Entzug von Crystal Meth:"Wenn wir nicht aufhören, gehen wir drauf"

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In Bayern ist Crystal Meth seit Jahren auf dem Vormarsch. Dass es sich im Freistaat so stark ausbreitet, liegt auch an der Nähe zu Tschechien. (Foto: Sven Simon/imago)
  • Maria Streuer und Markus Wolf aus Regensburg waren jahrelang abhängig von Crystal Meth. Sie begannen mit der Entgiftung, als Wolf beinahe an einer Überdosis starb.
  • Inzwischen sind sie von der Droge weg. Beide machen heute eine Berufsausbildung und dürfen sich wieder um ihren gemeinsamen Sohn kümmern.
  • Dieser Text erzählt ihre Lebensgeschichte, die geprägt ist von einer Droge, die vor allem in Nordbayern sehr verbreitet ist.

Von Dario Nassal, Regensburg

Manchmal reicht ein kurzer Moment aus, um ein ganzes Leben zu verändern. Bei Maria Streuer (alle Namen geändert) war das so. "Wir hatten beide Crystal Meth gespritzt und auf einmal fiel mein Freund von der Couch und bewegte sich nicht mehr", sagt sie und legt die Stirn in Falten. Ihre Stimme wird ganz leise. Sie sagt, sie sehe es heute noch vor sich: Wie sie ihren Freund schüttelte, als er am Boden lag, wie sie schrie, wie sie dachte, er sei tot. Dann öffnete ihr Freund die Augen und wachte wieder auf. Die Überdosis hatte ihn nicht vergiftet, er war am Leben. Das war der zündende Moment: In dieser Nacht schworen Maria Streuer und Markus Wolf nie wieder Crystal Meth zu nehmen. "Wir wussten, wenn wir nicht aufhören, gehen wir drauf."

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Maria Streuer sitzt auf einem Plastikstuhl in einem Besprechungszimmer bei DrugStop, einer Drogenhilfe-Einrichtung in Regensburg und erzählt ihre Geschichte. Die 25-Jährige trägt ein schwarzes Top und enge Jeans, sie hat große aufmerksame Augen, aber manchmal, wenn sie von Crystal Meth spricht, wirkt ihr Blick zerstreut und abwesend. Seit zwei Jahren ist die junge Frau aus Regensburg clean, sie macht eine Berufsausbildung, ihr Leben läuft in geregelten Bahnen. Sie hat geschafft, was die meisten ihrer ehemaligen Freunde nicht geschafft haben: Sie ist von Crystal Meth weggekommen.

"Ein unglaubliches Glücksgefühl"

In Bayern ist die Modedroge Crystal Meth seit Jahren auf dem Vormarsch. Gerade in Bayern, denn die Grenze zu Tschechien ist nicht weit und in Tschechien wird das Amphetamin für den europäischen Markt in illegalen Laboren produziert. Allein im vergangenen Jahr stellten Fahnder in Bayern rund 15 Kilo Crystal Meth sicher - erneut die bundesweite Rekordmenge. Bernd Kreuzer vom Landeskriminalamt sagt: "Im Nordosten des Freistaats ist die Droge längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen."

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Das Amphetamin hat eine aufputschende Wirkung. So erzählt es auch Maria Streuer: "Ich habe mich immer sehr fit gefühlt und konzentriert, wenn ich high war und gleichzeitig hatte ich dieses unglaubliche Glücksgefühl." Sie erinnert sich daran, wie es am ganzen Körper wohlig gekribbelt habe, als sie mit 16 Jahren das erste Mal Crystal Meth nahm. Draußen lag Schnee, aber sie spazierte im Minirock durch die Stadt.

So wie Maria Streuer erzählen viele Abhängige von den unglaublichen Glücksgefühlen beim ersten Mal auf Crystal Meth, und so wie viele andere, wurde auch Streuer nach dem ersten Mal schnell abhängig. Das Besondere an Maria Streuers Geschichte ist, dass sie es aus eigenem Antrieb heraus schaffte von Crystal Meth wegzukommen: Sie und ihr Freund Markus Wolf begannen selbst zu entgiften - ohne zuvor einen Arzt oder Drogenberater nach Rat zu fragen, ohne sich auf eine Entgiftung vorzubereiten. In dieser einen Nacht, als ihr Freund an der Überdosis fast gestorben wäre, entschieden sich Streuer und Wolf nach langen Jahren in der Abhängigkeit endlich mit der Droge aufzuhören. Sie schlossen sich zu Hause ein, räumten alles Crystal aus dem Wohnzimmer und erzählten ihren Junkie-Freunden, sie seien verreist.

Neun Monate dauerte ihre Therapie

"Erst war es schwer einzuschlafen", sagt Streuer. Sie erzählt, wie sie sich in der ersten Nacht mit hartem Alkohol betranken und Joints rauchten, um irgendwie den Gedanken an die Droge zu vergessen, sie erzählt, wie sie sich gegenseitig Mut zuredeten, tagelang schliefen, unruhig und schweißgebadet, und wie sie ihre Wohnung nur verließen, wenn sie einkaufen mussten. Erst nachdem sie sich zwei Wochen selbst entgiftet hatten, gingen Streuer und Wolf dann zu DrugStop in Regensburg und ließen sich eine professionelle Entwöhnungstherapie empfehlen. Das Programm, für das sie sich entschieden, dauerte insgesamt neun Monate, die Kosten übernahm die Rentenversicherung.

