Falken-Nachwuchs in Regensburg:Piepshow auf dem Alten Rathaus

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Im Turm des Regensburger Rathauses sind vier Wanderfalken geschlüpft. Vogelschützer Tom Aumer erklärt im Interview, warum zuvor in 55 Metern Höhe eine Kamera installiert wurde, wie groß die Facebook-Fangemeinde der Falkenkinder ist - und wie es um die Privatsphäre der Vögel bestellt ist.

Von Christoph Hollender, Regensburg

Im Turm des alten Regensburger Rathauses gibt es Nachwuchs. Vier Wanderfalken sind dort frisch geschlüpft - vor den Augen der ganzen Welt. Tom Aumer ist ehrenamtlicher Helfer beim bayerischen Landesbund für Vogelschutz und hat über dem Falkenhorst in 55 Metern Höhe eine Kamera installiert. Von der Eiablage bis zu den ersten Flugversuchen der Jungtiere können Zuschauer das Treiben live im Internet bestaunen (rathausturm-wanderfalken.de). Sogar eine eigene Facebook-Seite haben die Rathausturm-Wanderfalken - mit mehr als 1400 Fans.

SZ: Der Wanderfalke hat in Regensburg eine Heimat gefunden. Wie kommt das?

Tom Aumer: Der Landesbund für Vogelschutz hat in der Spitze des Rathausturms eine Brutstätte eingerichtet. Eigentlich um Turmfalken anzulocken. 2007 hat sich dort ein Wanderfalkenpaar eingenistet. Seitdem kommt jedes Jahr ein Falkenpaar, wir nehmen an, es ist immer dasselbe. Heute gibt es in Regensburg wieder mehr Falken, das war früher anders.

Wieso?

1950 gab es in Deutschland etwa 900 Wanderfalkenpaare. 1970 waren es nur noch zwischen 25 und 30. Das lag daran, dass DDT, ein Insektizid aus der Landwirtschaft, die Eierschale der Tiere so veränderte, dass die meisten Eier beim Brüten kaputt gingen. 1982 beauftragte der Freistaat den Landesbund für Vogelschutz, ein Wanderfalkenhilfsprogramm zu starten, um die Tiere vor dem Aussterben zu schützen. Das haben wir geschafft und deshalb gibt es jetzt mehr als 1000 Paare in Deutschland, davon einige in Regensburg.

Ist Regensburg ein Falkenparadies?

In gewisser Weise schon. Außerhalb von Regensburg gibt es an Felswänden vereinzelt Brutstätten der Tiere. Wir haben jahrelang versucht, diese zu schützen und eine sichere Eiablage zu gewährleisten. Dazu wurde mit Kameras gearbeitet, um die Tiere genau beobachten zu können, ohne sie zu stören.

Der Vorläufer der heutigen Webshow?

Ja. In den letzten Jahren kamen immer wieder Schulklassen, um im Frühjahr die brütenden Tiere zu beobachten. Jeder war begeistert, weil es einfach etwas Besonderes ist. Wir dachten uns, dass es bestimmt mehr Menschen interessant finden. Nachdem sich der Wanderfalke dann im Stadtgebiet niedergelassen hat, haben wir 2012 eine feste Kamera im Rathausturm installiert. Seitdem kann man die Tiere über das Internet im Livestream beobachten. Unsere Idee war es, den Regensburgern mitzuteilen, was für ein tolles Naturphänomen es ist, wenn die Tiere brüten und die jungen Falken schlüpfen. Und natürlich, dass unsere Arbeit Früchte trägt.

Läuft die Kamera im Turm permanent?

Nein, nur im Frühjahr, und auch nur tagsüber. Auf eine Infrarotbeleuchtung für die Nacht haben wir bewusst verzichtet.

Der Privatsphäre wegen?

Einfach, um sie nicht zu stören. Privatsphäre, na ja, das ist so eine Sache. Die ganz privaten Dinge, wie zum Beispiel die Hochzeit des Vogelpaares, fanden sowieso außerhalb des Horsts statt. Wir wollen mit der Kamera einfach einen Blick in die Kinderstube wagen.

Was tut sich in der Kinderstube?

Viel. In diesem Jahr hat unser Falkenpaar vier junge Tiere bekommen. Erst kürzlich ist das letzte von ihnen geschlüpft. Das konnten die Menschen live mit ansehen. Momentan werden die kleinen Falken von den Eltern gut behütet - und mit viel Futter versorgt.

Was steht auf dem Speiseplan?

Eigentlich alle Arten von kleinen Vögeln. Vor allem aber Tauben. Dadurch, dass es in Regensburg gut genährte wilde Stadttauben gibt, ist das der perfekte Lebensraum für die Wanderfalken. Es gibt meistens zu viele Tauben in der Stadt, sodass die natürlich Auslese ihre Vorteile hat.

Es heißt, es freue sich nicht jeder darüber, dass der Falke Tauben frisst?

Ja, das stimmt. Taubenzüchter sind nicht begeistert, weil manchmal eine ihrer Brieftauben zur Beute wird. Es ist ein natürlicher Prozess, den wir nicht ändern können. Wenn eine Brieftaube in das Jagdgebiet des Falken fliegt, kann so etwas passieren, es ist eben ein Wildtier. Ich kann aber auch verstehen, dass diese Menschen enttäuscht sind. Manchmal werde ich deshalb übrigens persönlich angefeindet.

Inwiefern?

Weil manche absolutes Unverständnis haben, dass ich mit einem, wie sie sagen, "Schädling" sympathisiere. Ich finde, man sollte sachlich bleiben. Aber der Protest ist nur mäßig. Und Brieftauben sind auch eher selten Beute. Wir haben auch schon einen Wellensittich im Horst entdeckt.

Ein Wanderfalke. (Foto: picture alliance / dpa)

Konnte man den toten Sittich dann auch per Webcam anschauen?

Nur die Federn waren im Internet zu sehen. Das passiert. Wenn der Sittich von seinen Besitzern wegfliegt, ist es nur ein Frage der Zeit, bis er zur Beute von Raubtieren wird. Das ist etwa so, als ob ein Hauskaninchen durch den Wald liefe.

Ist es ein Trend, dass man Vögel über das Internet beobachtet?

Das würde ich schon sagen. Solche Naturschauspiele haben einen Seltenheitswert in unserer Gesellschaft. Spitzenreiter sind übrigens Störche, die werden am meisten beobachtet. Webcams gibt es genug, und jeder kann über das Internet zuschauen. Bequem von zu Hause aus.

Was sagte eigentlich der Oberbürgermeister zu der Kamera auf dem Rathausdach?

Am Anfang wollte er genau wissen, was wir vorhaben und wo wir filmen. Wir haben es erklärt, und er war begeistert. 2012 hat er die Kamera sogar offiziell eingeweiht. Heute ist er ein großer Fan der Tiere.

Sind die Regensburger jetzt Falkenfans?

Viele. Es findet ein Identifikationsprozess statt. Die Falken und Regensburg gehören zusammen. Einmal im Jahr ist es ein Höhepunkt, den Tieren beim Schlüpfen und Aufwachsen zuzusehen. Im Juni werden die Kleinen dann flügge, und im Herbst geht es in den Süden. Die Eltern bleiben in der Stadt. Am Dom haben sie ihr Revier. Für sie ist er wie ein Felsen mit gutem Nahrungsangebot.

© SZ vom 28.04.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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