Oldtimer unterwegs:Alt hilft neu

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Auf nostalgischen Wettfahrten wie der Ennstal Classic pflegen die Autokonzerne mit großem Aufwand ihre Marke - denn immer noch entscheidet die Sympathie über den Autokauf.

Jörg Reichle

Gröbming, Freitagmorgen, kurz vor sieben. Eine ziemlich bizarre Truppe nimmt die Sträßchen des malerischen Touristenorts in Besitz wie ein mittelalterlicher Landsknechthaufen. Erst ist es einer, dann immer mehr. Es dröhnt, es röhrt, es raucht und spuckt.

Oldtimer unterwegs
:Alt hilft neu

Auf nostalgischen Wettfahrten wie der Ennstal Classic pflegen die Autokonzerne mit großem Aufwand ihre Marke.

Es ist der zweite Tag der 18. Ennstal Classic, einer Oldtimer-Wettfahrt der ganz speziellen Art. "Die Ennstal", so erklärt der Veranstalter im offiziellen Programm, "lotet die Grenze dessen aus, was mit den Autos von einst auf den Straßen von heute machbar ist."

Also stehen sie jetzt aufgereiht vor der Startrampe, 210 überwiegend rare Altwagen sportlichen Zuschnitts vom Buick Speedster Baujahr 1924 über die tannengrünen Bentley-Ungetüme, die im Pulverdampf der Rennen ergrauten Alfa 6C und 8C, die silbern glänzenden Veritas und BMW-328-Ikonen bis hin zu grimmig aufgemachten Rallye-Porsche 911 oder den einfach nur bildschönen Ferrari der frühen siebziger Jahre.

1900 Euro lässt es sich jeder Besitzer kosten, hier knapp drei Tage lang bis zur Erschöpfung zu fahren, Sonderprüfungen auf den Bruchteil einer Sekunde zu passieren und dabei gut 800 Kilometer zu bewältigen - über zig Pässe, durch malerische Täler und nachtschwarze Wälder. Sölkpass, Nockalm und Radstädter Tauern sind zu erklimmen, Schladming, Bad Aussee und Steyr werden durchquert. Und überall am Straßenrand jubeln die Leute. Selbst nachts, im strömenden Regen.

"Das hier geht richtig aufs Material", sagt Thomas Frank und ergänzt fast ehrfürchtig: "Ich halte die Ennstal für anspruchsvoller als die Mille Miglia." Frank muss es wissen. Der Leiter der Traditionsabteilung von Audi ist zusammen mit seinen Amtskollegen von Mercedes, BMW und Porsche das Sommerhalbjahr über verstärkt unterwegs in Sachen Geschichts- und Markenpflege.

Eine zeitraubende Aufgabe. Oldtimer-Ausfahrten haben sich rasend vermehrt in den letzten Jahren. Allein für die Monate Juli, August und September verzeichnet der aktuelle Kalender der Fachzeitschrift Auto Bild Klassik, eine der einschlägigen Bibeln der Szene, 52 Termine - von den klangvollen Großereignissen bis zur sehr regionalen Saalburg-Euregio-Egrensis-Classic.

Mindestens 30 solcher Ausfahrten beschickt allein Audi pro Jahr in Europa - mal mit teilnehmenden Exponaten aus dem Ingolstädter Fundus, samt Service-Crew versteht sich, mal auch als Sponsor der ganzen Veranstaltung. Das alles geschieht aus gutem Grund, denn kaum noch irgendwo vermag das Auto so viel positive Gefühle zu erzeugen wie in der hautnahen Begegnung des Publikums mit den eigenen Erinnerungen.

BMW 328 Kamm Coupé
:Aus alt mach' neu

1940 gewann BMW mit dem 328 Kamm Coupé die Mille Miglia, das renommierteste Autorennen der Welt. 70 Jahre später stellten die Bayern beim Concorso d'Eleganza den Nachbau vor.

Stefan Grundhoff

Was manche für ein Benzin vergeudendes, sinnloses Spektakel halten mögen, reißt auf Ausfahrten wie der Ennstal Classic Tausende vom Hocker - in den kleinsten Orten nicht anders als auf dem Hochplateau der Postalm, "wenn die Alpen im Gegenlicht verdunsten" (Programm-Text), am Dachstein "im Feuer der untergehenden Sonne", oder dem "paradiesischen Morgen am Sölkpass".

Da rückt sich auch die Industrie dann gern ins rechte Licht. Die Vorbereitung dabei ist professionell, der Aufwand immens - von der Restauration der Fahrzeuge in den Klassik-Abteilungen zu Hause bis zum Einsatz vor Ort. Etwa 1000 historische Fahrzeuge mit zwei und vier Rädern hält die 1994 gegründete BMW Group Classic ständig fahrbereit, bei Audi sind es etwa 700.

