Auf der Spur von Stalkern:Gefährlicher Liebeswahn

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Eine 17-Jährige wird per Anzeige für tot erklärt, obwohl sie lebt. Ein Geschäftsmann verteilt Zettel mit der Handynummer seines Opfers und dem Wort "Nutte". Eine junge Mutter wird von einer Internetbekanntschaft verfolgt - und am Ende getötet. Wie Stalker ihren Opfern das Leben zur Hölle machen.

Beate Wild

Eine Todesanzeige ist der vorläufige Höhepunkt des Stalkings, dem die 17-jährige Steffi aus Ismaning seit mehreren Wochen ausgeliefert ist. Eine Todesanzeige, obwohl Steffi gar nicht tot ist. Am vergangenen Donnerstag inserierte ein bislang Unbekannter in der Süddeutschen Zeitung die Zeilen: "Unsere liebe Steffi wurde heute viel zu früh aus ihrem jungen und erfüllten Leben gerissen." Eine schlimme Lüge.

Das englische Wort stalking ist der Jägersprache entnommen und bedeutet das Heranpirschen an die zu erlegende Beute. Und so fühlen sich Opfer eines Stalkers häufig auch. Nie wissen sie, wann der nächste Angriff kommt und was sich der Verfolger ausgedacht hat. (Foto: ddp)

Wie es scheint, wird die junge Frau seit zwei bis drei Monaten von dem Stalker verfolgt. Er bombardiert sie mit Anrufen, Mails und SMS. Die Polizei ist informiert und ermittelt "in alle Richtungen", bislang erfolglos. Da der anonyme Verfolger sehr viel über Steffi und ihr Leben weiß, ist davon auszugehen, dass er aus dem Umfeld des Mädchens stammt. So hat sich der mutmaßliche Täter beim Aufgeben der Todesanzeige als Vater von Steffi ausgegeben. Er hat sich mit einer Mail-Adresse gemeldet, die den Namen des Vaters trug, kannte die korrekte Adresse, die Telefonnummer und selbst eine Bankverbindung.

"Die meisten Stalker stammen aus dem Familien- oder Freundeskreis", sagt Ingrid Beck von der Beratungsstelle Gemeinsam gegen Stalking. Ein Täter aus dem engsten Umfeld war es auch bei Christine Doering. Die junge Mutter aus Garmisch wurde von ihrem Ex-Freund, der auch der Vater ihres Kindes ist, zweieinhalb Jahre verfolgt. Die 32-Jährige hatte sich während der Schwangerschaft vor drei Jahren von dem Mann getrennt, weil er sich aggressiv verhielt. Doch nach der Trennung wurde es erst richtig schlimm. Der 41-Jährige schrieb ihr täglich unzählige SMS, rief sie ständig an. Nachdem Doering ihre Telefonnummern gewechselt hatte, lauerte er ihr vor dem Haus auf, hämmerte nachts an ihre Wohnungstür und drohte, sie und ihr Kind umzubringen.

Doering zeigte den Mann an, insgesamt zwölf Mal. Sie erwirkte drei einstweilige Anordnungen, gegen die er 20 Mal verstieß. "Ich hatte Angst um mein Leben", sagt die 32-Jährige. Doch sie gab den Kampf gegen ihren Peiniger nicht auf. Und so kam es Ende Juli zu einer Verurteilung. Das Gericht in Garmisch-Partenkirchen verhängte gegen den Mann eine achtmonatigen Haftstrafe auf Bewährung. Für den Straftatbestand der Nachstellung ist das eine der höchsten Strafen, die an einem deutschen Gericht je verhängt wurde.

Auch im Fall von einem 62-jährigen Starnberger war der Mann mit der verfolgten Frau einmal liiert. Nach der Trennung nach einer zweijährigen Beziehung belästigte, beleidigte und bedrohte der Mann sein Opfer ungefähr ein Jahr lang. In dem Krankenhaus, in dem die 54-Jährige arbeitet, rief er 30 Mal am Tag an und legte damit fast den Betrieb der Abteilung lahm. Auch zu Hause war die Frau nicht vor dem nach außen seriös wirkenden Kaufmann sicher.

