Asylbewerber:Flucht auf gefährlichen Wegen

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Eine syrische Flüchtlingsfamilie auf ihrem Weg nach Deutschland. (Foto: dpa)

Manche werden von Schleusern in Kofferräume gepfercht oder bei eisiger Kälte auf offenen Lastwagen über die Grenze transportiert: Sind Asylbewerber in Deutschland angekommen, beginnt eine neue Odyssee. Durch die Behörden.

Von Florian Fuchs und Stefan Mühleisen

Plötzlich blitzen Suchscheinwerfer auf. Es ist spät in der Nacht, eine junge Mutter aus dem Kongo steht mit ihren zwei kleinen Kindern und gut einem Dutzend anderer Flüchtlinge in einem Fluss an der grünen Grenze zu Griechenland. Die Strömung ist stark, der Sohn ist zu schwach, er wird mitgerissen. Dann nehmen Grenzposten die Mutter fest.

Jürgen Soyer kennt viele solcher haarsträubender Geschichten. Auch die von der Frau, die mit ihrer Familie in einem überfüllten Boot saß, das vor der griechischen Insel Lesbos bedrohlich im Meer schaukelte. Plötzlich schubsten die Anführer der Schleuser Menschen über Bord, damit das Boot nicht kentert. "Die Frau hat mir gesagt, sie werde nie mehr im Leben damit fertig."

Soyer ist Geschäftsführer von Refugio München, einem Beratungs- und Behandlungszentrum für Flüchtlinge und Folteropfer. In diese Einrichtung kommen jene Menschen, die wegen ihrer Erlebnisse unter seelischen Qualen leiden. "Die Erfahrungen während der Flucht belasten die Menschen inzwischen mehr als der Grund, weshalb sie ihre Heimat verließen", sagt Soyer. Seine Einrichtung hat immer mehr zu tun, denn die Zahl der Flüchtlinge, die sich nach München durchschlagen, steigt. Mit Abstand die meisten Flüchtlinge, die von Schleppern unter teils unwürdigen Umständen nach Deutschland gebracht werden, greift die Bundespolizei in Bayern auf - vor allem an der deutsch-österreichischen Grenze, aber auch am Flughafen München.

In den Heimatländern der Asylsuchenden wie etwa im Nordirak, erzählt Tobias Klaus vom Bayerischen Flüchtlingsrat, gebe es regelrechte "Flüchtlingsbüros", die Emigrationswilligen die Flucht ermöglichen. "Oft bleibt die Familie vor Ort und zahle die Raten für die einzelnen Etappen der Flucht", sagt er. Thomas Borowik von der Bundespolizeidirektion München kennt Fälle von Flüchtlingen, die Schleusern bis zu 20.000 Euro gezahlt haben. "Schleusungen sind inzwischen lukrativer als Drogenhandel", sagt er.

Die meisten Flüchtlinge, die mit Autos oder dem Zug nach Bayern und München kommen, benutzen die Balkan-Route oder die Brenner-Route über Italien und Österreich. Die Bundespolizei in Rosenheim, berichtet Sprecher Rainer Scharf, hat mit 400 Mitarbeitern 650 Kilometer Grenze zu bewachen. Die Zahl der aufgegriffenen Flüchtlinge in diesem Landstrich steigt kontinuierlich: 2011 waren es noch 1500, heuer bis einschließlich Oktober schon 3200. Hauptherkunftsländer der Flüchtlinge, die von der Bundespolizei in Bayern aufgegriffen werden, sind Syrien, Türkei, Afghanistan, Kosovo und Russland.

Am Flughafen München nutzen inzwischen vor allem Ägypter die Möglichkeit, bei einer Zwischenlandung Asyl zu beantragen. Zählte die Bundespolizei noch im Mai 15 sogenannte Transitabspringer, waren es im August 390 und im Oktober mehr als 400. Die Ägypter setzen sich in einen Flieger nach Tiflis, denn für Georgien brauchen sie kein Visum. Dort kaufen sie sich dann ein Ticket für den Rückflug nach Kairo mit Stopp in München, wofür ebenfalls kein Visum nötig ist - nur dass sie im Erdinger Moos eben nicht umsteigen, sondern aussteigen. Im Transitbereich wenden sie sich an Beamte der Bundespolizei und beantragen Asyl. Neben Transitabspringern gibt es eine große Zahl an Flüchtlingen, die versuchen, mit gefälschten Pässen ins Land zu kommen.

