Kratzers Wortschatz:Die einen rodeln, die andern fahren Schlitten

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Wird auf einem bayerischen Schlittenberg gerodelt oder Schlitten gefahren? Die Meinungen gehen weit auseinander. Ein Kollege hält die ganze Diskussion allerdings für hoanzachtig

Von Hans Kratzer

Die Rodel

Neulich hat dieses Blatt seiner sportlichen Leserschaft eine Sonderseite zum Thema Rodeln gewidmet. Bei der Vorbereitung dieses Projekts merkte ein Kollege, dessen Wiege in Passau stand, kritisch an, das heiße nicht Rodeln, sondern Schlittenfahren. Sogleich entspann sich eine Grundsatzdebatte: Wird auf dem Schlittenberg gerodelt oder Schlitten gefahren? Das Spektrum der Meinungen war so bunt wie ein Regenbogen. Aus sprachwissenschaftlicher Sicht ist anzumerken, dass das Wort Rodel und das Verb rodeln auf lateinische Wörter wie rotulare (rollen, gleiten) und rota (Rad) zurückgehen dürften. In Österreich heißt es die Rodel (kleiner Schlitten), in Südbayern ist auch der Rodel geläufig, vermutlich eine Verkürzung des Kompositums der Rodelschlitten. Der Rodelsport auf Kunsteisbahnen ist mit Olympiasiegern wie Schorsch Hackl, Felix Loch und Natalie Geisenberger eine deutsche Domäne. Touristenregionen wie Tegernsee bewerben eifrig ihre Rodelpisten (Ski und Rodel gut) und Sommerrodelbahnen. Und doch gibt es in Südbayern Gegenden, in denen man, sprachlich betrachtet, am Schlittenberg nicht rodelt, sondern "nur" Schlitten fährt.

hoanzachtig

In der Redaktion gibt es einen lieben Kollegen, der im Schatten der Salzburger Hausberge aufgewachsen ist, also in einer Gegend, in der einst Holzknechte und Bräuburschen die Entwicklung der Jugend geprägt haben. Auch er legt davon Zeugnis ab, indem er älplerisch klingende Wörter von sich gibt. Nehmen wir nur das Adjektiv hoanzachtig, das außer K. niemand je gehört hat, was den Verdacht nährt, es sei ein Hirngespinst, wenngleich ein treffendes, weil universal verwendbar. Das Bairische ist eine der ausdrucksstärksten Sprachen überhaupt. Allein für das Verb stinken gibt es Aberdutzende Synonyme. Trotzdem ist es stets aufnahmebereit für Neologismen. In Marcus H. Rosenmüllers Film "Räuber Kneißl" ist das Wort brouheidig zu hören. Wie hoanzachtig taucht es in keinem Wörterbuch auf. Rosenmüller gab zu, den Begriff erfunden zu haben, weil er ihm so passend erschienen sei. "Und wenn in Zukunft gar nichts mehr an mich erinnern sollte, so hoffe ich, dass wenigstens das Wort brouheidig überleben möge", sagt Rosenmüller. Ähnliches gilt für unseren Kollegen: Hoanzachtig möge sein Vermächtnis sein!

© SZ vom 16.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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