Kommentar:Endlich umsteigen

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Elektroautos brauchen eine bessere Ladeinfrastruktur, meint Joachim Becker. (Foto: N/A)

Die deutsche Klimabilanz ist nicht gut und wird immer schlechter. Schuld sind die Spätfolgen des Wachstums: der Heißhunger auf Energie, große Autos und die immer weiter steigende Zahl transportierter Güter auf den Straßen.

Von Joachim Becker

Deutschland geht's gold. Die Wirtschaft brummt, und wie das so ist mit brummenden Systemen: Sie stoßen Abgase aus. Bei aller Aufschwungseuphorie lassen sich die Spätfolgen des Wachstums nicht beiseitewischen: Die Treibhausemissionen steigen, statt zu sinken. Es ist eine Zeitbombe, die ähnlich funktioniert wie die Kernkraftwerke. Am Anfang stehen große Mengen billiger Energie. Ein Suchtstoff, von dem die Menschheit nie genug bekommen kann. Doch abgerechnet wird zum Schluss. Dann, wenn die Gesamtkosten (einer Klimakatastrophe) für jedermann sichtbar werden.

2016 hat Deutschland 909,4 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalente produziert. Das sind laut Umweltbundesamt 2,6 Millionen Tonnen mehr als 2015 und die zweite Steigerung in Folge. Versprochen hatte die Bundesregierung etwas anderes. Im Kreuzfeuer der Kritik stehen die üblichen Verdächtigen: der Energiesektor und der Verkehr. Laut Klimaschutzplan der Bundesregierung sollen bis 2030 die Emissionen des Verkehrs um rund 70 Millionen Tonnen sinken. Stattdessen geht es jedoch munter bergauf. Den größten Anteil am Verkehr hat mit 96 Prozent der Straßenverkehr. Und der funktioniert weiterhin zu 99 Prozent mithilfe von Verbrennungsmotoren.

Im Kleinklein der Kompromisse ist keine Vision für den Stadtverkehr zu erkennen

Mehr Gütertransport auf der Straße und immer größere Autos - alles Auswüchse des Wohlstands. Im Rückblick wird man sich über die Zehnerjahre des neuen Jahrtausends wundern. Über das letzte Aufbäumen des Verbrennungsmotors und über Menschen, die überall auf den Straßen Freudenfeuer entzündeten, um herumzufahren, die fossilen Reserven zu verbrennen und die Stadtluft zu verpesten. Mit dem Resultat, dass die Verkehrsemissionen erneut gestiegen sind und mit 166,8 Millionen Tonnen selbst den Wert des Jahres 1990 übertreffen.

Es geht nicht darum, Verzicht zu predigen. Was stört, ist der bittere Beigeschmack des Genussmittels individuelle Mobilität. Das Umweltbundesamt fordert eine Quote für Elektroautos. Doch was wollen wir mit den ganzen Stromern, wenn die Behörden keine umfassende Vision für den Stadtverkehr der Zukunft entwickeln? Es ist der Fluch von großen Regierungskoalitionen, dass sie sich im Klein-Klein der Kompromisse verheddern. Ein Mosaik, bei dem am Ende niemand mehr das große Ganze sieht: Wo will die Technologienation Deutschland eigentlich in zehn Jahren stehen? Gibt es noch andere Visionen außer voller Bauch und Vollbeschäftigung?

Die Gelackmeierten sind schließlich die Bürger und die Kommunen, die mit dem Technologiewandel alleingelassen werden. Und so geht es in Trippelschritten voran. China, nicht Deutschland, war auch 2017 mit 777 000 neuen E-Autos weltweiter Leitmarkt für Elektrofahrzeuge. Der Abstand zum zweitgrößten Markt USA (plus 194 000 E-Fahrzeuge im vergangenen Jahr) hat sich deutlich vergrößert. Das zeigen aktuelle Studien des Center of Automotive Management (CAM). Die zunehmende Diskussion über Fahrverbote belebt auch in Deutschland den Absatz der Stromer. 54 492 neue E-Autos bedeuten eine Verdoppelung des Marktanteils von 0,8 auf 1,6 Prozent. In China fahren allerdings schon 2,7 Prozent aller neu zugelassenen Fahrzeuge elektrisch. Bei den Pkw sind es laut CAM vor allem die kleinen, günstigen E-Mobile, wie der Baic ec Series, die rasanten Absatz finden. Also Stadtautos, die in der Masse einen spürbaren Effekt auf die lokale Schadstoffbelastung haben können.

Der Umstieg in emissionsfreie Sardinenbüchsen? Undenkbar in einem Land, in dem die PS-Zahl das Prestige steigert. Aber warum eigentlich? Wohlstand kann sich ja auch in einer Woge von wieselflinken und sauberen Zweitwagen ausschließlich für den urbanen Einsatz ausdrücken. Bei Smart-Elektroautos gibt es schon jetzt Lieferengpässe und Wartezeiten von bis zu einem Jahr. Wenn das Bundesverwaltungsgericht Ende Februar sein Grundsatzurteil zu (Diesel-)Fahrverboten spricht, kann das auch zur Initialzündung für viele neue Ideen im Stadtverkehr werden. Stau- und smoggeplagte Großstädte wie Paris und London sind schon jetzt gezwungen, den traditionellen Formen der Mobilität immer engere Grenzen zu setzen. Es wird Zeit, dass sich auch hierzulande endlich etwas tut.

© SZ vom 27.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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