Immerhin ist die Ankunft am Airport nicht lebensgefährlich. Anders als in vielen Fällen die Einreise auf dem Landweg. Die Bundespolizisten der Dienststelle Rosenheim können von vielen menschenverachtenden Situationen berichten. Die Beamten haben Fahrzeuge gestoppt, in denen Flüchtlinge in umgebauten Handschuhfächern versteckt wurden. "Andere Schleuser stapeln die Leute regelrecht im Kofferraum oder transportieren sie in der größten Kälte oder Hitze auf offenen Lastwagen. Das ist unverantwortlich", schimpft Borowik.

Ein Hauptaugenmerk der Bundespolizisten liegt deshalb darauf, die Hintermänner der Schleuserbanden zu ermitteln. Die Behörde arbeitet dabei mit Kollegen aus anderen Ländern zusammen, leicht ist die Fahndung nicht. Der Fahrer, der Flüchtlinge in einem Wagen über die Grenze transportiert, ist meist nur ein Handlanger. Auch die Flüchtlinge selbst geben oft keine Hinweise auf die Schleuser, sei es aus Dank, weil sie unter Druck gesetzt werden - oder weil sie ihr Asylverfahren nicht gefährden wollen, indem sie Details über ihre Flucht verraten.

Refugio-Geschäftsführer Soyer will die Schlepperbanden - trotz der Horrorgeschichten, die ihm Flüchtlinge manchmal erzählen - nicht pauschal verurteilen. "Es ist ein mafiöses Gewerbe, aber ein nötiges", sagt er. Denn ohne Schlepper hätten Flüchtlinge seiner Ansicht nach überhaupt keine Chance auf Asyl. Bundespolizist Borowik dagegen klagt über "kalt kalkulierende Geschäftsmänner, die nur aus der Not anderer Kapital schlagen". 350 Schleuser und Gehilfen hat die Bundespolizei in Rosenheim 2012 festgenommen. "Es ist schwierig, an sie ranzukommen, aber wir kriegen sie schon", sagt Borowik.

Die Bundespolizei stößt inzwischen an ihre Grenzen, eigentlich bräuchten die Beamten deutlich mehr Personal, um illegale Einreisen zu verhindern und Schleuser zu stoppen. Vor allem, weil sie nicht nur gegen Schleuser, sondern inzwischen auch gegen das in sich zusammenfallende Dublin-Abkommen und damit gegen andere Länder arbeiten müssen. Die EU-Verordnung von Dublin sieht eigentlich vor, dass ein Flüchtling dort Asyl beantragen muss, wo er zuerst EU-Boden betreten hat. Länder ohne EU-Außengrenze wie Deutschland leisten dafür Hilfe an diese Staaten. Nun können aber Länder wie Italien oder Griechenland den Ansturm an Flüchtlingen nicht mehr selbst bewältigen, weshalb sie Flüchtlinge auch gerne mal durchwinken.

Mittlerweile wissen deutsche Behörden, dass Italien manchen Flüchtling mit einem Touristenvisum und 500 Euro ausstattet und ihn weiter über den Brenner schickt - anstatt sie zu erfassen. Die Griechen lassen Flüchtlinge ebenfalls durchreisen, deutsche Gerichte haben aber verboten, dass sie von der Bundesrepublik aus - wie es die Dublin-Verordnung eigentlich vorsehen würde - wieder zurück nach Griechenland geschickt werden. Zu menschenverachtend sei dort der Umgang mit den Asylsuchenden.

Flüchtlingshilfsorganisationen weisen immer wieder darauf hin, dass Deutschland im Vergleich mit anderen Ländern wenige Flüchtlinge aufnehme. Jürgen Soyer erinnert daran, dass 80 Prozent der weltweit 45 Millionen Flüchtlinge die ärmsten Länder wie etwa Mauretanien beherbergen. "Die kämen nie auf die Idee, Asylsuchende abzuschieben", sagt der Refugio-Geschäftsführer.

© SZ vom 05.12.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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