IS-Kämpfer aus Bayern:Reiseziel Krieg

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  • Mehr als 50 radikale Islamisten haben sich in den vergangenen zwei Jahren aus Bayern in Richtung Syrien oder Irak abgesetzt.
  • Die Zahlen spiegeln einen deutschlandweiten Trend wider: Mehr als 500 Personen reisten bis Ende 2014 in den Dschihad aus.
  • Eine Arbeitsgruppe des bayerischen Innenministeriums soll jetzt ein Präventionsnetzwerk Salafismus aufbauen. Für die Grünen kommt diese Initiative zu spät.

Von Sarah Kanning und Frank Müller, München

Es sind besorgniserregende Zahlen des bayerischen Innenministeriums: Mehr als 50 radikale Islamisten haben sich in den vergangenen zwei Jahren aus Bayern in Richtung Syrien oder Irak abgesetzt oder planen aktuell ihre Ausreise. Tendenz steigend. Gegen ebenso viele sogenannte islamistische Gefährder leiteten Staatsanwaltschaften bislang Ermittlungen ein. Das antwortete das Innenministerium auf eine Anfrage der Grünen-Abgeordneten Katharina Schulze, die der SZ vorliegt. Die Ausreisezahlen spiegeln einen deutschlandweiten Trend wider: Mehr als 500 Personen reisten demnach bis Ende 2014 aus der Bundesrepublik in den Dschihad aus. Die Zahlen steigen stark.

Die Grünen wollten wissen, wie der Freistaat junge Männer davor schützt, von Radikalen angeworben und in den Krieg geschickt zu werden. Auch um Fragen der Ausreise und Wiedereinreise geht es - also darum, wann der Freistaat Gefährdern den Pass entzieht, wann er sie abschiebt, und wie er mit Heimkehrern umgeht. Mindestens 17 Personen aus Bayern halten sich laut Innenministerium derzeit in Syrien, im syrisch-türkischen Grenzgebiet und in den von der Terrororganisation Islamischer Staat (IS) kontrollierten Gebieten auf. 13 Personen aus Bayern sind inzwischen aus Syrien wieder zurückgekehrt, davon zehn nach Deutschland. Fünf sitzen in Haft.

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Weil die Rückkehrer ein erhebliches Risiko für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellten, unterstützt der Freistaat die Initiative der Bundesregierung, Gefährdern den Personalausweis zu entziehen. Das, so heißt es in der Stellungnahme, würde die Möglichkeit der fünf inhaftierten Syrienrückkehrer einschränken, sich nach ihrer Freilassung wieder ins Kampfgebiet zu begeben. Denn für Ausreisen über die Türkei genügt der Personalausweis.

Meldeauflagen und Ausreiseverbote

Wie vielen Islamisten eine Ausreise untersagt worden ist, sei schwer zu sagen, da die Begründungen nicht gesammelt würden. Bekannt seien dem Landeskriminalamt nur zehn Fälle: sechs Deutsche, drei Türken und ein Staatenloser, die sich an Kämpfen beteiligen wollten. "Davon konnten bis dato zwei Personen an der Ausreise gehindert werden." Gegen zwei Türken, einen Tunesier und einen Deutschen seien Meldeauflagen verhängt worden.

Deutlich mehr Gefährder wurden jedoch ausgewiesen, so wie im Herbst der türkischstämmige Erhan A. aus Kempten: 19 Personen mussten demnach von 2009 bis 2014 Deutschland verlassen. Die Männer, die verdächtigt wurden, einer terroristischen Vereinigung anzugehören, zu unterstützen oder die freiheitlich-demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, stammten vor allem aus dem Irak (9) und der Türkei (8) sowie aus Marokko und Tunesien.

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Gerade der Fall Erhan A. war in der Öffentlichkeit umstritten. Er hatte im SZ-Magazin angekündigt, nach Syrien ausreisen zu wollen. Nach der Abschiebung wurde Innenminister Joachim Herrmann "Terrorexport" vorgeworfen.

Die Grünen bemängeln eine fehlende Strategie: "Es ist keine klare Linie erkennbar, wann ein Gefährder an der Ausreise gehindert wird und wann er gerade ausgewiesen werden soll", sagt die Vize-Fraktionsvorsitzende Katharina Schulze. "Wir sagen Nein zu den reflexhaften CSU-Forderungen nach einer Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung oder Strafverschärfung. Die rechtsstaatlichen Instrumente sollen erst ausgeschöpft werden."

Drei Kämpfer aus Bayern sind bereits in Syrien getötet worden - darunter der 19-jährige David G. aus Kempten. Er fand über das Internet Kontakt zu radikalen Salafisten in Nordrhein-Westfalen. "Gewalt und islamistische Ideologie sind durch das Internet omnipräsent und jederzeit abrufbar", heißt es vom Innenministerium. "Eine bloße Maßnahme, die versucht, die Verbreitung solcher Propaganda einzudämmen, wäre aufgrund der Komplexität und Vielfältigkeit der Verbreitungswege zum Scheitern verurteilt."

Wie das Innenministerium auf die Radikalisierung reagiert

Inzwischen würden die Betreiber derartige Accounts verstärkt löschen. Das Innenministerium habe vor allem im vergangenen Jahr eine Aufklärungsoffensive gestartet. Mit der öffentlichen Ausstellung "Die missbrauchte Religion. Islamisten in Deutschland" informierte es im Juli über den gewaltbereiten Salafismus. Zudem veröffentlichte das Ministerium die Broschüre "Salafismus-Prävention durch Information".

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Für die Grünen kommt diese Initiative aber zu spät: "Die Staatsregierung hat es verschlafen", sagt Schulze. "Dabei ist spätestens seit der Sauerland-Gruppe die Gefahr durch in Deutschland aufgewachsene Terroristen bekannt." Diese deutsche Zelle der Islamischen Jihad-Union löste sich nach der Verhaftung von drei Mitgliedern 2007 auf.

© SZ vom 20.01.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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