Landgericht Traunstein:Zugunglück von Bad Aibling: Technik war nicht auf dem neuesten Stand

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Die Ermittlungen zum Zugunglück in Bad Aibling füllen ganze Ordner. (Foto: dpa)
  • Die Unglücksstrecke der Deutschen Bahn bei Bad Aibling war nach Expertenmeinung technisch nicht vorschriftsmäßig ausgestattet.
  • Die 1971 elektrifizierte Bahnlinie in Oberbayern hätte signaltechnisch längst nachgerüstet werden müssen, sagte ein Mitarbeiter der Eisenbahnuntersuchungsstelle des Bundes im Prozess um das Zugunglück vom vergangenen Februar aus.
  • Dennoch hat nach Expertenmeinung der angeklagte Fahrdienstleiter die entscheidenden Fehler gemacht.

Aus dem Gericht von Matthias Köpf, Traunstein

Im Prozess gegen den Fahrdienstleiter von Bad Aibling kommt vor dem Landgericht Traunstein eine mögliche technische Mitverantwortung der Deutschen Bahn für das tödliche Zugunglück vom 9. Februar ins Spiel. Am dritten Verhandlungstag an diesem Montag erläuterte ein Beamter der Eisenbahnuntersuchungsstelle des Bundes (EUB) mehrere Unzulänglichkeiten der Bahntechnik im Bad Aiblinger Stellwerk. Zugleich ging es um die Fehler des Fahrdienstleiters, die zu dem Unfall geführt haben.

"Nach jedem Schritt hätte man eigentlich merken müssen: es passt was nicht", sagte er über die Versäumnisse des Angeklagten. Dem wirft die Staatsanwaltschaft fahrlässige Tötung vor, weil er im Dienst auf seinem Handy ein Online-Spiel gespielt und dadurch abgelenkt gewesen sein soll. Bei dem Unglück waren auf der eingleisigen Strecke zwischen Bad Aibling und Kolbermoor zwei Regionalzüge frontal ineinander gefahren. Dabei starben zwölf Menschen, 89 wurden verletzt.

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Kollegen können sich die Fehler vor dem Unglück von Bad Aibling nicht erklären. Der Angeklagte selbst spricht sich für ein System aus, mit dem Notrufe leichter abgesetzt werden können.

Von Matthias Köpf

Der Angeklagte hat sich zu Prozessbeginn bei den Hinterbliebenen der Opfer und bei den Verletzten entschuldigt und über seine Anwälte seine Fehler im Stellwerk und auch das Handy-Spielen einräumen lassen. Die Verteidiger und die Nebenkläger wollen aber auch eine mögliche Mitverantwortung der Deutschen Bahn bewertet sehen - die einen, um ein geringeres Strafmaß für ihren Mandanten zu erreichen, die anderen, um von der Bahn mehr Schadenersatz und Schmerzensgeld erstreiten zu können als von dem Fahrdienstleiter zu erwarten sind.

Eine Rolle spielt dabei, ob die Anlagen in einwandfreiem technischen Zustand waren und ob das Stellwerk mit seiner Ausrüstung aus dem Jahr 1977 überhaupt mit zeitgemäßer Technik ausgestattet ist. Das Stellwerk habe bei dem Unglück grundsätzlich "so reagiert, wie es funktionieren soll. Es hat einfach nicht reagiert", sagte der Zeuge von der EUB. Denn die vorhandene Automatik hätte die Kollision der beiden Züge verhindert, wurde aber vom Fahrdienstleiter überstimmt. "Das Problem ist: Das Stellwerk sagt dem Fahrdienstleiter nicht, warum es seinem Befehl nicht folgt, sondern es macht's halt einfach nicht", sagte der Zeuge nun vor Gericht.

