bayerischen Landeskriminalamtes, deshalb hören 1600 Mitarbeiter auf ihr Kommando, seit neuestem auch die internen Ermittler der Polizei.

An einem Nachmittag im März steht eine Besprechung an, sie wird die neue Dienststelle betreffen: Polizeibeamte sollen sofort die internen Ermittler einschalten wenn eine Person bei einem Polizeieinsatz durch Beamte "nicht unerheblich" verletzt wurde. "Was heißt 'nicht unerheblich verletzt'?", fragt Sandles. Wie sollen alle Polizeipräsidien in Bayern diese Vorfälle melden, ab welcher Größenordnung, was sollen sie selbst bearbeiten?

Eine einfache Anordnung, die das Innenministerium getroffen hat, "unsere Aufgabe ist es, das mit Leben zu erfüllen", sagt Sandles. Das Dezernat 13, es befindet sich noch im Aufbau, wie die Chefin sagt. Die internen Ermittler kommen zum Einsatz, wenn ein Polizeibeamter in Verdacht steht, eine Straftat begangen zu haben. Wie beispielsweise jüngst bei dem Vorfall in der Au, als ein Polizist einer gefesselten Frau mit ein oder zwei Faustschlägen die Nase brach und die Augenhöhle verletzte.

Der Beamte beruft sich auf Notwehr. Die internen Ermittler untersuchen den Fall. Bislang waren sie beim Polizeipräsidium München angesiedelt, jetzt aber zog Innenminister Herrmann die Internen unter das Dach des LKA, um dem Eindruck, es werde nicht objektiv ermittelt, entgegenzutreten.

"Schuld ist irgendwie auch die Sendung Aktenzeichen XY"

Unter Federführung des Landeskriminalamtes soll offenbar umorganisiert werden. Aber bis dato gebe es noch keine Organisationsverfügung, keinen festgelegten Aufgabenbereich, keinen Personalstand, keine Zahlen, was tatsächlich an Delikten auf die Ermittler zukommen wird, sagt Sandles. Dass die Dienststelle beim Präsidium München abgezogen wurde, sei ziemlich überraschend gekommen, sagt Petra Sandles. "Wenn man was zentralisieren will, ist es vernünftig, es in die Hände des LKA zu legen. Aber es war nicht zwingend notwendig."

Sich immer wieder auf Neues einstellen, Probleme und spannende Fälle lösen, das ist die Welt der Petra Sandles. Deshalb ist ihr auch nach acht Jahren als LKA-Vize-Chefin kein bisschen fad, deshalb wollte sie zur Polizei. "Schuld ist irgendwie auch die Sendung Aktenzeichen XY", erzählt sie. Die fand sie schon als Kind so gruselig und spannend, "ich wollte unbedingt zur Kripo, um solche Fälle zu lösen".

1981, nach ihrem Abitur, stieg sie beim Polizeipräsidium München ein. Mittlerer Dienst. Kripo. "Es ging auch damals gar nicht anders, weil Frauen nicht zur Schutzpolizei durften." Frauen, sagt sie, seien völlig anders behandelt worden als die Männer, die Ausbildung, die Lehrgänge, "alles war sehr spezifisch auf unsere Belange abgestimmt". Dann der gehobene Dienst, die Frauen immer in der Unterzahl, "aber damit hatte ich grundsätzlich nie ein Problem", erklärt Sandles. Im Gegenteil: "Ich tu' mich oft leichter in der Zusammenarbeit mit Männern."

"Was mir fehlt ist das Verwurzeltsein"

Die Flexibilität der Petra Sandles, sie könnte daran liegen, dass die gebürtige Hessin Tochter eines Heimatvertriebenen ist. Der Vater arbeitete als Diplom-Kaufmann, wechselte oft den Arbeitsplatz und die Städte, und die ganze Familie zog ihm hinterher: Bad Homburg in Hessen, Neuenkirchen in Nordrhein-Westfalen, dann ins oberbayerische Ebersberg, gefolgt von Aalen in Baden-Württemberg, Geretsried und München.

So lernte sie, sich schnell an Neues zu gewöhnen, den Schmerz zu verdauen, wenn eine beste Freundin gefunden und wieder verloren war. "Was mir fehlt, ist das Verwurzeltsein an einem Ort, wo man alte Freunde hat", sagt sie. Ihr Zuhause, das ist München, "das war es schon, als ich noch nicht hier gewohnt habe". Früher, wenn die Familie von Aalen aus in den Urlaub fuhr, musste die Mutter sie nachts wecken, wenn sie München passierten. Schon damals habe die Stadt eine unerklärliche Faszination auf sie ausgeübt.

