NS-Kriegsverbrecher Faber aus Ingolstadt:Der Letzte auf der Liste

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Seit 1952 kämpfen die Niederlande, Klaas Carel Faber hinter Gittern zu bekommen - bislang vergeblich. Nun könnte der NS-Kriegsverbrecher, der in Ingolstadt lebt, doch noch eine Haftstrafe antreten müssen. Es ist allerdings ungewiss, ob der 89-Jährige das Ende des Verfahrens überlebt.

Hans Holzhaider

Der Journalist Arnold Karskens, 57, hat sich in den Niederlanden einen Namen als Kriegsberichterstatter gemacht. Er war in El Salvador und auf den Philippinen, in Nordirland und Angola, in Irak und in Afghanistan. Aber es gibt ein Thema, das ihn während all dieser Jahre immer begleitet hat: die Verfolgung niederländischer Kriegsverbrecher.

Klaas Carel Faber wohnt seit 1961 in Ingolstadt. (Foto: dpa)

Landsleute, die in den Jahren 1940 bis 1945 mit den deutschen Besatzern kollaborierten und verantwortlich oder mitverantwortlich sind für die Deportierung niederländischer Juden in die Konzentrationslager, für die Rekrutierung von Niederländern zur Zwangsarbeit in Deutschland und für die Erschießung wirklicher oder angeblicher Mitglieder des niederländischen Widerstands.

Heute steht nur noch ein Name auf Karskens Liste: Klaas Carel Faber, 89 Jahre alt, wohnhaft in Ingolstadt.

Unermüdlich hat Karskens Archive durchforscht und mit Zeitzeugen gesprochen, hat mit Justizbehörden korrespondiert, und hin und wieder ist er auch nach Ingolstadt gefahren, hat in der Straße, wo Faber seit 1961 lebt, auf den alten Mann gewartet und versucht, mit ihm zu sprechen - immer vergeblich.

Aber jetzt, im Januar 2012, zeichnet sich doch die Möglichkeit ab, dass Faber noch einmal ins Gefängnis muss. Die Staatsanwaltschaft Ingolstadt hat beim dortigen Landgericht den Antrag gestellt, die Vollstreckung einer 1949 in den Niederlanden verhängten lebenslangen Freiheitsstrafe für zulässig zu erklären.

Der Abschnitt in Fabers Lebens, um den es dem Journalisten Karskens geht, liegt sehr weit zurück - 67 Jahre. Faber, damals 22 Jahre alt, war, wie auch sein älterer Bruder Piet, Mitglied im NSB, der niederländischen Nazipartei. Im Mai 1944 wurde sein Vater, der schon seit 1933 zu den niederländischen Nazis gehörte, von Widerstandskämpfern erschossen.

Kurz danach wurden die Brüder Piet und Klaas Carel zum deutschen SD (Sicherheitsdienst) in Groningen kommandiert, einer berüchtigten Einheit, in deren Hauptquartier, dem Scholtenhuis, viele Gefangene gefoltert wurden.

Die Brüder waren an mehreren Exekutionen beteiligt. Am 19. September 1944 wurden in einem Wald nahe der deutschen Grenze bei Odoorn fünf Männer durch Kopfschüsse hingerichtet, am 28. Oktober 1944 sechs Gefangene im Konzentrationslager Westerbork, im April 45 elf Männer in der Nähe der Ortschaft Norg.

Nur im Fall Westerbork hat Klaas Carel Faber zugegeben, selbst geschossen zu haben. Beim Prozess gegen die Brüder Faber im Juni 1949 vor einem Sondergerichtshof in Groningen nahm Piet in den meisten Fällen die Schuld auf sich und entlastete seinen Bruder. Piet Faber wurde hingerichtet, das Todesurteil gegen Klaas Carel später in lebenslange Haft umgewandelt.

Am ersten Weihnachtsfeiertag 1952 gelang Klaas Carel Faber die Flucht aus einem Gefängnis in Breda. Er schlug sich nach Deutschland durch. Seitdem kämpfen die Niederlande um die Auslieferung Fabers - bisher vergeblich. Denn Faber profitierte von einem Erlass Adolf Hitlers, der bestimmte, dass "deutschstämmige Ausländer", die in die deutsche Wehrmacht, die Waffen-SS oder die deutsche Polizei aufgenommen wurden, die deutsche Staatsangehörigkeit erhielten.

An diesen Erlass fühlte sich die deutsche Justiz auch nach dem Krieg gebunden. So wurde aus Klaas Carel Faber ein deutscher Staatsbürger, der nach dem Grundgesetz nicht ausgeliefert werden durfte. Ein deutsches Ermittlungsverfahren gegen Faber wurde 1957 vom Landgericht Düsseldorf eingestellt - es fehle an Beweisen, hieß es zur Begründung, dass die Erschießungen, an denen Faber teilgenommen hatte, rechtswidrig gewesen seien.

Der Fall Faber löste in den Niederlanden erhebliche Verbitterung aus. Erst nach dem Schengener Abkommen kam wieder Bewegung in die Sache. 2003 - Faber war jetzt 80 - beantragten die Niederlande, die gegen Faber verhängte Haftstrafe in Deutschland zu vollstrecken.

Aber die Staatsanwaltschaft Ingolstadt beantragte, unter Verweis auf die Düsseldorfer Entscheidung von 1957, die Vollstreckung nicht zuzulassen, das Landgericht Ingolstadt folgte diesem Antrag. Im November 2010 unternahmen die Niederlande einen neuen Vorstoß und erließen einen europäischen Haftbefehl, dessen Vollstreckung wieder an Fabers deutscher Staatsangehörigkeit scheiterte.

Aber die Niederländer ließen nicht locker. Erneut beantragten sie, Fabers Haftstrafe in Deutschland zu vollstrecken, und diesmal traf die Staatsanwaltschaft Ingolstadt eine andere Entscheidung.

Durch die Ablehnung des Europäischen Haftbefehls sei möglicherweise eine neue Rechtslage entstanden, sagte der Leitende Oberstaatsanwalt Helmut Walter - ein komplizierter juristischer Sachverhalt. Deshalb habe man jetzt beantragt, die Strafvollstreckung in Deutschland zuzulassen.

Die Entscheidung liegt jetzt beim Ingolstädter Landgericht. Das muss den Antrag jetzt zunächst Faber selbst zuleiten, gegebenenfalls einen Verteidiger bestellen und dann die Rechtslage prüfen. Ein langwieriges Verfahren. In der kommenden Woche wird Klaas Carel Faber 90 Jahre alt. Ob der Traum des Journalisten Karskens, den letzten Kriegsverbrecher auf seiner Liste hinter Gittern zu sehen, in Erfüllung geht, bleibt ungewiss.

© SZ vom 17.01.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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