Segel-Trend:Schwimm-Hilfe

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Wie ein erfahrener Segelprofi die aktuellen Trends der Saison 2009 im Bootsbau einschätzt.

Bobby Schenk

Auch wenn der Blick auf Wetterkarte, Barometer und Thermometer die winterliche Zwangspause längst ankündigen - die Wassersportsaison 2009 hat bereits begonnen. Gerade erst ging in Friedrichshafen am Bodensee die "interboot" zu Ende, in drei Wochen beginnt auch für mich in Hamburg die "hanseboot" und für die weltweit größte Wassersportmesse, die "boot" in Düsseldorf, ist die Zeit im Januar bereits geblockt. Natürlich macht es mir Spaß zu sehen, wie groß das Interesse am Segeln ist; gleichermaßen verwirrend aber ist die unglaubliche Vielfalt des Angebots. Aber noch mehr verblüfft hat mich der smarte interboot-Chef Dirk Kreidenweiß mit seiner Antwort auf meine Frage nach wesentlichen Änderungen in den letzten 40 Jahren: "Früher haben alle Leute Krawatten getragen, heute gibt es das nicht mehr - weder bei den Besuchern noch bei den Verkäufern."

Wer von langen Törns träumt, kommt an der neuen Bavaria 47 nicht vorbei. (Foto: N/A)

Stimmt! Wo einst ehrwürdige Herren im Blazer durch die Gänge schritten, gibt sich heute das Publikum - fast 93.000 kamen in diesem Jahr an den Bodensee - so locker, als sei das Segeln niemals als der Sport der Könige apostrophiert worden. Kids wuseln mit Skateboard oder Surfbrett unterm Arm durch die Besucherreihen und statt Seemannsgarn und Fachvokabular sind Statements wie "geil" oder "voll cool" zu hören.

Kein Zweifel, die Szene hat sich gewandelt. Lang vorbei sind die Zeiten, zu denen einem beim Betreten einer Messehalle - ob in Friedrichshafen, Hamburg oder Düsseldorf - der Duft von Mahagoni in die Nase gestiegen ist. Heute riecht es schon an den Eingängen nach ganz gemeinem Polyesterharz. Und käme der Geruch nicht von Segelyachten, würde er sicherlich als unangenehm empfunden. Für den Segler jedoch ist das der Duft der großen weiten Welt.

Denn den versprechen die vielen Yachten aus Plastik locker in den Prospekten: "Geeignet für die Weltumsegelung!" heißt es da oder auch lässig: "Fertig für die weltweite Fahrt". Ähnlich wurde in Friedrichshafen auch die neue Bavaria 47 Cruiser angepriesen. Dieser 14 Meter langen Segelyacht traue ich durchaus eine Weltumsegelung zu - das richtige Skipperpaar vorausgesetzt. So bleiben unter dem hoch aufragenden Bug der weißen Kunststoffyacht alle Augenblicke träumende Pärchen stehen, tuscheln, ziehen Prospekte aus Plastiktüten und vergleichen. Denn das schlagkräftigste Argument ist immer noch der Preis. Und hier liegt Bavaria goldrichtig.

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Wie ein erfahrener Segelprofi die aktuellen Trends der Saison 2009 im Bootsbau einschätzt.

Ganze 159.000 Euro soll der Cruiser - früher hieß es Kreutzer - kosten. Gewiss, für so viel Geld lässt sich auch schon eine Wohnung kaufen; aber was ist eine Immobilie an Land gegen eine Mobilie auf dem Wasser? Eine, mit der man Stürme abwettern kann - wenn man es kann. Der Preis erstaunt angesichts der Tatsache, dass man für andere Yachten dieser Größe auch schnell wenigstens das Doppelte hinlegen muss. Und für diesen gigantischen Preisvorteil nimmt man Abstriche bei der Qualität in Kauf; aber allzu viel Nachsicht mit der Werft ist gar nicht mehr nötig.

