Ausstellung:Das Antlitz der Zeitenwende

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Das Bauernhofmuseum in Massing stellt Fotografien von Menschen aus Niederbayern und Böhmen aus. Sie dokumentieren die letzten Reste einer archaischen Welt, die binnen weniger Jahrzehnte fast vollständig verschwand

Von Hans Kratzer, Massing

Der Regisseur Pier Paolo Pasolini hat 1974 in einem bemerkenswerten Essay beteuert, er trauere der grenzenlosen, frühindustriellen Welt durchaus nach. Tatsächlich steht er mit dieser Haltung nicht allein. Noch heute teilen zahlreiche Menschen seine Wehmut, weil sie der rasende Fortschritt ängstlich und unsicher macht. Vor wenigen Jahrzehnten, als die Globalisierung noch stark heruntergedimmt war, wurde das Leben auf dem Land vor allem vom Rhythmus der bäuerlichen Welt getaktet. Der Alltag war geprägt von körperlicher Arbeit, die Mobilität war eingeschränkt, und in ihrer Freizeit orientierte sich die Bevölkerung an den Pflichten, die das Kirchenjahr vorgab. Es war eine sehr überschaubare und karge Heimat, von der man sich im Freilichtmuseum in Massing (Landkreis Rottal-Inn) ein einprägsames Bild machen kann. Beim Gang durch die alten finsteren Bauernhäuser ist man als Besucher sehr schnell sehr froh, dass die Gesellschaft die engen Fesseln jener Zeit abgestreift hat. Und doch flackert hie und da immer noch eine Sehnsucht nach dieser Ära auf, obwohl sie einen maximalen Gegensatz zur Moderne markiert.

Zu den Fotografen, die diesen ländlichen Kosmos meisterhaft eingefangen haben, zählen der 2009 verstorbene Bruno Mooser aus Straubing und der 2013 gestorbene Igor Grossmann aus Bratislava. Beide erkannten früh, dass da vor ihren Augen eine Welt verging, die eine Ewigkeit lang Bestand hatte. Und so hielten sie mit ihren Kameras arbeitende Hände fest, Gesichter, Häuser, Arbeitsabläufe und die noch kleinteilig gesprenkelte Landschaft. Vor allem Mooser lässt den Betrachter in die Augen von unbeschwerten Kindern, von ausgezehrten Alten oder von Vergessenen blicken. Seine Bilder dokumentierten einen Wandel des sozialen Gefüges, des Brauchtums, des Alltags, wie es ihn in dieser Radikalität noch nie gegeben hat.

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Siegward Schmitz dokumentierte 1994 einen Köhler.

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Alte Tracht (Erika Groth-Schmachtenberger, 1961).

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Bruno Mooser fotografierte 1960 einen Knecht.

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Der Andresenmühlner (Josef Lang, 1994).

In einer Sonderausstellung im Museum in Massing sind nun einige dieser Aufnahmen zu sehen, Bilder, die so prägend wirken, dass sie in die Fotografiegeschichte eingegangen sind. Besonders eindrücklich sind die Porträts, Momentaufnahmen aus einer Welt, die älteren Menschen noch geläufig ist und dennoch so wirkt, als liege sie Jahrhunderte zurück. Die Fotos, die zwischen 1900 und heute entstanden sind, stammen aus dem Bildarchiv des Museums. Neben Mooser und Grossmann sind noch ein gutes Dutzend anderer Fotografen vertreten, darunter aktuelle Kulturschaffende wie Dionys Asenkerschbaumer, Klaus Ditté, Franz Hintermann und Reinhard Winkler. Ihre Porträts verraten viel über den Menschenschlag in Ostbayern und in Böhmen und obendrein über die Zeit und die Umstände, in denen er lebt oder gelebt hat. Manche Fotografen dokumentierten Menschen in den Nachkriegsjahren, die ihren Lebensunterhalt im bäuerlichen Umfeld oder mit alten Handwerken verdienten. Andere hielten mit ihren Porträts sowohl Traditionen als auch alte Berufe fest. Der 1954 in Passau geborene Josef Lang zum Beispiel, der nicht nur Menschen aus der Region fotografiert hat, sondern mit besonderem Blick auch die Zeugen alter Zünfte oder die letzten Statthalter historischer Häuser. Der 1951 im Oberbergischen Land geborene Siegward Schmitz hat zum Beispiel in Polen und in Ungarn noch in den Neunzigerjahren Köhler bei ihrer schwärzenden und gesundheitsgefährdenden Arbeit angetroffen. Wieder andere haben bildende Künstler, Musiker und Schriftsteller porträtiert, die sich in der ostbayerischen und böhmischen Waldgegend einen Namen gemacht haben, etwa Gabi Hanner (Freyung), Anton Kirchmair (Haidmühle) und Horst Stauber (Passau). Sie warteten dafür auf Momente charakteristischer Haltung und Gestik, suchten aussagekräftige Requisiten aus oder stellten den Künstler in die Umgebung seiner Arbeit. Oder sie ließen ein eigenes Werk bei der Bildinszenierung mitspielen, wie in einem Porträt des Passauer Multi-Künstlers Rudolf Klaffenböck.

Die Freilichtmuseen Massing und Finsterau haben in den vergangenen Jahrzehnten ein umfangreiches Fotoarchiv aufgebaut, in dem neben der Häuserlandschaft auch viele Menschen aus der Region dokumentiert sind. Nicht selten stecken spannende Geschichten dahinter, wie Museumsleiter Martin Ortmeier des Öfteren erlebt hat. Beim Abbau einer verfallenen Holzkapelle bei Büchlberg habe er an einem Balken die Inschrift eines Zimmerers entdeckt, erzählt er. Die Inschrift war eine Würdigung einer Dorfschönheit. Ortmeier begann nach der Frau zu suchen, und tatsächlich lebte sie noch, krank und hochbetagt. Ihre Enkelin ließ einen Abzug von einem Glasnegativ anfertigen, darauf ist die Oma als besagte strahlende Dorfschönheit abgelichtet. Den Zimmerer konnte Ortmeier nicht mehr ausfindig machen. Dank der Bildersammlung des Museums wird die Erinnerung an besondere Menschen aus der Region so schnell nicht verblassen.

Dionys Asenkerschbaumer porträtierte 2009 den Künstler Otto Müller. (Foto: N/A)

Sammle in der Zeit, Porträtfotografien von 1900 bis heute. Freilichtmuseum Massing, bis 31. Oktober, tgl. außer Montag 9-17 Uhr. Tel. 08724 9603 0.

© SZ vom 15.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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