Ständig piept der Abstandssensor:Zu groß für deutsche Straßen

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Drei SUVs, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten: Ein Modell kommt direkt aus der Zukunft, eines aus der Vergangenheit. Und eines liegt irgendwo dazwischen.

Von Felix Reek

Muss das sein?", wird sich so mancher Alfa-Fan gedacht haben, als es hieß, die Italiener bauen jetzt nicht nur ein SUV, nein, gleich drei unterschiedliche Modelle in den nächsten beiden Jahren. Also jene Großstadt-Geländewagen, die irgendwie immer ein wenig zu mächtig, zu plump, zu größenwahnsinnig wirken. Und das von den Italienern, deren Hauptdaseinsberechtigung es noch immer ist, schönere Autos zu bauen als der Rest der Welt. Wie zuletzt die Giulia, die laut rief: "Ja, seht her, wir können es noch!" Ausgerechnet im umkämpften Markt der Mittelklasse-SUVs soll sich jetzt der Alfa Romeo Stelvio, benannt nach dem höchsten Gebirgspass Italiens, durchsetzen. BMW X5, Audi Q5 oder Porsche Macan warten dort schon. Eine denkbar schwierige Ausgangslage. Dem Fiat-Konzern ist das offensichtlich egal, er hofft auf die treuen Anhänger der Marke. Die suchten immer das Besondere, nahmen Qualitätsmängel und Macken hin, nur um morgens auf wunderschöne Formen schauen zu können. Nur allzu viele sind das eben nicht. Deswegen jetzt also ein SUV. Die Fahrkarte in den Massenmarkt.

Doch wer ein etwas anderes SUV fahren will, findet dort schon eine reichliche Auswahl abseits der üblichen Verdächtigen aus Deutschland oder Japan. Im SZ-Test muss sich die Benziner-Variante des Stelvio mit 280 PS gegen zwei ähnlich motorisierte Softgeländewagen behaupten: den Volvo XC60 (254 PS) und den Jaguar F-Pace (250 PS). Alle drei besitzen Allradantrieb, Automatik und starten ab 40 000 Euro in der Basisversion. Die von der SZ getestete Motorisierung ist teurer: Mindestens 50 000 Euro ist für eines der SUVs fällig.

Der Volvo ist bereits dort, wo Alfa mit dem Stelvio in seinen kühnsten Träumen hin will

Die gute Nachricht für Alfa-Fans: Der Stelvio bietet all das, was die Anhänger der Marke erwarten. Im guten wie im schlechten Sinne. Er ist schön. Zumindest für ein SUV. Und er fährt sich so, wie erhofft: Die Automatik arbeitet präzise, die Lenkung ist direkt, die Bremsen sind geradezu aggressiv. Der Stelvio ist mit Sicherheit eines der agilsten SUVs auf dem Markt. Das Problem: Sportlichkeit ist in einem SUV konstruktionsbedingt nur bis zu einem gewissen Maße möglich. Auch der Alfa vermittelt nie ein wirkliches Gefühl für die Straße. Gewicht und erhöhte Position sorgen verglichen mit einem herkömmlichen Auto immer für ein schwammiges Fahrverhalten. Zumindest lässt sich festhalten: Der Stelvio ist näher dran als Volvo und Jaguar.

