Aying:Freibier im Seniorenzentrum gestrichen

Lesezeit: 2 min

In Aying braut sich was zusammen: Den Bewohnern des Seniorenzentrums wurde von heute auf morgen das Mittagsbier gestrichen. Wie es zu der folgenschweren Entscheidung kam? Darüber gibt es zwei sehr unterschiedliche Versionen.

Von Michael Morosow, Aying

Beim Bier hört sich für den Bayern der Spaß auf. Einen recht einprägsamen Beleg für diese Behauptung gibt der "Dorfener Bierkrieg" anno 1910, der allein deshalb ausgebrochen war, weil die Maß um zwei Pfennig teurer werden sollte. Die Volksseele kochte, Wirtschaften und Häuser gingen in Flammen auf. Auch Alois Hingerl selig, zu Lebzeiten Dienstmann Nr. 172 am Münchner Hauptbahnhof, geriet in Rage, nachdem er die niederschmetternde Nachricht erhalten hatte, dass im Himmel kein Bier, sondern nur Manna ausgeschenkt werde. In seiner Wut mischte er einen Engel auf.

Seit einigen Wochen braut sich in Aying was zusammen, und es ist schwer abzusehen, ob und wann die Angelegenheit in einen Aufstand mündet. Der Konfliktherd liegt im Parterre des Awo-Seniorenzentrums. Die Vorwürfe der Bewohner wiegen schwer: Einrichtungsleiter Oliver Wahl hat den älteren Herrschaften von heute auf morgen ihr mittägliches Freibier gestrichen, wobei es zwei Versionen über den Anlass dieser folgenschweren Entscheidung gibt. Angela Frank, die Vorsitzende der Bewohnervertretung, behauptet, der Bierentzug sei aus Gründen der Sparsamkeit erfolgt, und wundert sich ein wenig über den Geiz des Hauses, zumal als Freibier keine Halbe hingestellt worden sei, sondern stets nur ein "Zahnputzglas voll".

Geradezu Hingerlsche Erregung erfüllte sie nach einer Feststellung des Einrichtungsleiters, dass seit dem Entzug des Freibierchens die Abhängigkeit der alten Menschen vom Bierkonsum deutlich zurückgegangen sei. "Der Heimbeirat weist die Unterstellung, die Bewohner, die sich ein Glas Bier mittags wünschen, seien abhängig vom Bierkonsum, als grob diffamierend zurück", ließ sie Oliver Wahl in einer E-Mail wissen.

Dessen Darstellung liest sich ein wenig anders: Nachdem einer der Bewohner sich regelmäßig und heimlich aus einem bereitgestellten Kasten Ayinger Biers bedient habe und nachdem alle Biertrinkerinnen und Biertrinker nach dem kleinen Mittagstrunk "wahnsinnig schläfrig" geworden seien, habe man halt die Tradition mit dem Gläschen Freibier beendet. Welche Dimensionen das tägliche Gelage im Seniorenheim, das 64 Bewohner (48 Biertrinker) zählt, angenommen hat, teilt er auch mit. In einer 16-köpfigen Gruppe seien pro Tag schon auch mal zehn Flaschen zusammengekommen.

Nun werden sich vielleicht einige der älteren Semester an den Spruch des ehemaligen Ministerpräsidenten Günther Beckstein erinnert haben, wonach man nach zwei Maß Bier durchaus noch mit dem Auto heimfahren könne. Und auch wenn man nicht mehr der Jüngste ist - kann es wirklich sein, dass man nach dem Genuss eines kleinen Gläschen Bieres wegdämmert und vielleicht sogar aus den Hauspantoffeln kippt? Nein, sagt Helmut Erdmann. Der ist freilich befangen als Direktor der Ayinger Brauerei, die seit Jahren die Suchtmittel flaschenweise ins Seniorenzentrum liefert.

Erdmann weist aber auf einen Umstand hin, der einem die Dramatik der Fehde klar und nüchtern vor Augen führt: Brauerei und Seniorenzentrum liegen dicht nebeneinander. Das heißt: Jeder Senior und jede Seniorin, die zum Schweinsbraten ein Glas Pfefferminztee oder Wasser hinunterwürgen, riechen Hopfen und Malz und hören Bierwagen ein- und ausfahren. "Unmenschlich", fällt Erdmann dazu ein, und der Brauereidirektor will sich deshalb nicht lumpen lassen. "Wenn der ein oder andere Durst hat, kann ich schon mal einen Träger rüberfahren", verspricht er. Einen Träger? Der reicht doch gerade mal eine Woche, wenn man nicht kleinere Zahnputzgläser in der bierseligen Runde verteilt.

© SZ vom 10.07.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: