Hochwasser in Bayern:Eine Familie vor den Trümmern ihrer Existenz

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Erst vor einem Jahr ist Familie Diez aus Freilassing in ihr Eigenheim eingezogen, nun hat das Hochwasser der Saalach sämtliches Hab und Gut zerstört - nur noch die Mauern des Hauses stehen. Die Familie erzählt, wie es in dieser fast aussichtslosen Lage weitergehen soll.

Von Hans Kratzer

Gut eine Woche nach Ausbruch des Hochwassers wird das Ausmaß der Katastrophe in Bayern mehr und mehr sichtbar. Die Schäden werden voraussichtlich bei mehr als eineinhalb Milliarden Euro liegen. Diese Größenordnung nannte der stellvertretende Regierungschef, Wirtschaftsminister Martin Zeil (FDP), am Montag der Süddeutschen Zeitung. Zeil ist das erste Kabinettsmitglied, das eine konkrete Schätzung abgab. Familie Diez aus Freilassing wird den 2. Juni 2013 wohl nie mehr vergessen. An jenem Sonntag flutete das Hochwasser der Saalach ihr Haus, sämtliches Hab und Gut ging dabei verloren. Erst vor einem Jahr war die aus Kasachstan stammende Großfamilie in ihr mit bescheidenen Mitteln, aber mit viel Fleiß errichtetes Eigenheim eingezogen. Nun stehen nur noch die Mauern des Hauses. Wie es in dieser fast aussichtslosen Lage weitergehen soll, schildert Jurij Diez, einer der Söhne der Familie.

SZ: Herr Diez, dürfen wir Sie kurz bei der Arbeit unterbrechen. Wie schaut es zurzeit im Haus Ihrer Eltern aus?

Jurij Diez: Hier bietet sich ein trauriges Bild. Das Erdgeschoss ist komplett zerstört. Möbel, Türen, Fenster, Schränke, alles mussten wir wegwerfen. Die Bundeswehr und freiwillige Helfer haben uns beim Ausräumen sehr unterstützt. Die Böden und die Holztreppe zum 1. Stock müssen später noch entsorgt werden. Dreck und Schlamm sind zwar nicht mehr im Haus, aber draußen bedeckt diese bis zu 30 Zentimeter starke Schicht immer noch Gärten, Wege und Felder.

Vermutlich riecht dieser Schlamm auch nicht besonders gut.

Das stimmt, es riecht hier ganz schlecht. Die vom Wasser zurückgelassene Schlammschicht ist ein übles Gemisch aus Dreck und Heizöl. Das Heizöl ist in jenen Häusern, wo der Tank im Keller stand, ausgelaufen und hat sich mit dem Wasser großflächig verteilt.

Kann das Haus unter diesen Umständen überhaupt gerettet werden?

Hochwasseropfer Jurij Diez (Foto: oh)

Wir müssen es retten. Doch vorher müssen erst die Wände getrocknet werden, danach wird innen und außen der Putz entfernt. Dazu brauchen wir aber erst einmal Trocknungsgeräte. Leider sind die Geräte der Firmen alle ausgebucht, wir müssen warten. Am besten wäre, wir könnten selber eines auftreiben. Die Trocknung wird mindestens drei Wochen dauern.

Und was geschieht mit den Böden?

Nicht nur die Böden müssen raus, auch der Estrich. Selbst das Betonfundament des Hauses muss getrocknet werden. Erst danach kann ein neuer Boden gelegt werden. Und dann müssen noch die vielen Risse am Haus ausgebessert werden. Wenn das alles fertig ist, dann können wir wieder Türrahmen und Fensterstöcke setzen. Zurzeit wirkt das Haus wie ein Rohbau.

Gibt es überhaupt eine Perspektive, dass dort wieder jemand einziehen kann?

Ich weiß es nicht. Aber meine Eltern leben schon wieder provisorisch im ersten Stock des Hauses, sie können nicht anders. Sie durften auf eigene Verantwortung zurückkehren. Das Wohnen in diesem Haus ist jedoch gefährlich, man muss sich vorsichtig bewegen. Der Rest der Familie ist in der Wohnung meines Bruder untergeschlüpft und in meiner Wohnung, die auch beschädigt war, aber nun wieder funktioniert.

Welche Hilfe haben Sie bisher erfahren?

Als wir gehört haben, dass der Staat eine Soforthilfe in Höhe von 1500 Euro gewähren will, haben wir im Rathaus gleich einen Antrag gestellt. Aber so unbürokratisch, wie es zunächst hieß, läuft das doch nicht. Das dauert halt, momentan warten wir noch auf das versprochene Geld.

Sie konnten so gut wie nichts aus dem Haus retten. Womit bestreitet Ihre Familie seit der Flutkatastrophe den Alltag?

Zum Glück haben wir gute Freunde und Arbeitskollegen, die uns mit Essen, mit Kleidung und sogar mit einer alten Waschmaschine versorgt haben. Manche haben uns auch mit Geld unterstützt. Es ist nicht wahnsinnig viel, aber es hilft uns in der jetzigen Not doch sehr. Diese Unterstützung gibt uns Hoffnung, wir fühlen uns nicht mehr allein.

Und wie hat die Versicherung reagiert?

Wir hatten eine ganz normale Hausratsversicherung, aber leider keine Elementarschadensversicherung abgeschlossen. Die hätten wir aber jetzt gebraucht. Wer hätte vorher an so etwas gedacht? In unserer Siedlung in Freilassing gab es noch nie ein Hochwasser. Die Versicherung sagt: Es tut uns leid, dieser Schaden steht nicht im Vertrag, da können wir leider nichts machen. Wir werden den Schaden aus eigener Tasche begleichen müssen.

Haben Ihre Eltern den ersten Schock schon überwunden?

Am Anfang waren sie total verzweifelt. Aber durch die Hilfe, die wir erfahren, schöpften sie wieder Hoffnung. Wir müssen halt schauen, wie wir jetzt weiterkommen. Wir arbeiten fleißig, und mit der Zeit werden wir die Sorgen vielleicht in den Griff kriegen - irgendwie.

© SZ vom 11.06.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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