Einmal klemmte er an diverse parkende Autos einen Zettel an die Windschutzscheibe. Darauf stand die Telefonnummer des Opfers und das Wort "Nutte". Der Fall ist mittlerweile in München vor Gericht gelandet. Nun soll ein psychiatrisches Gutachten klären, ob der Mann eine multiple Persönlichkeit hat oder ob er unter einer anderen psychischen Erkrankung leidet.

Schätzungen zufolge gibt es in Deutschland 600.000 Stalking-Opfer. Genaue Zahlen fehlen, weil die Dunkelziffer hoch ist. Viele zeigen ihre Peiniger aus Scham und Angst nicht an. Die polizeiliche Kriminalstatistik für Bayern weist für das vergangene Jahr 1760 Stalking-Fälle aus, 2010 waren es 1899. Verurteilt wurden 2010 aber nur 55 Personen, davon 44 Männer. Der Grund für die geringen Fallzahlen ist laut Justizministerium, dass Stalking häufig in Zusammenhang mit häuslicher Gewalt auftrete und diese Kombinationsfälle in der Statistik nicht auftauchten.

Viele Betroffenen wissen nicht, wie sie mit den Nachstellungen umgehen sollen. Die einzig richtige Reaktion sei, nie auf die Angriffe zu reagieren und niemals auf Nachrichten des Verfolgers zu antworten, rät Stalking-Expertin Beck. "Sonst fühlt dieser sich nur aufgefordert weiterzumachen", so Beck, die einst selbst Stalkingopfer war und nun anderen hilft. Stalker hätten kriminelle Energien.

Sie empfiehlt Betroffenen, so schnell wie möglich bei der Polizei Anzeige zu erstatten und Hilfe bei einer Opfervereinigung zu suchen (zum Beispiel unter www.gemeinsam-gegen-stalking.de , www.deutsche-stalkingopferhilfe.de oder www.weisser-ring.de). Wichtig sei auch, keine Nachrichten des Stalkers wie SMS oder Mails zu löschen. "Das sind wichtige Beweismittel, die man braucht, um gegen den Verfolger vorzugehen", sagt Beck.

Ein weiterer Schritt sei dann, durch eine einstweilige Anordnung beim Amtsgericht ein Näherungsverbot zu erwirken. Es dauert allerdings oft Jahre, bis ein Stalker von seinem Opfer ablässt. Häufig sind Wiederholungstäter am Werk, die vorher schon andere Menschen verfolgt haben. "Gegen meinen Stalker wurden insgesamt 64 einstweilige Verfügungen erlassen, gegen alle hat er verstoßen", berichtet Beck. Immer wieder schrieb er ihr SMS mit Texten wie: "Ich bin gleich bei dir. Wehe, wenn ich dich mit einem anderen erwische." Irgendwann ließ er von ihr ab. Er hatte ein anderes Opfer auserkoren.

In einem anderen Stalking-Fall, der Ende Juli in München vor Gericht landete, verliebte sich ein Alkoholkranker auf seiner Entziehungskur in seine Therapeutin. Als die Gefühle von der Ärztin nicht erwidert wurden, begann der 45-Jährige mit Nachstellungen. Er lauerte ihr vor der Klinik auf, versuchte ständig sie telefonisch zu erreichen und schickte ihr Mails sowie Briefe mit obszönen Bildern. Der Mann wurde zu einer Geldstrafe von 1500 Euro verurteilt.

Und dann gibt es sogar Stalking-Fälle, die tödlich enden. Vor vier Wochen wurde ein 23-Jähriger Oberpfälzer wegen Mordes an einer Online-Bekanntschaft zu 13 Jahren Haft verurteilt. Die 21-Jährige hatte die Avancen des Mannes zurückgewiesen. Daraufhin zog er in ihre Nähe und verfolgte sie auf Schritt und Tritt. Die Polizei nahm die Angst der jungen Frau offenbar nicht ernst genug und ermahnte den Stalker lediglich, sich nicht mehr der Wohnung der Frau zu nähern. Vergeblich. Einen Tag später erstach er sein Opfer mit einem 31 Zentimeter langen Küchenmesser an dessen Haustür.

© SZ vom 23.08.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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