Kriminalität im Internet:Wie die Cybercops Betrügern auf die Spur kommen

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Die Polizisten Robert Ott (links) und Marcel Keßelheim ermitteln vor allem im Internet. Trotz dieses virtuellen Tatorts sind die Delikte sehr real. (Foto: Michael Artur König)
  • Die bayerische Polizei hat ihren Kampf gegen die Internetkriminalität auf zwei Säulen aufgebaut.
  • Beamten wird das nötige IT-Wissen vermittelt, zum anderen hat der Freistaat seit 2011 insgesamt 46 Informatiker zu Cybercops ausgebildet.
  • Die Polizisten müssen unzähligen Datenspuren nachgehen, um die Täter in der realen Welt zu überführen.

Von Susi Wimmer, München/Ingolstadt

Für die Bäuerin aus Schrobenhausen war das sicher das Allerletzte: Zuerst hatte ein Feuer ihren Hof in Schutt und Asche gelegt. Und dann, als Freunde ein Spendenkonto und eine Internetseite für die Hilfe beim Wiederaufbau eingerichtet hatten, zweigte ein Betrüger 200 Euro von diesem Spendenkonto ab, getarnt als Ebay-Einkauf, den die Frau aber nie getätigt hatte.

Obwohl die 50-Jährige glaubte, dass sie das Geld wohl nie wiedersehen würde, ging sie zur Polizei und erstattete dort Anzeige gegen unbekannt. Am Ende der Ermittlungen stand die Verhaftung eines Betrügers in Berlin-Charlottenburg.

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Die Abteilung für Wirtschaftskriminalität, Korruption und Umweltvergehen hat es meist mit komplizierten Delikten zu tun - deshalb ermitteln dort auch ausgebildete Banker und Betriebswirte.

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Der Mann hatte über einen Zeitraum von mindestens sechs Jahren hinweg mit mehr als 2500 einzelnen Internetbetrügereien etwa eine Million Euro ergaunert. Nach einem Jahr intensiver Ermittlungen hatten ihn die "Cybercops" der Kripo in Ingolstadt überführt.

Die bayerische Polizei hat ihren Kampf gegen die Internetkriminalität auf zwei Säulen aufgebaut. Zum einen wird den Beamten das nötige IT-Wissen vermittelt, zum anderen hat der Freistaat seit 2011 insgesamt 46 Informatiker zu Cybercops ausgebildet. Einer von diesen Informatikern ist Marcel Keßelheim, Kriminaloberkommissar und gerade mal 30 Jahre alt. Mit seinem Kollegen Robert Ott, Kriminalhauptkommissar und gelernter Polizist, hetzte er dem Ebay-Betrüger nach, und zwar bis zuletzt nur in der virtuellen Welt.

Bis sie dem Betrüger schließlich in seiner Berliner Drei-Zimmer-Wohnung gegenüberstanden und er merkte, dass Lügen jetzt keinen Zweck mehr hat, hatten die beiden Ingolstädter Internet-Cops keine Ahnung, wer der Mann eigentlich ist, wie er heißt und woher er kommt. Der 50-Jährige hatte jahrelang unter einer komplett gefälschten Identität gelebt. Nicht einmal seine Freundin wusste, wer er wirklich war.

Abgetaucht in die Anonymität der Großstadt

Er, das ist ein gebürtiger Ukrainer, der nach eigenen Angaben als "Kulturmitarbeiter für ukrainische Militärangehörige" gearbeitet hatte, ehe er 1997 nach Deutschland kam. Der Mann studierte vier Semester Jura in Frankfurt, brach ab und eröffnete in Mainz eine Firma, die Waren über Ebay verkaufte - damals noch ganz legal. Doch die Firma schrieb rote Zahlen, dem Mann stand das Wasser bis zum Hals, und so fing er an, Waren auf fremde Kosten zu bestellen und sie auf eigene Rechnung weiterzuverkaufen. Lange ging das nicht gut. 2004 wurde er geschnappt und zu fünf Jahren Haft verurteilt. Doch die Strafe trat er nie an, sondern tauchte ab in die Anonymität der Großstadt Berlin.

