Unterwegs im Bentley Flying Spur:Flug zum Mond

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Kinderkutsche für knapp 200.000 Euro: der Bentley Flying Spur. (Foto: STG)

Zurückhaltend, erhaben, unauffällig: Dieser Bentley ist britischer als so mancher Brite. Eine Ausfahrt in der Nobellimousine ist ein außergewöhnliches Ereignis - vor allem mit Kindern auf dem Rücksitz. Sogar auf die überträgt sich die Souveränität des Straßenkreuzers. Zum perfekten Glück fehlt nur noch ein Song von Frank Sinatra.

Von Jochen Arntz

"Sie Armer", sagte die Nachbarin. Zwei leise dahingesprochene Worte nur. Damit hatte ich nicht gerechnet, als ich mit dem gut 200.000 Euro teuren Bentley Flying Spur in die kleine Sackgasse glitt.

Aber die Nachbarin hatte ja recht; und sie war einfach nur ein bisschen konsterniert, als der gewaltige Wagen mit dem englischen Nummernschild an ihr vorbeischwebte. Sie wusste: Dieses Auto würde keinen Parkplatz hinten im Wendehammer finden, und wir würden ein paar Minuten brauchen, bis wir es wieder herausrangiert hätten aus der kleinen Straße. Bis die Welt wieder in Ordnung war.

Meine Kinder hinten im Fond störte das überhaupt nicht, weil sie gerade die Massagefunktion der Rücksitze entdeckt hatten, Sitze, die selbst Businessclass-Sessel wie Biergarten-Stühle erscheinen lassen. Und mich störte es auch nicht, den Koloss in meiner Straße in etwa achtzehn Zügen zu wenden, weil der Zwölfzylinder sich so leise wie ein Hybrid benimmt. So britisch zurückhaltend, wie heute leider nicht mehr alle Briten sind.

Wer einmal den neuen Jaguar F-Type gefahren ist, der schon beim Anlassen ein vulgäres Cockney-Röhren von sich gibt, der weiß zu schätzen, dass der Bentley sich vor den Nachbarn benehmen kann. Und dass er trotz seiner monströsen Größe auch äußerlich nicht so sonderlich unangenehm auffällt.

Das Wadentattoo der Queen

Wer seine neureiche Seite sehen will, der muss ihn von innen betrachten. Das aufdringlich in Leder geprägte Bentley-Emblem auf den Kopfstützen der Vordersitze - es wirkt so unvorstellbar verfehlt wie ein Tattoo auf den Waden der Queen. Dieses große "B" mit den geschwungenen Flügeln hätte sich wahrscheinlich auch Dieter Bohlen als Sonderanfertigung bestellt. Doch leider bekommt es jeder, der den Flying Spur will und einen Kontostand hat, der ihm das erlaubt.

Aber was für ein Name allein das ist: "Fliegender Sporn", und wie genau er das Fahrgefühl dieses sehr modernen Autos aus einer anderen Zeit trifft. Der Bentley Flying Spur hat die Leistungskurve einer Boden-Boden-Rakete, der Motor gelangt rein nach PS-Zahl in die Reichweite von Formel-1-Triebwerken. Aber die ganze Limousine hat den freundlichen Charakter eines Landadeligen, der nur in ganz seltenen Momenten aufscheinen lässt, dass ihm alle anderen herzlich egal sind. Dann gibt er Gas, säuft, und wird doch am Ende noch ziemlich laut.

Bentley Flying Spur
:Für Geld tut er alles

Luxus und Leistung im Überfluss: Der Bentley "Flying Spur" ist eine Kampfansage an den Rolls-Royce "Ghost". Die neue Limousine von Bentley bendient sich der üblichen Insignien des Hochpreissegments. Für entsprechenden Aufschlag ist praktisch alles zu haben.

Natürlich braucht er keine Bewunderung. Das gilt auch für den großen Bentley, selbst vor dem Aldi ist er noch zu unauffällig, als dass ihn die Stadtguerilla mit Freude in die Luft sprengen wollte. Nur die Makler mit den furchtbaren BMW X6, die auch bei Aldi einkaufen, schauen betont gelangweilt neidisch.

In Bayern muss man sich ohnehin nicht so richtig Sorgen um die Sozialverträglichkeit des großen Briten machen. Bei einer kleinen Ausfahrt nach Rottach-Egern am Tegernsee (die Kinder fragten nicht alle fünf Kilometer: Wann sind wir da?, sondern immer wieder: Fährt Kate auch so ein Auto, Papa?) wird schnell klar, dass so ein Wagen hier zu Hause ist.

Freundlich wird auf dem Parkplatz am Freibad ein bisschen näher aneinandergerückt, damit der Bentley auch noch ein Plätzchen im Schatten bekommt. Und auch Stunden später steht er gelassen und noch ohne einen einzigen Neidkratzer da. Ein paar Touristen aus Nordrhein-Westfalen kauern daneben, fotografieren mit dem Handy und würden den schimmernden Bentley am liebsten polieren, wenn sie Tücher dabei hätten. Die Kinder genießen derweil den großen Auftritt und sagen beim Einsteigen so laut und beiläufig wie möglich: "Die Queen hat zwei davon." Wer auch immer ihnen das erzählt hat. Die traurige Wahrheit ist nur, dass die meisten Bentley (und so viele sind es ja ohnehin nicht) kaum noch auf den Kieswegen englischer Landsitze eingefahren werden, sondern in chinesischen Tiefgaragen stehen. Vorbei die Romantik, das ist die Zeit, das ist der Markt.

Zurückhaltend und dennoch eine Attraktion in der Öffentlichkeit: Bentley Flying Spur. (Foto: STG)

Und was ist der Traum? Der wäre, es mit diesem Wagen den britischen Eroberern Nordamerikas gleichzutun, und sich auf den langen Weg von der Ostküste nach Kalifornien zu machen. Um erst kurz vor San Francisco, den Platz vorne links, den Fahrersitz, mit einem Chauffeur zu tauschen. Dann hinten rechts Platz zu nehmen, den vorbereiteten "California Sour" aus der Kühlung zu nehmen, und den Chauffeur zu bitten, auf die Golden Gate Bridge Richtung Sausalito einzubiegen. Genau in dem Moment, in dem er Frank Sinatra eingelegt hat: "Fly me to the Moon."

Bentley Flying Spur, 6,0-Liter, W12: 625 PS; max. Drehmoment: 800 Nm bei 2000/min; Leergewicht: 2475 kg; Kofferraum: 442 l; 0-100 km/h: 4,6 s; Vmax: 320 km/h; Verbrauch lt. Werk: 14,7 l; CO2: 343 g/km; Euro 5; Grundpreis: 161.000 Euro.

© SZ vom 05.10.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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