Was wo gezeigt wird oder auch mitfährt, ist dann abhängig vom Charakter der Veranstaltung oder von eigenen Themenschwerpunkten. So feiert man in Ingolstadt Anlässe wie das 30-jährige Quattro-Jubiläum oder "25 Jahre M3" bei der Konkurrenz in München. Dort jährt sich 2010 auch zum 70. Mal der Mille Miglia-Sieg von 1940. Bei Mercedes wiederum wirft bereits das Jahr 2011 seine Schatten voraus. Dann sind von den Stuttgartern 125 Jahre Automobil gebührend zu würdigen.

"Die Veranstaltung muss zum Anlass passen", sagt BMW-Sprecher Manfred Grunert. Und der Auftritt zur Marke. Einheitliche Teamkleidung ist ein Muss, der Gestus freundlich, die Fahrweise vorbildlich, so lauten die klaren Vorgaben aus den Konzernen für die Einsatztruppe bei den Wettfahrten. Und die eigenen Service-Leute sollen bei Bedarf auch anderen Teilnehmern Hilfe leisten.

Das alles hat seinen Preis. Für die drei teilnehmenden Autos an der Ennstal, zwei DKW Monza, Baujahr 1958, und ein bildschönes 3=6-Cabrio von 1954, rechnet Audi-Mann Frank je Auto und Besatzung etwa 10.000 Euro, BMW geht für dieselbe Veranstaltung insgesamt von etwa 120.000 Euro aus. Dafür hatte man unter anderem drei Mille-Miglia-Ikonen mitgebracht - einen 328 Roadster und zwei extrem seltene Coupés.

Noch teurer kommt die Autohersteller die Teilnahme an der Mille Miglia selbst, Königin aller Wettfahrten, quer durch Italien. 25.000 Euro je Team sind hier schnell erreicht, "ist man dazu noch Sponsor, geht allein dafür unter 200.000 Euro gar nichts," rechnet Thomas Frank vor. In Italien setzte Mercedes-Benz in diesem Jahr für die 15 historischen Teilnehmer-Fahrzeuge nicht weniger als 21 Begleitautos ein - für den Service und einige Medienvertreter. Knapp eine Viertelmillion Euro war BMW die Italien-Rundfahrt 2010 wert. So viel kostete der Einsatz von zwölf Wagen samt Besatzungen im 350-Teilnehmer-Feld, zuzüglich zehn Mechanikern - alles in allem etwa 40 Personen.

Für historische Veranstaltungen insgesamt rechnen die Münchener etwa eine Million Euro pro Jahr. Allein solche Summen belegen, dass Traditionspflege kein Selbstzweck ist. Sie dient der Marke und ihrer emotionalen Aufladung. Und manchmal auch ganz schnörkellos dem Neuwagengeschäft. So bietet Audi auf wichtigen Veranstaltungen Interessenten Probefahrten mit exklusiven Neuwagenmodellen an. Mit Erfolg: Praktisch immer mündet der begleitende Schnupperkurs in unterzeichnete Kaufverträge.

Alt hilft Neu, ist die Devise. Dass dabei immer mehr nicht immer besser bedeuten muss, hält man bei BMW für ausgemacht. Sprecher Manfred Grunert: "Wichtig ist, Sympathie für die Marke zu erwecken. Wer da nicht mit Augenmaß vorgeht, erreicht leicht das Gegenteil."

Zum Beispiel VW, das sich seit neuestem heftig in der Szene engagiert: Weil Großveranstaltungen wie Silvretta Classic und Sachsen Classic zuletzt von einer Armada an Wolfsburger Teilnehmerfahrzeugen, Vip-Shuttles und VW-Logos überflutet wurden, regte sich nicht nur bei anderen Herstellern Unmut. Ein privater Teilnehmer, der sich fühlte "wie bei einem Marken-Korso", schimpfte: "Da gehen wir ja unter mit unseren Autos."

Im Ennstal war das kein Problem. Dort schlug am Samstag zum Abschluss auf einem Demo-Lauf historischer Renn- und Rallyeautos noch die große Stunde der Stars - vom per Hubschrauber eingeflogenen Sebastian Vettel über Lokalmatador Gerhard Berger bis zu Heroen von einst wie Stirling Moss. Die Popularität ihrer professionellen Lenkraddreher nutzen auch die Hersteller übrigens wohl kalkuliert - egal ob von Walter Röhrl (Porsche), Rauno Aaltonen und Prinz Leopold von Bayern (BMW) oder David Coulthard, Mika Häkkinen und Jochen Mass (Mercedes).

Nicht alle beweisen dabei freilich so viel Gespür für den Wert der klassischen Technik wie der dreifache Le-Mans-Gewinner Marco Werner. Als der von ihm gesteuerte Auto-Union-Grand-Prix-Wagen von 1939 in Gröbming durch den verordneten Schleichgang zu überhitzen drohte, stellte er den Wagen vorsorglich sofort ab. Bei Betriebskosten der Silberpfeile von 750 Euro je Fahrminute wollte er einen Motorschaden auf keinen Fall riskieren.

© SZ vom 09.08.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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