Offenbar hatte der Mann aus seinen Fehlern gelernt und zog nun ein akribisch geführtes Ganovengeschäft auf: mit 160 EC- und Kreditkarten, die er sich mit falschen Pässen bei diversen Banken beschafft hatte, mit mehreren Hundert Sim-Karten für die Eröffnung von mehr als 70 Internetaccounts, mit Paypal-Konten und mit einem peniblen Warenbuchhaltungssystem.

Pünktlich um acht Uhr früh machte er sich an die Arbeit und war teilweise bis zwei Uhr nachts online. Montag bis Freitag, oft zwölf Stunden täglich, gelegentlich auch am Wochenende. "Was Fleiß, Organisation und Buchführung anbelangt, könnte sich mancher Existenzgründer eine Scheibe davon abschneiden", sagt Robert Ott augenzwinkernd. Nur eben, dass der Mann den falschen Wirtschaftszweig gewählt hatte.

Er fing an mit ganz kleinen Geschäften. Im Internet sind beispielsweise bei Firmen oft Namen und Kontonummern angegeben. Die benutzte er, um Artikel für ein oder zwei Euro einzukaufen und dann bei Ebay weiterzuverkaufen. "Die Kleinbeträge fallen den Geschädigten kaum auf, und die meisten Menschen erstatten keine Anzeige", sagen die Ermittler. Als Verkäufer bei Ebay machte sich der Mann einen guten Namen, sammelte positive Bewertungen, um Seriosität für größere Geschäfte aufzubauen.

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Die Kontodaten und den Namen der Bäuerin aus Schrobenhausen hatte er von ihrer Spenden-Homepage abgelesen und dann mit ihrer Identität Bücher, Elektrozahnbürsten und diversen Kleinkram für insgesamt 200 Euro bestellt. Ausgeliefert wurden die Waren an sieben Privatleute in ganz Deutschland, die sie über Ebay bei dem Betrüger gekauft hatten.

Die Ingolstädter Cybercops hatten es nicht einfach mit dem 50-Jährigen. Es tat sich ein "Riesenbaum" auf mit E-Mail-Adressen, Handynummern und Identitäten. Welche Personen sind echt? Wo benutzte jemand ein Pseudonym? Die Polizisten überprüften real existierende Personen, verzichteten aber auf Befragungen, um den Täter nicht aufzuscheuchen. Sie versuchten den Warenfluss und die Geldbewegungen nachzuverfolgen. Am Ende zeigte sich, dass der Täter doch Spuren hinterlassen hatte: Er ging über das Mobilfunknetz ins Internet.

Über eine seiner vielen Sim-Karten konnten ihn die Fahnder orten. Mit einer Zugriffseinheit, insgesamt 20 Mann, rammten die Ermittler die Wohnungstür in Charlottenburg auf und erwischten den Mann auf frischer Tat an seinem Laptop. Eine halbe Stunde lang leugnete er noch, "aber als er merkte, was wir alles wussten, brach er ein und gestand", sagt Marcel Keßelheim. Jetzt sitzt der Betrüger in U-Haft. Er wird die fünf Jahre aus dem Urteil von 2004 absitzen müssen - und wohl eine weitere Strafe für die 2500 Taten aus den vergangenen sechs Jahren.

Wachsam sein bei Geschäften im Internet

Für die Bäuerin aus Schrobenhausen ging zumindest die Sache mit den 200 Euro gut aus. Die Abbuchung konnte rückgängig gemacht werden. Und auch die Käufer, die bei dem Mann Waren zu günstigen Preisen erworben hatten, durften ihre Einkäufe behalten.

Robert Ott rät trotzdem dazu, aufmerksam zu bleiben: Wenn auch noch so kleine Beträge vom Konto abgebucht werden, sollte man die Polizei verständigen. Und bei unglaublichen Schnäppchen doch besser auf den gesunden Menschenverstand hören: "Alles, was zu schön ist, um wahr zu sein, ist nicht wahr."

© SZ vom 27.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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