Motorrad oder Motorroller?:Zwischen den Welten

Lesezeit: 2 min

Der neue Hyper Scooter GP 800 von Gilera - schnell wie ein Motorrad, handlich wie ein Motorroller.

Ulf Böhringer

Ob Super oder mega - Marketingstrategen können offenbar immer noch eins draufsetzen. Und weil sie vor keiner hochfliegenden Worthülse zurückschrecken, ist es nun die Vokabel Hype, die für Aufmerksamkeit sorgen soll.

Gilera Hyper Scooter GP 800: 267 Kilogramm, 75 PS,193 km/h mögliche Höchstgeschwindigkeit. (Foto: Foto: Gilera)

So kommt die Piaggio-Marke Gilera jetzt mit dem Hyper Scooter GP 800, dessen technische Superlative Kennzeichen sein sollen, ohne aber beim Preis die Bodenhaftung zu verlieren. Denn mit wenigstens 9400 Euro liegt er auf dem Niveau des Suzuki Burgman 650, der 9250 Euro kostet, und des Yamaha Tmax 500 (9200 Euro).

Kräftig motorisiert, hohes Drehmoment

Gleich bei der ersten Ausfahrt mit dem Hyper Scooter GP 800 wird klar, dass man alles vergessen muss, was man bisher über kräftig motorisierte Roller wusste oder kannte. Mehr noch als die 75 PS Spitzenleistung sind es die 76 Newtonmeter Drehmoment des 840 Kubik großen V2-Motors, die zusammen mit der CVT-Automatik für überlegene Kraft sorgen (Tmax: 46 Nm, Suzuki Burgman 62 Nm). Denn Südeuropas Rollermärkte fordern solche Leistungsmonster - auch, wenn dort die dem GP 800 mögliche Höchstgeschwindigkeit von 193 km/h gar nicht realisierbar ist.

Während die Piaggio-Ingenieure offensichtlich das sehr agile Fahrverhalten des Tmax anstrebten, sind sie in puncto Gewicht beim Ober-Burgermeister gelandet: Fahrfertige 267 Kilogramm sind gut 40 mehr als beim Tmax, und diese 40 Kilo egalisieren einen Gutteil der Mehrleistung. Die Leistungsspitzen eines Motorrads bietet der GP 800 nicht; der Roller agiert nicht bissig, sondern dank der Automatik eher souverän - wie kernig der Gilera in Wirklichkeit durchzieht, wird quasi verschleiert. Objektiv aber besteht keinerlei Grund zur Unzufriedenheit, im Gegenteil: Wer angesichts schlanker 5,7 Sekunden beim Spurt von null auf Tempo 100 an Mangel leidet, sitzt auf diesem Sattel sowieso falsch.

Wichtigstes Kriterium bei Rollern ist ihre Handhabung. Da ist der GP 800 gut, aber nicht überragend. Daran ändert auch das elektrisch verstellbare Windschild nichts - sein Verstellbereich ist nur gering, die Verstellung etwas lahm und die oberste Position erhöht die empfundene Lautstärke am Helm. Platz und Sitzkomfort für Fahrer und Passagier sind ohne Tadel, die Cockpit-Ausstattung ist reichlich und funktional. Eine elektronische Wegfahrsperre ist serienmäßig an Bord. Nicht gefallen kann die zu geringe Leuchtkraft der Blinker-Kontrollleuchten: Die Rückstellung wird deshalb oftmals übersehen.

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:Motorrad oder Motorroller?

Technik in jedem Winkel: der Gilera Hyper Scooter GP 800.

Das Helmfach fasst trotz des vergleichsweise großen 15-Zoll-Hinterrades immerhin einen Integralhelm, doch leider gibt es kein noch so winziges Ablagefach im Frontbereich. Die Technik beansprucht jeden Winkel.

Verschärfter Kurvenfahrt ist der Gilera GP 800 nicht abgeneigt: Das Werk gibt bei Solo-Besetzung immerhin 45 Grad Schräglagenfreiheit an. (Foto: Foto: Gilera)

Viel Technik, aber kein ABS

Sichtbar wird der Hightech-Anspruch beispielsweise am verstellbaren Bremshebel und an den stahlummantelten Bremsleitungen. Die Dreischeiben-Bremsanlage, immerhin eine Brembo-Oro-Ausstattung, ist sehr gut dosierbar und verzögert ausgezeichnet. Ob sie hierzulande freilich die Erwartungshaltung aller Roller-Interessenten erfüllen, sei dahingestellt: Gilera kann nämlich zumindest in den nächsten beiden Jahren kein ABS liefern. Beim Tmax 500 und Burgman 650 dagegen ist ABS Teil der Serienausstattung.

Die Fahrwerkstechnik des GP 800 ist gelungen: Der Federungskomfort ist vergleichsweise sehr gut, wofür man aber eine leicht ins Schwammige tendierende Straßenlage in Kauf nehmen muss. Es wäre sicherlich sinnvoll, zukünftig in der Klasse der Hyperroller die elektronische Fahrwerksverstellung einzuführen; so ließe sich ganz ohne Schraubenschlüssel und auf Knopfdruck der Fahrwerksmodus ändern.

Verschärfter Kurvenfahrt ist der Gilera GP 800 nicht abgeneigt: Das Werk gibt bei Solo-Besetzung immerhin 45 Grad Schräglagenfreiheit an. Und auch die Stabilität bei größerer Schräglage ließ beim ersten, allerdings recht kurzen Fahrtermin keine Nervosität aufkommen.

Unter dynamischen Gesichtspunkten, aber auch in der Fahrstabilität ist der von Dezember an erhältliche GP 800 nahe an das Motorrad gerückt, ohne seinen rollertypischen Handhabungsvorteil einzubüßen. Sein schärfster Konkurrent wird schon in Bälde erwartet und kommt ebenfalls aus dem Hause Piaggio: Die Premiere der Aprilia Mana 850 steht unmittelbar bevor.

© SZ vom 3.11.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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