Kratzers Wortschatz:Auster des kleinen Mannes

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Die Weißwurst, deren Haut in Bayern keinesfalls Pelle genannt werden darf, ist damit nicht gemeint. Sondern ein Auswurf, den Gerhard Polt in die deutsche Literatur eingeführt hat

Pelle

Obwohl der G-7-Gipfel in Elmau schon längst wieder Geschichte ist, muss an dieser Stelle doch noch eine Anmerkung aus mundartlicher Sicht nachgelegt werden. Es war ja begrüßenswert, dass US-Präsident Obama beim Frühschoppen in Krün eine Weißwurst verzehren durfte. Das Schälen der Weißwurst ist freilich eine Wissenschaft für sich, weshalb es sich bestens traf, dass Joachim Sauer, der Gatte der Kanzlerin, ein Wissenschaftler ist, der Obama freundlicherweise in die Technik des Weißwurstverzehrs einführte. Ein Tiefpunkt war allerdings, dass sämtliche Berichterstatter, sogar bayerische Lokalblätter, danach mitteilten, Sauer habe Obama gezeigt, wie man eine Weißwurst aus der Pelle holt. Jedem Schreiberling, der glaubt, die Weißwurst habe eine (norddeutsche) Pelle, rufen wir zu: Griasdi, oide Wurschthaut, da hast an schönen Schmarrn geschrieben!

Lungenhering

In der vergangenen Woche wurde an dieser Stelle der Begriff Glache erörtert. Dieses Schimpfwort bezeichnet einen Burschen, der sich durch ein unhöfliches und despektierliches Verhalten auszeichnet. Die Reaktionen einiger Leser haben nun jedoch eine erstaunliche Ergänzung zu Tage gefördert. So wurde moniert, beim Glache handle es sich weniger um einen unverschämten Rotzlöffel als vielmehr um ein schleimiges Körpersekret, genauer gesagt um einen tief aus dem Rachen kommenden Auswurf.

Manche Leser fügten sogar bildhafte Beschreibungen an, etwa in der Art, dass dem Glache ein grunzendes Nasen- und Gaumensaugen vorausgehe, das Ergebnis werde dann gezielt oder auch achtlos auf den Boden gespuckt. Ein anderer Glache-Experte ergänzte, der Hervorbringer versuche, die schleimige Absonderung unter Einsatz einer erheblichen Menge von Atemluft stoßweise aus dem Mund oder Nasenrachenraum von sich weg zu befördern, wobei in der Stoßrichtung durchaus ein vorsätzlich zu Treffender stehen könne. Dies widerfuhr einst dem Fußballer Rudi Völler, als ihm der Sportsfreund Frank Rijkaard gezielt einen voluminösen Glache in den Nacken setzte.

Es zeigt sich also, dass dieses Wort je nach Region eine unterschiedliche Bedeutung hat, wobei erstaunlich ist, dass der jeweilige andere Wortsinn dort in Gänze unbekannt ist. Das bekannteste Synonym für den Glache als Auswurf ist sicherlich der Lungenhering (Lungaharing). Seinen vornehmsten Ausdruck findet der Lungaharing bei Gerhard Polt, der ihn als die Auster des kleinen Mannes in die Literatur eingebracht hat.

© SZ vom 22.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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