Wenn nur nicht die bei Alfa üblichen Schrulligkeiten wären. Etwa die fast 20 Zentimeter langen Schaltwippen hinter dem Lenkrad. In solchen Dimensionen sind sie sonst nur bei Sportwagen zu finden, um auf der Rennstrecke in jeder Lenkposition den passenden Gang einlegen zu können. Eine Situation in der sich aller Voraussicht nach kein Stelvio-Fahrer jemals wiederfinden wird. Ganz im Gegensatz zu einem einsetzenden Platzregen oder einem schlichten Abbiegevorgang. Um Scheibenwischer und Blinker zu betätigen, müssen Stelvio-Käufer umständlich an den gewaltigen Schaltwippen vorbeigreifen. Genauso nervig ist der Tacho, der auf der Drei-Uhr-Position bei Tempo 260 endet. Danach kommt: nichts. Dieser gestauchte Geschwindigkeitsanzeiger sorgt dafür, dass der Fahrer an der Stelle, wo bei jedem anderen Auto die Markierung für 50 km/h liegt, auf Tempo 140 starrt. Größtes Ärgernis ist aber das Multimediainstrument, wenn es sich überhaupt so nennen lässt. Es reagiert verzögert, ist unübersichtlich, verfügt nicht einmal über aktualisierte Staudaten und wirkt generell veraltet.

Ganz im Gegensatz dazu der Volvo XC60. Der ist bereits dort, wo Alfa in seinen kühnsten Träumen hin will. Eine Million Exemplare des Vorgängers verkaufte Volvo in den letzten Jahren. Es ist mittlerweile das gefragteste Modell der Schweden. Bis dahin ist es noch ein weiter Weg für den Stelvio. Denn wer aus dem Alfa in den Volvo steigt, betritt eine andere Welt. Ein riesiges Display in der Mitte, überall Knöpfe und Funktionen. Überhaupt lässt sich im XC60 so viel touchen und swipen, dass das Autofahren zur Nebensache wird. Auf den ersten Blick ist klar: Der Volvo spielt trotz des ähnlichen Preises in einer anderen Liga. Im direkten Vergleich wirkt der Stelvio wie ein Auto aus der Vergangenheit. Und der XC60 wie die Zukunft.

Der Stelvio von Alfa Romeo basiert auf der Limousine Giulia. (Foto: Alfa Romeo)

Das liegt vor allem an den umfangreichen Assistenzsystemen. Zwölf davon sind serienmäßig im Volvo, sieben weitere gibt es gegen Aufpreis. Die meisten dienen der Sicherheit des Fahrers. Nicht ohne Grund hat Volvo angekündigt, dass bis 2020 niemand mehr in einem Volvo ums Leben kommen soll. Der XC60 ist der nächste Schritt dorthin. Als Basis dafür dient eine Kamera- und Radareinheit, die vor dem Rückspiegel sitzt. Sie scannt einen Bereich von 200 Metern um das Auto. So kann das SUV ein Abdriften in den Gegenverkehr verhindern und eingreifen, wenn ein Fahrzeug im toten Winkel übersehen wird. Es kann Fußgängern ausweichen, die überraschend auf die Straße treten, und abbremsen, sobald der Abstand zum Vordermann nicht mehr ausreicht. Auf der Autobahn steuert der XC60 selbständig, die Hände müssen aber am Steuer bleiben. In der Stadt vermisst der Volvo passende Parklücken und lenkt den XC60 hinein. Das alles lässt den Preis des SUVs zwar in die Höhe schnellen (die Konfiguration des Testwagens liegt bei 80 000 Euro), bei Alfa steht das aber nicht einmal zur Auswahl. Das Unternehmen gibt unumwunden zu, dafür kein Geld zu haben. Dazu müssten erst einige Stelvios verkauft werden.

Was schwierig werden dürfte. Denn selbst das Fahren bereitet im Volvo mehr Freude. Er verströmt die Eigenschaften, weswegen so viele Menschen ein SUV kaufen: Souveränität und Erhabenheit. Das passt einfach besser zu dieser Fahrzeuggattung als das nervös Aufgeregte des Stelvios. Die Lenkung ist so leichtgängig, als steuere der Fahrer ein halb so schweres Auto und kein zwei Tonnen schweres SUV. Der Motor ist kaum hörbar, die Achtgangautomatik nicht zu spüren. Überhaupt wirkt der Volvo im Handling wie ein wesentlich kleineres Auto und nicht wie ein mehr als viereinhalb Meter langer und fast zwei Meter breiter Geländewagen. Das gilt natürlich nur, solange sich der XC60 nicht in einer Innenstadt verirrt. Dort zeigt sich der Schwachpunkt aller drei SUVs im Test: Sie sind einfach zu groß für deutsche Straßen und nerven den Fahrer mit einem Piepkonzert der Abstandssensoren.