Deckslayout, Inneneinrichtung und Technik sind durchdacht bis ins Detail. Es gibt wenig zu kritisieren; und wenn, dann geht es meist um den persönlichen Geschmack. Der doppelte Ruderstand ist für den großen Schlag mehr ein optischer Gag, segelt man doch in der Praxis meist unter automatischer Steuerung. Und der 120-Liter-Kühlschrank mit großer Türe, durch die beim Öffnen die Kälte verschwenderisch entweicht, besticht sicherlich nur solche Interessenten, die nicht darüber nachdenken, woher 1000 Meilen von einer Steckdose entfernt der Strom für den Kühlkompressor kommen soll. Trotzdem: Die Bavarias beweisen, dass Vorbehalte gegen eine Serienyacht, deren Stückzahlen in die Tausende gehen, nicht mehr nötig sind.

Allerdings: Wer wie ich das Segeln vor mehr als vier Jahrzehnten begonnen und sein Herz daran verloren hat, sehnt sich nach Holz. Wunderschöne Mahagoniyachten, glänzend lackiert, tun meinen Augen eben einfach gut. Klar ist mir aber auch: Unvernünftig sind diese Schiffe allemal, nicht nur beim Preis. Denn was soll ich heute mit einem handwerklich perfekten Nachbau einer 10-m-R-Yacht, deren Originalriss vor 100 Jahren gezeichnet wurde? Doch allein der Gedanke, einmal mit einem solchen Schiff unterwegs zu sein, macht unbändigen Appetit aufs Segeln.

Und dann wieder die nüchterne Kälte von Kunststoff, ein krasser Kontrapunkt zu den Holzyachten: Die Esse 990, ein fast 10 Meter langer Daysailer, ist nichts für jene, die zu Segelyachten ein eher erotisches Verhältnis haben. Aber es ist das ehrlichste Segelschiff in Friedrichshafen gewesen. Ihr Erfinder, Erbauer und Verkäufer, Josef Schuchter aus der Schweiz, macht keinen Hehl daraus, ein Segelschiff anzubieten, das zu nichts nutze ist - außer zum Segeln.

Keine Inneneinrichtung lässt von heimeligen Ankerplätzen träumen, kein Navigationsinstrument verführt zu einer Törnplanung. Das Schiff ist aus Epoxy, man sieht es trotz des edlen Teak-Outfits deutlich, das Rigg ist funktionell und leistungsstark; Carbonteile versprechen Reißfestigkeit, die scharfe Kielbombe, fast so schwer wie das übrige Boot, und die flache Rumpfform verraten den schnellen Gleiter. Man glaubt es auch ohne Probefahrt. Das italienische Design ist kühl; nichts wird den Skipper von der Auseinandersetzung mit Wind und Welle ablenken. Speed ist alles!

Segelspaß pur verspricht der Erbauer; und das zu einem Drittel der Kosten, die man für eine ähnlich große Racingyacht aufwenden müsste. Werftchef Josef Schuchter kommt aus dem Automobilbau und wenn er von seinem Lieblingsobjekt schwärmt - immerhin hat er von der etwas kürzeren Version, der Esse 850, fast 100 Exemplare verkauft - steht unausgesprochen der Name Ferrari im Raum. Der Kaufpreis von 190.000 Euro unterstreicht den Vergleich.

So ist das Spannende einer jeden Bootsmesse das Wechselspiel zwischen handwerklicher Schönheit und oftmals bitterem Plastik, eleganten Linien oder solchen Rümpfen, die man eigentlich sofort in einer dunklen Garage verstecken sollte. Für mich als Segelromantiker ist das alles brutal cool.

Der Autor ist der bekannteste deutsche Blauwasser-Segler, gilt als ausgewiesener Navigationsexperte und hat bis heute mehr als 500.000 Segelbücher weltweit verkauft.

© SZ vom 04.10.2008/gf - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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