Und hier in München sollten auch ihre Träume in Erfüllung gehen: 1987 wurde Petra Sandles stellvertretende Leiterin der Münchner Mordkommission. Sie war am Tatort in Ebenhausen, wo ein 19-Jähriger Nachbarsbub seine Nenn-Oma bestialisch ermordet hatte. Mit einem Messer hatte er der alten Frau den Bauch aufgeschlitzt, sie vergewaltigt und dann getötet. Sandles versuchte, in etwa nachzuempfinden, was dem Opfer in seinen letzten Lebensminuten widerfahren war. "Aber man muss die Tat emotional auf Abstand halten." Und auch den Täter: Wenn der einem dann bei der Vernehmung gegenübersitzt, heißt es: Klaren Kopf behalten, nicht aggressiv werden, sich selbst im Griff haben.

Anfangs, wenn sie an Tatorten mit ihren Kollegen auftauchte, sprachen Zeugen oder Beteiligte automatisch mit ihren männlichen Ermittlern - und ließen Sandles als Chefin außen vor. "Irgendwann aber haben sie zuerst mich angesprochen, ich weiß bis heute nicht warum." Offenbar hatte sie unbewusst damit begonnen, Autorität und Sicherheit auszustrahlen.

Schon als Kind hat Petra Sandles viel Sport betrieben, Fußball mit den Buben gespielt, was ihr in dem von Männern dominierten Polizeiapparat zugutekam. Probleme mit ihrer Rolle als Frau hatte sie nie: "Natürlich steht man als Frau auf dem Weg nach oben mehr unter Beobachtung. Andererseits gab es deutlich weniger Frauen in gehobenen Positionen, sodass es leichter war, sich zu profilieren." Sandles hält nichts von einer Frauenquote, "Warum sollte man Frauen in etwas reinzwängen?" Natürlich musste sie lernen, sich in einer Männerrunde zurechtzufinden, bei Konferenzen ihre Stimme durchzusetzen. Männer, die sie im Job nicht akzeptieren, entlocken ihr bis heute nur eines: ein Grinsen.

Mit einem Fingerwink zur Beförderung

Von der Mordkommission ging es ins Innenministerium, Abteilung Verbrechensbekämpfung, und irgendwann, im Jahr 2004, saß sie in einer Besprechung, als Günther Beckstein, damals stellvertretender Ministerpräsident, sie mit einem Fingerwink aus der Runde holte. "Sie haben gute Chancen für den Posten als LKA-Vizepräsidentin", sagte er. "Und ich war völlig geplättet und hab' mich gefreut", sagt sie.

Im November 2004 marschierte Sandles zum ersten Mal die Maillingerstraße am Gebäudekomplex des LKA entlang. "Da wurde es mir erst richtig bewusst. Und ich hab erschrocken gedacht: Was mach' ich hier? Kann ich das überhaupt?" Fragen, die sich wohl eher Frauen als Männer stellen, meint Sandles. Sie musste "sehr, sehr viel lernen", und bis heute kennt sie ihre hochspezialisierte Behörde nicht bis ins kleinste Detail. Längst ermittelt Sandles nicht mehr. Sie bespricht, entscheidet, delegiert und kümmert sich um Personalfragen. "Man diskutiert mal bei einem Fall fachlich mit, aber leitet keine Soko mehr."

Kripo-Beamtin mit Leib und Seele

Das Landeskriminalamt führte komplizierte Ermittlungsverfahren etwa gegen die Landesbank oder Siemens, aktuell unterstützen die bayerischen Ermittler das Bundeskriminalamt bei der Abarbeitung des NSU-Komplexes. Noch laufen die Ermittlungen gegen Beate Zschäpe, die im April in München vor Gericht stehen wird. Das bayerische LKA wird seiner Zentralstellenfunktion gerecht und koordiniert die bayerische Nachbearbeitung. Noch immer wird ermittelt, ob die NSU-Terroristen auch Ankerpunkte in Bayern hatten, ob es Anhänger gibt, die man bis heute noch nicht kennt, "und ob noch irgendetwas anderes übersehen wurde".

Fragt man Sandles nach ihren Zukunftsvisionen, antwortet sie zunächst verhalten: "Herausragende Ermittlungsverfahren erfolgreich führen, die Zentralstellenfunktion ausfüllen, neue Techniken anbieten - und der Kampf gegen die Cyber-Kriminalität." Aber dann sagt Sandles, dass sie unbedingt in München und beim LKA bleiben will, dass sie mit Leib und Seele Kripo-Beamtin sei, und dass alles, was kommt, Glückssache sei, "sollte es noch mehr nach oben gehen". Noch mehr nach oben, das heißt, dass sie irgendwann die Nachfolge von LKA-Präsident Peter Dathe antreten könnte.

© SZ vom 03.04.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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