Drama von Ingolstadt:Mord ohne Motiv

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Ein Polizist fotografiert vor dem Polizeipräsidium in Ingolstadt den Wagen des 43-jährigen Mannes, der sich im Innern des Gebäudes das Leben nahm. (Foto: Oliver Strisch/dpa)

Die Polizei sucht immer noch nach einem möglichen Motiv: Ein 43-Jähriger hat zunächst auf eine Frau gezielt, dann einen 48-Jährigen und am Ende sich selbst erschossen. Der Fall ist spektakulär - aber nur einer von vielen in Ingolstadt.

Von Susi Wimmer

Das Drama von Ingolstadt wird wohl nie vollständig aufgeklärt werden: Immer noch sucht die Polizei nach einem möglichen Motiv, warum ein 43-Jähriger aus Großmehring am Sonntagabend zunächst auf eine Frau gezielt, dann einen 48-Jährigen und schließlich sich selbst getötet hat. "Die Gründe dürften in einem komplizierten Beziehungsgeflecht liegen", meint Hans-Peter Kammerer vom Polizeipräsidium Oberbayern.

Dieses völlig zu entwirren, werde im Nachhinein wohl nicht mehr möglich sein. In Ingolstadt ereigneten sich in den letzten Wochen diverse Tötungsdelikte und eine Geiselnahme im Rathaus. Allein von den spektakulären Fällen und der breiten Medienöffentlichkeit nun auf die Sicherheitslage in der Stadt zu schließen, sei falsch. "Gerade im letzten Jahr war in Ingolstadt die Kriminalitätsbelastung so erfreulich niedrig wie vor 30 Jahren."

Am Sonntagabend allerdings ging es für die Beamten der Ingolstädter Kripo Schlag auf Schlag: Um 18.50 Uhr ging der Notruf ein, dass ein Mann soeben in Großmehring direkt vor einer Frau in den Boden geschossen habe. Die Frau erlitt einen Schock, die Ermittler rasten sofort an den Tatort. Um 19.01 Uhr dann der Notruf aus Ingolstadt: Eine Frau teilte mit, dass soeben ihr Mann erschossen worden sei. Und um 19.15 Uhr stand der Täter vor dem Gebäude des Polizeipräsidiums Oberbayern Nord und schoss die gläserne Zugangstüre des Personaleingangs auf.

Im Treppenhaus brüllte der 43-Jährige einen Vornamen. Zwei Polizisten kamen gerade aus dem oberen Stockwerk, sahen den bewaffneten Mann, gingen hinter einer Mauer in Deckung und forderten ihn auf, die Waffe fallen zu lassen. Jetzt sei eh schon alles zu spät, antwortete der 43-Jährige, kniete sich auf eine Treppe und schoss sich in den Kopf. Ob der 43-Jährige auf der Inspektion mit dem Beamten sprechen wollte, oder es darauf angelegt hatte, sich von Uniformierten erschießen zu lassen, ist nicht geklärt und wird vermutlich auch nicht mehr geklärt werden können.

"Es gibt keinen Abschiedsbrief", erklärt Hans-Peter Kammerer. Der gelernte Energie-Elektroniker, der zuletzt bei einer Sicherheitsfirma beschäftigt war, dürfte aber "stark belastet" gewesen sein. Er war angezeigt worden, weil er angeblich eine Minderjährige sexuell belästigt haben sollte. Am 30. September wurde er mangels Beweisen freigesprochen. Doch der Prozess dürfte ihn und auch seine Ehe stark belastet haben.

Nach Informationen der SZ ließ sich der Mann aus Großmehring zuletzt auch psychiatrisch behandeln und nahm Medikamente ein. Die Frau, vor der er in den Boden geschossen hatte, war die Mutter des Mädchens, das er angeblich belästigt haben soll. Der 48-Jährige, den er mit neun Schüssen, vier davon in den Kopf, getötet hatte, war der Ex-Mann seiner Ehefrau. Warum er sich ausgerechnet den 48-Jährigen als Opfer ausgesucht hatte, ist den Ermittlern noch nicht so ganz klar.

Gesichert ist hingegen mittlerweile, dass der Großmehringer Sportschütze die beiden großkalibrigen Waffen, mit denen er am Sonntag um sich schoss, legal besaß. Die Polizei stellte in seiner Wohnung 20 Waffen sicher, darunter 15 Gewehre, für die er alle die waffenrechtliche Erlaubnis hatte. Am Tattag hatte er zuerst das Magazin einer Pistole leer geschossen, diese am Tatort zurückgelassen, und anschließend einen Revolver gegen sich gerichtet.

Mord, Totschlag und sogar eine Geiselnahme in Ingolstadt: "Es ist unbestritten, dass wir in den letzten zwei Monaten eine auffällige Häufung von Kapitaldelikten hatten", sagt Hans-Peter Kammerer vom Präsidium Oberbayern Nord. Fast alle Tatorte befanden sich in der Öffentlichkeit, "das sorgt natürlich zusätzlich noch für Aufsehen". Im vergangenen Jahr hatten es die Ermittler der Kripo Ingolstadt mit insgesamt 13 Tötungsdelikten zu tun, 2013 sind es bereits 16.

Dass die Ingolstädter nun um ihre Sicherheit fürchten müssen, dazu besteht laut Kammerer kein Anlass: "Es geht hier fast ausschließlich um Beziehungstaten, selbst bei der Geiselnahme. Beziehungstaten sagen nur sehr wenig über die gesamte Sicherheitslage einer Stadt aus." Tatsächlich sinke die Kriminalitätsbelastung in Ingolstadt seit Jahren kontinuierlich.

© SZ vom 10.10.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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