Wirklich ärgerlich ist beim Volvo nur der Kofferraum. Also das, was eigentlich immer eine Stärke der Marke war. Er ist der kleinste der drei SUVs. Gerade einmal 505 Liter, bei umgeklappter Rückbank 1432 Liter, passen hinein. Selbst der viel enger geschnittene Stelvio bringt es auf 525 Liter beziehungsweise 1600 Liter. Sieger in dieser Kategorie ist aber ausgerechnet der Jaguar F-Pace. Der Brite hat die mit Abstand größte Ladefläche der drei Autos im Test: 650 Liter passen in den Kofferraum, maximal sind 1740 Liter möglich.

Der Verbrauch liegt bei allen drei im Schnitt bei zehn Litern, etwa drei Liter über der Werksangabe

Der F-Pace ist dann auch so etwas wie die goldene Mitte zwischen Alfa und Volvo. Er sieht gut aus, gewann sogar den "World Car Award" als schönstes Auto. Er besitzt eine Reihe an Sicherheitsfeatures, ist aber nicht so technisch überladen wie der XC60. Er fährt sich sportlich, spart sich aber die übertriebene Aggressivität des Alfas. Zugleich ist er ein echter Autobahngleiter, ohne dass das Behäbige des Volvos Überhand nimmt. Der Innenraum ist gut verarbeitet und einem Jaguar würdig. Zumindest hat der Hersteller dort fast alles mit Leder überzogen, was sich mit Leder überziehen lässt. Der Verbrauch liegt im Schnitt bei zehn Litern Benzin, etwa drei Liter über der Werksangabe. Genauso wie bei Alfa und Volvo. Und nicht zuletzt setzt sich der F-Pace durch seine schiere Präsenz von der Konkurrenz ab. Den anderen zwei SUVs rief bei den Testfahrten jedenfalls niemand ein "Nice car!" hinterher.

Wenn nur nicht die vielen Nachlässigkeiten wären, die den Spaß am Jaguar trüben. Etwa die Fensterheber, die sich völlig untypisch nicht auf der Armablage in der Tür befinden, sondern eine Etage höher, dort wo die Scheibe in der Tür verschwindet. Oder das Touch-Navigationsgerät, das so empfindlich ist, dass man jedes Mal in Menüs landet, die man gar nicht ansteuern wollte. Und nicht zuletzt fällt der Unterbau des Lenkrads so massiv aus, dass ständig die Oberschenkel daran stoßen.

Aber das sind nur Details. Rein subjektiv ist der Jaguar das ansprechendste SUV für Fahrer, die sich von der grauen Geländewagen-Masse in den Großstädten absetzen will. Ein nicht ganz alltägliches Auto, das eine gewisse britische Eleganz verströmt. Das ändert aber nichts daran, dass der Volvo objektiv das beste Auto ist. Das Gesamtpaket aus Design, Komfort und Technik stimmt einfach und gerade die Sicherheitstechnik des XC60 ist den beiden Konkurrenten um Jahre voraus. Da können sich auch deutsche Hersteller noch etwas abschauen. Der Alfa landet abgeschlagen auf Rang drei. Zu rückständig wirkt er im Vergleich. Ein Auto, das auf dem technischen Stand von vor einigen Jahren ist, ohne den wiedergewonnenen Alfa-Flair der neuen Giulia zu verströmen. So bleibt der Stelvio am Ende das, was er ist: ein halbherziger Versuch, die Verkaufszahlen von Alfa Romeo mit einem Gewaltakt zu retten.

© SZ vom 14.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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