Dialysepatient im Hospiz:Lieber sterben als warten

Lesezeit: 3 min

Ein junger Mann hoffte jahrelang auf eine neue Niere - vergeblich. Weil er die Quälerei nicht mehr aushält, hat er sich für den Tod entschieden. Der 30-Jährige will noch eine letzte Botschaft transportieren.

Von Dietrich Mittler

Hans Bechler (Name geändert) hat sich über viele Jahre hinweg ehrenamtlich für Menschen eingesetzt, die Hilfe brauchen - für alte und gebrechliche Menschen, für Menschen, die durch Krankheit oder andere Schicksalsschläge vom Erwerbsleben ausgeschlossen sind. Doch nun will er selbst angesichts seiner schweren Krankheit einen Schritt gehen, der verzweifelter nicht sein könnte.

Über die Augsburger Allgemeine wurde die Öffentlichkeit im schwäbischen Landkreis Donau-Ries auf sein Schicksal aufmerksam: Bechler, vor wenigen Wochen erst 30 Jahre alt geworden, harrte mehr als ein Drittel seines Lebens auf eine zweite Spenderniere. Nun aber hat er keine Kraft mehr. Er hat außerhalb Bayerns ein Hospiz für sich gefunden, um dort zu sterben. Die zum Überleben dringend notwendige Dialyse-Behandlung hat er abgebrochen. Vergangene Woche ließ er sich zudem im Transplantationszentrum München von der Warteliste für Spendernieren streichen, wie Ärzte bestätigten.

Drei Menschen, so ergaben Recherchen der Süddeutschen Zeitung, stehen mittlerweile bereit, Bechler per Lebendspende eine Niere zur Verfügung zu stellen. Zunächst war es lediglich ein älterer Herr, der sich spontan meldete. Als junge Stimme seines Verbandes hatte sich Bechler immer wieder für alte Menschen und ihre Angehörigen stark gemacht, auch bei kontroversen öffentlichen Diskussionsveranstaltungen.

Das Angebot des älteren Herrn aber hätte er nicht einmal nutzen können. "Eine Lebendspende ist nur zulässig zwischen Verwandten ersten oder zweiten Grades, Ehegatten, eingetragenen Lebenspartnern, Verlobten oder besonders nahestehenden Personen", heißt es aus dem bayerischen Gesundheitsministerium. Der Gesetzgeber habe mit dieser Beschränkung die Freiwilligkeit der Organspende sichern und der Gefahr des Organhandels begegnen wollen, teilte eine Sprecherin mit.

"Damit hat sich alles erledigt"

Offenbar sollen sich inzwischen auch zwei Verwandte von Bechler zu einer Lebendspende entschlossen haben. Allein, der Betroffene selbst sieht - mehr als eine Woche nach dem Abbruch der Dialyse - kaum mehr eine Chance für sich. Die Strapazen und Schmerzen, die ihn erwarten würden, wären immens. Menschen, die ihn durch sein soziales Engagement seit Langem kennen, hoffen immer noch, dass er doch noch eine andere Entscheidung für sich trifft - denn letztlich bedeutet dieser Schritt, mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht einmal mehr das nahende Weihnachtsfest zu erleben.

Doch der 30-Jährige will auf jeden Fall noch eine Botschaft transportieren: Viele betroffene Menschen wie er selbst könnten überleben, gäbe es in der Bevölkerung eine höhere Bereitschaft zur Organspende. Als Träger dieser Botschaft hat sich Bechler ein Nachrichtenmagazin auserkoren. Weitere Gespräche mit der Presse will er offenbar nicht mehr führen, und dies gilt auch für die SZ. Am Handy legte er mit der kurzen Bemerkung auf: "Damit hat sich alles erledigt."

Das, was bislang über Hans Bechlers Leben aus der Augsburger Allgemeinen bekannt ist, lässt indes seine Verzweiflung verstehen. In den vergangenen zehn Jahren hatte er nur überleben können, weil sein Blut nachts während des Schlafes über eine sogenannte Bauchfelldialyse gereinigt wurde.

Normalerweise hätte es in der Frist von fünf bis sechs Jahren eine Spenderniere für ihn geben können, doch dann kamen deutschlandweit die Schlagzeilen über den Transplantationsskandal auf, von dem auch bayerische Transplantationszentren betroffen waren. Die Bereitschaft in der Bevölkerung zur Organspende sank daraufhin schlagartig - eine Katastrophe für Menschen wie Bechler. Der hat inzwischen ein Martyrium hinter sich. Kurz nach seinem Geburtstag habe er einen Katheter in den Hals bekommen, der aber Tage darauf schon wieder gezogen worden sei.

Beim Versuch, zwei Dialysenadeln im Arm zu reinigen, kam es offenbar zu Komplikationen, verbunden mit unglaublichen Schmerzen für den Patienten. In dieser Situation traf Bechler - sich der langen Jahre vergeblichen Wartens erinnernd - seine folgenreiche Entscheidung. Die lässt sich in vier Worte fassen: Ich mag nicht mehr.

Ein Amtsarzt, der Bechlers Fall zu prüfen hatte, kam schließlich zum Ergebnis, dass dies alles rechtens sei. Er konnte den 30-Jährigen aber offenbar dazu bewegen, für sich ein Sterbe-Hospiz zu suchen und in einer Patientenverfügung festzuhalten, dass bei ihm lebenserhaltende Maßnahmen zu unterlassen sind, wenn er - wie zu erwarten ist - das Bewusstsein verliert und dann ins Koma fällt.

Wir müssen das Vertrauen in die Organspende zurückgewinnen

Bereits jetzt verblassen viele Spuren in diesem Fall, der Amtsarzt ist bis Mitte Dezember im Urlaub. Dennoch ist über Umwege mittlerweile auch das Gesundheitsministerium in München über Bechlers Entscheidung informiert. Gesundheitsministerin Melanie Huml erklärte: "Das schlimme Einzelschicksal beweist: Wir müssen das Vertrauen in die Organspende zurückgewinnen. Dazu starten wir in ein paar Wochen eine groß angelegte Informationskampagne." Dazu ist es auch höchste Zeit. Wie die Deutsche Stiftung Organtransplantation vor Kurzem bekannt gab, ist die Zahl der Organspenden katastrophal niedrig. Von Januar bis Oktober 2013 wurden bundesweit nur 754 Organspenden gezählt, im Jahr 2012 waren es in diesem Zeitraum immerhin noch 892.

Im Freistaat ist die Situation nicht besser: 2012 wurden als Folge des Transplantationsskandals 20 Prozent weniger Organspenden als im Vorjahr registriert. Und nach den ersten vier Monaten dieses Jahres kam das bayerische Gesundheitsministerium gar zu dem schockierenden Ergebnis: 55 Prozent Rückgang im Vergleich zu 2012. Bundesweit stehen derzeit rund 11.000 Patienten auf der Warteliste für eine Transplantation, bayernweit sind es etwa 2500. Bis vor Kurzem zählte zu ihnen noch Hans Bechler.

© SZ vom 29.11.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: