Überlastete Polizei in Bayern:"Da fährt reihenweise das Rauschgift an uns vorbei"

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Im Dauereinsatz: Polizisten bei der Ankunft von Flüchtlingen am Bahnhof in Rosenheim (Foto: Andreas Gebert)
  • Polizisten, Staatsanwälte und Richter in Bayern klagen, sie seien wegen der vielen ankommenden Flüchtlinge am Ende ihrer Leistungsfähigkeit angelangt.
  • Die Beamten fordern von der Staatsregierung mehr Koordination, wie beim G-7-Gipfel in Elmau.

Von Heiner Effern und Andreas Glas, München/Regensburg

Polizisten, Staatsanwälte und Richter in Bayern sind aufgrund der hohen Zahl ankommender Flüchtlinge am absoluten Ende ihrer Leistungsfähigkeit angelangt. Die Gewerkschaften der Polizei fordern von der Staatsregierung schnell ein Konzept und eine Organisation für einen dauerhaften Großeinsatz ähnlich wie für den G-7-Gipfel in Elmau. "Warum übernimmt nicht die Staatskanzlei die Regie, bindet die betroffenen Ministerien und die Kommunen ein und bildet einen Stab", fragt Rainer Nachtigall, Vize-Vorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft in Bayern (DpolG). Die Politik sei "mit Statements präsent, es fehlt aber der Unterbau, die Struktur".

Auch die Kollegen von der Gewerkschaft der Polizei (GdP) wundern sich über die Landespolitiker. "Für G 7 wurden über drei Jahre lang stabsmäßige Plan- und Vorbereitungsmaßnahmen gemacht und bei einer erkennbaren Flüchtlingsproblematik bricht das Chaos aus?", heißt es in einem offenen Brief an die Staatsregierung. Die meisten Kollegen würden besonders an den Haupteinreiserouten in Ober- und Niederbayern täglich "mit Kopfweh und Magenweh" zur Arbeit gehen, sagt der GdP-Landesvorsitzende Peter Schall.

"Wir arbeiten am Limit"

Nicht etwa, weil sie keine Motivation mehr hätten, sondern weil sie am Ende ihrer Kräfte seien. Zu ihm kommen diejenigen, die gefrustet sind - und Frust herrscht zurzeit überall. Das bayerische Kabinett kann sich mit der Forderung bereits am 2. September befassen. Dann tritt es zu einer Sondersitzung wegen der stetig steigenden Flüchtlingszahlen zusammen. Dort sollte nicht nur die Lage der Polizisten Thema sein. "Wir arbeiten am Limit", sagt etwa die Passauer Oberstaatsanwältin Ursula Raab-Gaudin. Innerhalb von zwei Wochen würden derzeit so viele Schleuser gefasst wie früher in einem Jahr. 15 Staatsanwälte schuften im Akkord, um die Verfahren zu bearbeiten. "Es besteht natürlich immer die Gefahr, dass der ein oder andere das nicht aushält. Auf Dauer darf das nicht sein."

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Die Bundespolizei ist maßlos überfordert: Seit Monaten gelinge es ihr nicht, alle eingereisten Flüchtlinge zu registrieren, beklagt die Polizeigewerkschaft.

In Passau stehen täglich etwa zehn Schleuser vor Gericht, das örtliche Gefängnis ist so voll, dass immer wieder Insassen verlegt werden müssen. "Wir sind es gewöhnt, viel zu arbeiten", sagt Raab-Gaudin, "aber jetzt zeigt sich, dass das ganze System Justiz auf Kante genäht ist." Die Staatsanwältin, die am vergangenen Wochenende Bereitschaftsdienst hatte, sei insgesamt 127 Mal angerufen worden. "Morgens um sechs klingelt zum ersten Mal das Telefon, das geht dann nonstop bis abends um zehn".

"Allein die Fülle der Verfahren erschlägt uns"

Auch die deutlich größere Staatsanwaltschaft Traunstein steht vor einem Berg von Verfahren, der nicht kleiner werden will. Sondern eher wächst. "Allein die Fülle der Verfahren erschlägt uns", sagt der stellvertretende Leiter, Oberstaatsanwalt Robert Schnabl. Auch jeder Asylbewerber, der illegal einreise, müsse erfasst werden. Das heißt Akte anlegen, registrieren, irgendwann Verfahren einstellen, ablegen. "Immerhin hier rührt sich was. Wir bekommen mehr Personal in den Geschäftsstellen." Bei den Schleusern versuchten die Kollegen, die Verfahren so schnell wie möglich abzuschließen und anzuklagen.

Die Prozesse finden häufig im grenznahen Amtsgericht in Laufen (Kreis Berchtesgadener Land) statt. "Seit Anfang Juni explodieren bei uns die Zahlen", sagt der stellvertretende Leiter Karl Bösenecker. "Jeden Tag kommen einige Anklagen." Die beiden Kollegen, die solche Verfahren verhandelten, seien hoffnungslos überlastet. "Wir müssen im Haus die Geschäftsverteilung neu ordnen", sagt Bösenecker. Ein dritter Richter kümmere sich nun um Schleuser-Verfahren.

Andere Prozesse müssten "hinten anstehen". Ebenso überlastet sind, so die SPD, die Verwaltungsgerichte. Laut Landtags-Fraktionschef Markus Rinderspacher droht die hohe Zahl der Verfahren zum einen die Verwaltungsgerichte lahmzulegen, zum anderen die Verfahren unangemessen in die Länge zu ziehen. Er fordert 50 neue Stellen, um die bisherigen Verwaltungsrichter zu entlasten.

Richter sitzen nicht auf der Staße herum

Doch die Forderung nach neuen Stellen beruhigt nicht alle, die sich Sorgen machen, dass das rechtsstaatliche System zusammenbrechen könnte. Zum einen sitzen Richter und Staatsanwälte nicht gerade auf der Straße herum. "Wir können uns die nicht einfach beim Arbeitsamt holen", sagt Ursula Raab-Gaudin, das Justizministerium habe ihr aber Hilfe versprochen. Die Initiative der Staatsregierung, Pensionäre für die EDV-Erfassung der Flüchtlinge zu reaktivieren, sei ein "Signal der Hilflosigkeit", sagt Polizei-Gewerkschaftler Schall, und noch dazu eine Schnapsidee. Die Aufgabe sei "nicht sonderlich attraktiv".

Außerdem dürfe ein Beamter im Ruhestand nur 450 Euro im Monat verdienen, alles weitere werde ihm von der Pension abgezogen. Es genüge nicht, "sich gegenseitig auf die Schulter zu klopfen und zu erklären, wir packen das schon". Besonders ärgert viele Polizisten, dass viele Straftäter derzeit ihre Freiheit genössen. Drogenschmuggler, Einbrecherbanden, Autodiebe - "dazu kommt man gar nicht mehr", sagt der bayerische GdP-Vorsitzende Schall. "Da fährt reihenweise das Rauschgift an uns vorbei und wir tun nichts, weil wir mit den Flüchtlingen beschäftigt sind."

© SZ vom 21.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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