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Die Therapie in der festen Einrichtung brachte wieder Struktur in ihr Leben: Essen zu festen Uhrzeiten, Termine mit Psychologen und Gruppengespräche mit andern Ex-Junkies. "Nach einigen Wochen ging es mir besser", sagt Maria Streuer. Aber gerade zu Beginn sei es schwer gewesen. Sie habe Angst gehabt vor den anderen Junkies, die ebenfalls in der Entwöhnungsklinik wohnten, und sie erzählt von einem Mann, der im Raucherhäuschen gestanden sei und lachend mit sich selbst geredet habe. Und sie habe lernen müssen, wie es sich anfühlt den ganzen Tag über nüchtern zu sein und den Gedanken an Crystal zu vergessen.

Nach neun Monaten in der Entwöhnungstherapie kamen Streuer und Wolf dann zum ersten Mal wieder zurück in ihre alte Wohnung. "Alles von damals war noch da, das war ein ganz seltsames Gefühl", sagt sie. Die Kärtchen, mit denen sie das Crystal klein gemacht hatten, die Spiegel, worauf sie die Lines gezogen hatten und die Nasensprays, die sie präpariert hatten, um auch draußen, wenn sie in der Stadt waren, immer ein bisschen schnupfen zu können. "Wir sind mit dem Müllsack in die Wohnung und haben alles weggeworfen, was uns an früher erinnert hat", sagt Streuer. Und auf einmal, als sie das alles nach neun Monaten zum ersten Mal wieder sah, seien ihr so viele Gedanken gekommen: "So haben wir damals gelebt? So asozial?" Die Wohnung und die Wände voller Nikotin, überall seien Kratzer und Dreckspuren gewesen und Brandlöcher im Boden.

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Maria Streuer lehnt sich in ihrem Stuhl zurück und streicht sich durch die Haare. Manchmal habe sie solche Gedanken auch heute noch, sagt die 25-Jährige: "Ich frage mich dann, wie ich so viel Zeit verschwenden konnte und ob ich mein Leben verpfuscht habe." Streuer sieht nicht aus wie die Crystal-Abhängigen mit den entstellten Gesichtern, die man aus den Medien kennt: Ihre Haut ist gesund, ihre Zähne sind gerichtet - wenig verrät von der selbstzerstörerischen Sucht, die über Jahre hinweg ihr Leben bestimmt hat.

Fünf Junkies in einer Wohnung

"In meiner schlimmsten Zeit war mir alles egal", sagt Streuer und dann erzählt sie von ihrem Sohn. Denn Maria Streuer ist Mutter: Als sie 18 war, kam ihr Baby auf die Welt. Zwar war sie während der Schwangerschaft clean, doch wenige Monate nachdem ihr Sohn auf der Welt war, begann sie wieder Crystal zu ziehen. Maria Streuer gab ihren Sohn dann an den Wochenenden zu ihrer Mutter und holte ihn sonntags nach zwei durchgemachten Nächten wieder ab. Einige Zeit sei das gut gegangen, doch dann habe ihre Mutter einen Drogentest verlangt und wenig später auch das Jugendamt. "Und dann wurde mir mein Kind weggenommen", sagt Streuer. Und sie erzählt, wie sie den Total-Absturz erlebte.

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Sie zog in eine WG mit ihrem Freund und begann dort jeden Tag Crystal zu nehmen. Die Wohnung war eigentlich für zwei, doch Streuer und Wolf wohnten mit anderen Junkies zu fünft dort. Sie hatten keine Möbel mehr und keine Küche. Sie schliefen auf dem Boden auf Matratzen, umgeben von kahlen Wänden. Mit ihrem Arbeitslosengeld bezahlten Wolf und sie die Miete und die anderen besorgten das Crystal auf direktem Weg aus Tschechien. Die Tüten seien immer voll gewesen, wie viel sie damals nahm, das könne sie heute nicht mehr schätzen, sagt sie. Auch das Zeitgefühl ging verloren. Oft spielte sie 24 Stunden lang auf dem Handy ein einziges Spiel. Das Jahr sei vergangen wie ein Monat. Am Ende wog Streuer nur noch 48 Kilogramm, ihre Zähne gingen kaputt.

Der Sohn darf wieder zu seinen Eltern

Dann wurde sie ein zweites Mal schwanger. Doch diesmal verlor sie ihr Kind im dritten Monat, weil sie nicht aufhörte zu konsumieren. Im Krankenhaus bekam sie innere Blutungen. "Der Arzt sagte mir: Sie müssen aufhören, sonst sterben sie", erinnert sie sich. Doch Streuer nahm weiter Crystal, kaum hatte sie das Krankenhaus verlassen. Erst zwei Monate später, in jener Nacht, als ihr Freund fast an einer Überdosis gestorben war, begannen sie mit der Entgiftung.

Heute wohnen Streuer und Wolf immer noch in der Wohnung von damals, doch inzwischen sieht alles anders aus. Im Schlafzimmer stehen neue Möbel, einige Wände sind neu tapeziert, andere neu gestrichen. Das Wohnzimmer ist weiß und gelb, die Küche capuccinofarben. Ein Raum in ihrer Wohnung gefällt Maria Streuer ganz besonders: das Kinderzimmer. "Unser Sohn kommt inzwischen immer an den Wochenenden zu uns", sagt Maria Streuer stolz. Und das Jugendamt habe entschieden: Wenn sie und ihr Freund ihre Berufsausbildung abgeschlossen haben, dürfe ihr Sohn wieder langfristig zu ihnen. Bis jetzt verbringen Streuer und Wolf nur die Wochenenden zusammen mit ihm. Dann machen die drei Ausflüge, gehen ins Kino und essen Eis und ihr Kind nennt sie Mama.

© SZ vom 16.02.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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