Kampf gegen Unterrichtsausfall:Lehrer sollen mehr arbeiten

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Klassenfahrten am Wochenende und Präsenzpflicht: Kultusminister Spaenle will den Unterrichtsausfall an Schulen bekämpfen. Die Lehrer haben Angst, dass sie sich bald wie ausgequetschte Zitronen vorkommen und Referendare trotz eines Examens mit 1,0 nicht eingestellt werden.

Tina Baier

Am Montag haben alle Gymnasien in Bayern Post aus dem Kultusministerium bekommen. "Reduzierung des ersatzlos ausfallenden Unterrichts", so der verheißungsvolle Titel des Schreibens. Mit Bedauern wird darin festgestellt, dass der Unterrichtsausfall an den bayerischen Gymnasien auf hohem Niveau stagniere.

Leere statt Lehre: An den Gymnasien in Bayern sind heuer 2,9 Prozent des Unterrichts ersatzlos ausgefallen. (Foto: picture alliance / dpa)

Um Abhilfe zu schaffen, wird den Schulen ein ganzer Maßnahmenkatalog verordnet: Unter anderem sollen Studienfahrten übers Wochenende organisiert werden. Außerdem sollen Lehrer am Vormittag zur Präsenz an der Schule verpflichtet werden, auch wenn sie keinen Unterricht haben, damit sie im Notfall einspringen können.

Nach einer Untersuchung des Kultusministeriums, die am Donnerstag in München vorgestellt wurde, sind in den letzten drei Januarwochen an den Gymnasien 2,9 Prozent des Unterrichts ersatzlos ausgefallen, an den Beruflichen Oberschulen 2,3 Prozent, an den Realschulen 1,2 Prozent und an den Grund- und Mittelschulen 0,9 Prozent.

"Im Vergleich zur Erhebung im vergangenen Schuljahr ist etwa ein Drittel weniger Unterricht ausgefallen", sagt Kultusminister Ludwig Spaenle. Im vergangenen Jahr wurde der Stundenausfall über das ganze Schuljahr hinweg erhoben, dafür aber war die Umfrage weniger breit angelegt.

Spaenle sagt, er werde die positive Entwicklung unter anderem mit 500 Lehrerstellen unterstützen, die im Nachtragshaushalt speziell zur Bekämpfung des Unterrichtsausfalls vorgesehen sind. Diese Lehrer sollen etwa als "Mobile Reserve" auch an Realschulen und Beruflichen Oberschulen eingesetzt werden und Kollegen vertreten, die ausfallen.

"Das Ziel, den Unterrichtsausfall zu reduzieren, ist ja richtig", sagt Josef Kraus, Vorsitzender des Deutschen Lehrerverbands. Doch "viele Kollegen werden sich vorkommen wie eine ausgequetschte Zitrone, die man noch weiter ausquetscht". Denn die Anordnungen bedeuteten Mehrarbeit und ungünstigere Stundenpläne mit Lücken, in denen die Lehrer an der Schule präsent sein müssen.

Was viele besonders ärgert, ist, dass die Lehrer mehr arbeiten sollen, während gleichzeitig Referendare mit hervorragenden Noten nicht eingestellt werden. Einer von ihnen ist Marcel Swoboda. Er hat das Zweite Staatsexamen mit 1,0 bestanden. Vor kurzem hat er einen Brief vom Kultusministerium bekommen, in dem ihm bescheinigt wird, dass er sich damit besondere Verdienste erworben habe. "Zwei Tage später bekam die Schulleiterin per E-Mail die Liste mit den Namen der Referendare, die vom Staat übernommen werden", sagt Swoboda. "Mein Name stand nicht drauf."

Die Begründung aus dem Kultusministerium, an seiner Fächerkombination Deutsch/Geschichte bestehe derzeit kein Bedarf, kann er nicht nachvollziehen: Ohne Probleme hat er einen Aushilfsvertrag bekommen und wird in Vollzeit Deutsch und Geschichte unterrichten. Zwei Schulen hätten in gerne genommen, weil sie Bedarf an genau seinen Fächern haben, doch sie bekommen dafür keine Stelle. Eine ähnliche Auskunft hat Richard Sauer von verschiedenen Schulen erhalten, bei denen er sich als Lehrer für Sozialkunde und Englisch beworben hat.

Gerade Sozialkundelehrer werden an manchen Schulen dringend gesucht. Doch statt eines ausgebildeten Lehrers schickt das Ministerium meist Referendare, um die größten Lücken notdürftig zu stopfen. "Auch die Schulen leiden unter der Praxis, durch die hohe Zahl an Referendaren (...) Festanstellungen zu sparen", heißt es in einem Protestschreiben gegen die Einstellungspolitik des Kultusministeriums, das derzeit unter Referendaren kursiert.

"Auf Dauer kann das so nicht weitergehen"

An den Volksschulen fällt zwar viel weniger Unterricht aus als an den Gymnasien. Doch das sei auch eine Frage der Definition, sagt Klaus Wenzel, Vorsitzender des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbandes (BLLV). "Wenn ein Lehrer 60 Schüler in der Turnhalle unterrichtet, weil zwei Klassen zusammengelegt werden müssen, dann ist das für mich Unterrichtsausfall, für Herrn Spaenle nicht."

Gerade jetzt sei die Situation an den Schulen sehr angespannt, da viele Kollegen wegen Krankheit ausfallen. Als vorbildlich gelten dem Kultusminister auch die Realschulen, wo ebenfalls vergleichsweise wenige Stunden wegfallen. "Die Kollegen fangen das durch Mehrarbeit auf", sagt Anton Huber, Vorsitzender des Bayerischen Realschullehrerverbands. "Aber auf Dauer kann das so nicht weitergehen." Die Belastung sei zu hoch.

Dramatisch ist die Situation an den beruflichen Oberschulen FOS und BOS, obwohl dort offiziell weniger Unterricht ausfällt als an den Gymnasien. Die beiden Schularten sind derart unterversorgt mit Lehrern, dass sie den regulären Unterricht nicht einmal dann sicherstellen können, wenn alle Lehrer da sind.

Viele wissen sich nicht mehr anders zu helfen, als bestimmte Fächer wie Religion, Geschichte oder Sport zu streichen. "Die tauchen gar nicht mehr auf dem Stundenplan auf", sagt Irmgard Kunzfeld, die beim Bayerischen Philologenverband für die Beruflichen Oberschulen zuständig ist. Sie schätzt, dass auf diese Weise jedes Jahr zwischen 800 und 900 Pflichtstunden wegfallen, ohne dass dies in der Statistik als Unterrichtsausfall auftaucht.

© SZ vom 10.02.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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