In dieser Situation hat der Fahrdienstleiter laut den Ermittlungen per Zusatzsignal den zweiten Zug auf die Strecke geschickt, obwohl er zuvor schon dem Gegenzug ein grünes Signal gegeben hatte. Daran erinnerte er sich aber offenbar nicht mehr, sondern ging angesichts der Weigerung der Automatik von einer technischen Störung aus, wie sie in solchen Stellwerken nicht ungewöhnlich ist. So hat er es nach dem Unglück den Ermittlern berichtet. Technische Vorkehrungen, die das Setzen des Zusatzsignals verhindern würden, gibt es aber praktisch nicht.

Die Regularien zur Bedienung des Stellwerks waren dem amtlichen Unfall-Untersucher zufolge nicht in jedem Punkt auf dem neuesten Stand. Es gebe da "unpräzise Vorgaben" und "mangelnde Eindeutigkeit" und "Interpretationsspielraum". Die Formulierungen im Regelwerk für Bad Aibling und Kolbermoor beruhten auf der Fiktion zweier getrennter Fahrdienstleiter, obwohl es nur einen gibt und dieser die vorgeschriebenen Abstimmungen und Absprachen mit sich selbst ausmachen muss.

Außerdem beurteilt die EUB die zwischen Bad Aibling und Kolbermoor vorhandene Technik anders als die Deutsche Bahn. Zum Teil gebe es widersprüchliche technische Angaben zu der Anlage, von denen aber dann eigentlich auch jeweils andere Vorschiften für die Bedienung abgeleitet werden müssten, sagte der Zeuge von der Eisenbahnuntersuchungsstelle.

In der Interpretation der EUB wären die Regelwerke für den Abschnitt dann mindestens unvollständig gewesen. Doch laut dem Zeugen hätte auch und gerade nach der Interpretation der Bahn ab dem Jahr 1984 eine technische Komponente nachgerüstet werden müssen. Dieser "Erlaubnisempfangsmelder" hätte den Fahrdienstleiter ein weiteres Mal auf die beiden gegenläufigen Züge hingewiesen und so als weitere technische Hürde womöglich geholfen, den Zusammenstoß zu verhindern.

Nachzurüsten war die Komponente allerdings nur "im Rahmen der den Bundesbahndirektionen zur Verfügung stehenden Mittel" - eine Formulierung in der Vorschrift von 1984, die der Zeuge einen "Weichmacher" nennt. Tatsächlich nachgerüstet haben sie aber weder die damalige Deutsche Bundesbahn ("Warum die das nicht gemacht haben, das werden sie wohl nie mehr rausbringen") noch später die privatisierte DB Netz AG, an welche die Verantwortung für Gleise und Signaltechnik im Jahr 1994 übergegangen ist.

Gleichwohl hätte der Fahrdienstleiter nach Ansicht des Zeugen auch ohne den Erlaubnisempfangsmelder die Lage erkennen müssen und können, ehe er das Zusatzsignal gestellt hat. "Er hat die Information eigentlich auf seinem Stelltisch." An diesem Tisch im Bad Aiblinger Stellwerk gebe es aber auch eine zum Teil unsinnige und zum Teil unvollständige Anzeige durch Glühlampen - "also hier ist ein Schaltfehler drin, eindeutig", betont der Zeuge. Dazu hatte sich beim angeklagten Fahrdienstleiter und seinen Kollegen aber offenbar eine Bedienpraxis etabliert, die den Schaltfehler der Anzeige im Alltag ignoriert hat.

Die Eisenbahnuntersuchungsstelle des Bundes sieht sich aber ausdrücklich nicht zuständig für strafrechtliche und Haftungsfragen, sondern dafür, alle Aspekte von Zugunglücken aufzuarbeiten, um ähnliche Unfälle in Zukunft zu verhindern. Ihr Bericht wird nach Abschluss der Untersuchung veröffentlicht, was nach Angaben des Zeugen jedoch nicht mehr für dieses Jahr zu erwarten ist.

Das Gericht will sein Urteil am 5. Dezember fällen und hat zu den technischen Aspekten des Zugunglücks einen eigenen Sachverständigen bestellt.

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