Memmingen:Peta protestiert gegen "barbarische Tradition" des Fischertags

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  • Beim traditionellen Fischertag in Memmingen fangen Männer Forellen im Stadtbach.
  • Die Tradition reicht zurück bis ins Jahr 1572.
  • Die Tierschutzorganisation Peta fordert seit Jahren ein Verbot des Fischertages: Die Fische leiden, die Frauen sind benachteiligt.

Von Stefan Mayr, Memmingen

Normalerweise ist Fischen eine stille, meditative Sache. Beim traditionellen "Fischertag" in Memmingen ist das ganz anders: Los geht es morgens um acht Uhr mit einem Böllerschuss. Etwa 1200 Männer springen grölend in den Stadtbach und versuchen eine Forelle zu fangen. Dabei benützen sie Holzgeräte, die "Bären" genannt werden und aussehen wie eine Mischung aus Mistgabel und Kescher.

Wenn ein Fisch ins Netz geht, bejubelt das so mancher Mann wie Fußballstar Ronaldo auf Speed und präsentiert seine Beute den Zuschauern, die zu Tausenden den knietiefen Kanal durch das Stadtzentrum säumen. Auch an diesem Samstag werden wieder 20 000 Besucher in Memmingen erwartet. Doch das ausgelassene Treiben hat nicht nur Freunde.

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Die Tierschutzorganisation Peta vergleicht die "barbarische Tradition" mit dem Stierkampf und fordert seit Jahren ein Verbot des Fischertages. Auch vom bayerischen Landwirtschaftsministerium. Bislang ohne Erfolg. Neuerdings versuchen es die Tierschützer mit dem Umweg über das Sozialministerium: "Wir haben die bayerische Frauenbeauftragte Emilia Müller aufgefordert, sich für ein Ende der Tierqualveranstaltung stark zu machen", schreibt Peta im Internet. Den Aktivisten zufolge verstoße der Fischertag nicht nur gegen das Tierschutzgesetz, sondern auch gegen das Gleichstellungsgesetz. Grund: weil nur Männer teilnehmen dürfen. Genauer gesagt: nur Männer, die seit fünf Jahren in Memmingen wohnen.

Peta findet das nicht gut. "Die veralteten Ansichten einer unterschiedlichen Gleichwertigkeit von Mann und Frau werden durch den Memminger Fischertagsverein heute immer noch gefördert und aufrechterhalten", schreibt der Verein. "Und die Politik sieht dabei zu." Das Sozialministerium will das erst gar nicht kommentieren. Und der Vorsitzende des Fischertagsvereins, Michael Ruppert, sieht die neue Offensive von Peta gelassen. "Ich habe das der Zeitung entnommen", sagt er, "seitdem gab es in Memmingen keine Resonanz." Wer einen Fischertag am Stadtbach miterlebt habe, der wisse, "dass das nicht unbedingt ein weibliches Unterfangen ist".

Memmingens Oberbürgermeister Ivo Holzinger (SPD) zeigt sich über den Schachzug von Peta "verärgert". "Das zeigt nur die Unglaubwürdigkeit dieser Organisation", sagt er. "Wenn Frauen mitmachen, sind ja noch viel mehr Fischer und Fischerinnen im Bach." Auch den Vorwurf der Tierquälerei weist Holzinger zurück: "Das ist alles waidgerecht und den Gesetzen entsprechend", betont der OB, "Stadt und Behörden stehen da voll dahinter." Bei jedem Fischertag seien Amtsveterinäre anwesend, um das Geschehen zu überwachen.

Die Ehre, einmal Fischerkönig zu sein

Der Fischertag geht auf einen Brauch zurück, der bis ins Jahr 1572 zurückverfolgt werden kann. "Damals wurde in den Bach noch alles eingelassen", erzählt Michael Ruppert vom weniger hygienischen Mittelalter. "Deshalb wurde er einmal im Jahr abgelassen." Vorher wurden allerdings die Fische herausgefischt, um sie zu verzehren. Im Laufe der Zeit entwickelte sich dieses Abfischen zu einem Fest für die Bürger, da die Tiere für sie eine seltene Delikatesse waren. Im 19. Jahrhundert wurde diese Tradition wiederbelebt. Anno 1900 wurde der Fischertagsverein gegründet, seit jenem Jahr wird stets ein Sieger gekürt.

Wer die schwerste Forelle fängt, darf sich ein Jahr lang "Fischerkönig" nennen. Für einen gebürtigen Memminger gibt es dem Vernehmen nach nichts Großartigeres. In jedem Falle wird dem Fischerkönig ein breitkrempiger Strohhut und ein launiger Beiname verliehen. Der aktuelle Preisträger ist "Michael I., der Abiturient". Unter seinen Vorgängern gibt es Gesellen wie "Johann II., der Rohrkrepierer" oder "Bernd I., der Zahlenverdreher". Die schwerste Forelle seit Beginn der Aufzeichnungen hat "Werner I., der Schwiegersohn" 1975 aus dem Bach gezogen. Seine Beute wog 4750 Gramm.

Der "Fischertag" zieht sich heutzutage über zwei Tage. Am Freitagabend ist "Ausrufen des Fischertages" durch die Stadtgarde mit Umzug und Musik. Am Samstag in aller Frühe treffen sich die Fischer, ziehen gemeinsam durch die Stadt und um 8 Uhr "jucken" sie in den Stadtbach, wie man in Memmingen zu "springen" sagt. Zu der großen Sause gehört ein "Krönungsfrühschoppen" im Stadion, ein "historisches Lagerleben" und der "Zug des Fischerkönigs mit Gefolge" zur Stadthalle, wo die Abschlussparty steigt.

"Brutales und peinliches Wettbewerbsfischen"

Peta kann mit all dem Spektakel nichts anfangen. Der Verein spricht von einem "brutalen und peinlichen Wettbewerbsfischen", das eigentlich gesetzlich verboten sei. Deshalb haben Aktivisten in den vergangenen Jahren mit diversen Protestaktionen Aufsehen erregt. 2013 sprangen sie ebenfalls in den Stadtbach, um die Fischer zu stören.

Heuer wollten sie in der Stadt Plakate mit einem Straßenschild-ähnlichen Aufdruck "Tierquälerstadt Memmingen" aufhängen. Doch laut Peta wurden die Plakate von den Werbeflächenanbietern abgelehnt. Fischertags-Chef Michael Ruppert will all das nicht kommentieren: "Zu Peta äußern wir uns nicht groß", sagt der 49-jährige Bank-Betriebswirt.

Der Fischertag geht heuer direkt in die historischen Walleinstein-Festspiele über. Diese erinnern an den Aufenthalt des katholischen Oberbefehlshabers Wallenstein in der damaligen protestantischen Freien Reichsstadt während des Dreißigjährigen Krieges. Die Festwoche beginnt mit dem Einzug Wallensteins in die Stadt, es gibt Reiterspiele, Konzerte, Theateraufführungen und einen historischen Markt. Insgesamt wirken 4500 Menschen mit. Die Festspiele finden alle vier Jahre statt und werden ebenfalls vom Fischertagsverein organisiert. Wegen Wallenstein gab es mit Peta bislang noch kein Problem.

© SZ vom 21.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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